Kunstausstellung über Plastik: Seine Vielfalt birgt auch Gefahren
Zwischen Faszination und Erschrecken zeigt die „Plastic World“ in der Frankfurter Kunsthalle Schirn das Material. Manchmal auch nur als Schleim.
Es ist schon ein sagenhaftes Material, das ursprünglich am Beginn des 20. Jahrhunderts und dann mit voller Wucht in der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs ab 1945 seinen Siegeszug über den Erdball antrat: Plastik.
Das Material kann nahezu jede Form annehmen, jede Farbe, verschiedene Aggregate und Oberflächen; Plastik kann transparent oder opak sein, hart oder flexibel. In flüssiger Form erscheint Plastik wie reine Alchemie: eine Masse, die aus archaischer Vergangenheit (Rohöl!) fantastische Zukunft kreiert.
Über die praktischen Eigenschaften, die unsichtbaren Einsatzgebiete in Medizin, Wissenschaft und Industrie wäre damit noch gar nicht gesprochen. Wenig beleuchtet ist bisher außerdem, wie jene Kunststoffe nicht nur Design und Konsumkultur, sondern auch die Bildende Kunst bereichert haben. „Plastic World“ in der Frankfurter Kunsthalle Schirn gibt nun einen großen Überblick. Hier zeigt sich das Material ebenso wandelbar wie als Seismograf seiner jeweiligen Zeit.
Eiskalt gut, wie Nicola L. 1968 die kommode Frau in ihre Vinyl-Einzelteile zerlegt als „Woman Sofa“ anpreist. Wie sich die plastikversessenen 1960er überhaupt angefühlt haben müssen, vermittelt ein Blick auf Césars „Expansion à la boite d’oeufs“, in der ekelbrauner Polyethurenschaum aus einer eierkartonförmigen Plastiktasche quillt.
Ekelbrauner Polyethurenschaum
„Plastic World“, bis 1. Oktober 2023, Kunsthalle Schirn, Frankfurt am Main
Und bevor Christo & Jeanne-Claude Bauwerke in Stoff verhüllten, da schlugen sie Zeitungen in Plastik ein – im Gegensatz zur Textilverhüllung vermutlich nicht umkehrbar. „Look“ von 1965 verharrt nun dauerhaft in ihrem Plastikkäfig.
Manches Werk, ein riesiger Haufen erstarrten Plastikschaums zum Beispiel, zeugt auch von der künstlerischen Hilflosigkeit, in jedem Moment mit dem Supermaterial mitzuhalten. Interessanter sind da die kleinen Ausflüge in architektonische Utopien: Hans Holleins mobiles Büro, ein Plastikkokon mit Schreibmaschine und Durchsicht, ist ebenso vertreten wie Collagen von Archigram – jenem britischen Kollektiv, dessen urbane Visionen noch heute futuristisch erscheinen und in denen etwa mobile Architekturen eine Rolle spielen.
Rotzgrüner Plastikschleim
Wo früher Plastik gegossen wurde, entsteht die Form heute oft umgekehrt: Schicht für Schicht erwächst die schimmernde Korallenskulptur von HazMatLab aus recyceltem Kunststoff-Filament im 3D-Drucker. Die Künstlerinnengruppe stellt dem Werk noch ein installiertes Schleimarchiv aus rotz- bis gelbgrünem, in Gläsern aufbewahrtem oder über Mobiliar geschüttetem Plastikschleim an die Seite.
Gestalterisch bieten Kunststoffe unerreichte Vielfalt. Kaum im öffentlichen Diskurs erwähnt wird der Umstand, dass sie jenseits des persönlichen Verbrauchs aus der Industrie ohnehin kaum wegzudenken sind. Arbeiten neueren Datums changieren so nicht selten zwischen Faszination und Erschrecken gegenüber dem einst euphorisch gefeierten Material. Dennis Siering beschäftigt sich mit Pyroplastik, versteinerten Kunststoffbrocken, die er an Stränden aufspürt.
Und Pınar Yoldaş, Künstlerin und Naturwissenschaftlerin, bringt eine Kunststoffe verstoffwechselnde Spezies in die Ozeane ein, die freilich bisher leider Erfindung bleibt.
Los wird die Welt das Plastik nicht so schnell, mikroskopisch klein durchdringt es heute ganze Organismen. Ob Andy Warhol das im Sinn hatte? Immerhin formulierte der schon vor einem halben Jahrhundert, hier an einer Wand nachzulesen: „Everybody’s plastic – but I love plastic. I want to be plastic.“
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