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Kunstausstellung zum EssenVöllerei und Verschwendung

Die Ausstellung „Schlaraffenland“ im Dortmunder Kunstverein dreht sich um unser Essen. Woher kommt es? Wie entsteht und wo endet es?

Zumindest in dieser lukullischen Installation von Slavs-Tatars fehlt es an nichts Foto: Mareike Tocha

Das vor rund 20 Jahren umgebaute ehemalige Gärgebäude der Dortmunder Union-Brauerei ist schon länger das Dortmunder U, ein Ort der Kultur. Kunstvereine, Museen, Kinosäle sind hier untergebracht, vor der Tür erstreckt sich eine Art Abenteuerspielplatz. Was man allerdings vergeblich sucht, ist ein gastronomisches Angebot, stattdessen: mehrspurige Autostraßen, Asphalt, betonierte Leere.

Dabei ist Ernährung als kreatives Feld und kulturelle Praxis präsenter denn je. Fernsehköche, Youtube-Foodies, Restauranttests, Naturwein- und Craft-Beer-Hype, dazu Streetfood und internationale Küche von Vietnam über Georgien bis Kolumbien – überall wird gekocht, gegessen, geschmaust.

Nur an diesem zentralen Dortmunder Platz muss man lange suchen, bis man auf Essen stößt: „Knusprige Hähnchen,“ prangt es an der Fensterscheibe eines Nachbargebäudes des Dortmunder U. Der UV-Druck des Kölner Fotokünstlers Alwin Lay sieht aus wie Werbung straight outta Kentucky, ist aber eine künstlerische Nebelkerze.

Land der faulen Affen

Statt Köstlichkeiten warten bloß Kunstwerke auf die Be­su­che­r*in­nen des Kunstvereins, der sich hinter dieser Werbemaßnahme verbirgt. „Schlaraffenland“ heißt die dazugehörige Ausstellung, zusammengestellt von der Kuratorin Linda Schröer. Das fiktive „Land der faulen Affen“ wurde erstmals im Hochmittelalter beschrieben und verbreitete sich als Trope über Jahrhunderte in Märchen von Frankreich, über Italien bis nach Deutschland.

Gruppenausstellung zum Essen

„Schlaraffenland“. Dortmunder Kunstverein, bis 22. Dezember 2024.

Im Schlaraffenland finden die Faulenzer ein paradiesähnliches Ideal vor. Arbeit erübrigt sich, Brathähnchen fliegen in den Mund, und der Wein sprudelt direkt aus den Reben. Der Dortmunder Kunstverein konzentriert sich in der gleichnamigen Schau auf die kulinarische Facette der Geschichte und präsentiert Künstler*innen, die sich mit dem Thema Essen auseinandersetzen.

Mal ist es Alwin Lay, dessen Fotokunst stark von Werbeästhetik geprägt ist. Seit einiger Zeit findet man die hochauflösenden, farbsatten Abzüge des Schülers von Christopher Williams auf Ausstellungen und Messen. Durch digitale Bearbeitung schafft Lay Bilder, die unmögliche Situationen darstellen: In Dortmund ertrinkt eine Kaffeemaschine der Marke Gaggia Classic in ihrer selbst produzierten Brühe. Das Schlaraffenland ist eben ein Ort der Völlerei. Und ist es nicht auch dieser und jener Moment unseres wohlhabenden Alltags?

Ikonen der Low-Brow-Kultur

Im Erdgeschoss des Duplex hat sich der Düsseldorfer Postminimalist Pablo Schlumberger mit mehreren Assemblagen breitgemacht. In billigen Regalen, vermutlich vom Flohmarkt stammend, tummeln sich diverse Ikonen der Low-Brow-Kultur. Leere Smirnoff-Wodka-Flaschen, die sonst hinterm Tresen klebriger Bars hängen, sind ebenso zu sehen wie eine Dose Dirtea, ein Fruchtweingetränk von Rapperin Shirin David.

Schlumbergers High-Trash-Ironie lässt kurz an der Ernsthaftigkeit der Ausstellung zweifeln. Glücklicherweise kommt die Korrektur vom Post-Ost-Kollektiv Slavs and Tartars. Schon sein Name zeugt von einer Auseinandersetzung mit transtraditionellem Kulturaustausch entlang der Seidenstraße und im postsowjetischen Raum.

Skulpturen aus Glas und Stahl

Im Kunstverein sind ihre Skulpturen aus Glas und Stahl versammelt: Pop-Art-Objekte, die an Claes Oldenburg erinnern, wie etwa jene Quitte, die als goldener Apfel durch die Jahrtausende (von der griechischen Antike bis in die Moderne) immer wieder in Mythen und Volkssagen auftaucht, ursprünglich aus Transkaukasien kommt, aber während der Jahrhunderte über jegliche Grenzen hinweg von Asien bis zu den Amerikas in die Küchen migrierte.

Eine der interessantesten Arbeiten ist gar nicht Teil der Ausstellung. Die bereits länger stehende „Liquid Currency Bar“ der schottischen Künstlerin Zoe Williams. DIY-Ästhetik und postminimalistisches Design verbindet sie mit Glamour und Arbeitskritik, fügt sich so nahtlos ein, als wäre sie für das „Schlaraffenland“ gebaut worden. Was vielleicht zusammen mit den ausgestellten Werken vor Augen führt, wie (über-)präsent die sogenannte culinary art zuletzt geworden ist.

Und so kann man sich zum Schluss fragen: Was wird von all dem Bestand haben, oder hat das nicht auch alles sein Verfallsdatum?

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