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Kunstausstellung im FreibadParasitärer Glamour am Beckenrand

Im Projektraum Tropez in Berlin-Wedding, mitten im Sommerbad, mischt sich die Kunst unter die Badenden. Wie wird sich hier begegnet?

Diorshow: Maya Mans Installation „Glitter Tubes“ im Sommerbad Humboldthain Foto: Rosa Merk

„Bitte nicht berühren“-Schilder gibt es in diesem Kunstraum nicht. Warum auch – das Weddinger Humboldthain ist schließlich kein Museum, sondern ein Freibad. Eins, an dem zwischen Becken und Liegefläche eben mal ein kantiges Servergestell aus der Wiese sprießt. Was merkwürdig fehl am Platz wirkt, ist die bewusst positionierte Installation der Künstlerin Rosanna Marie Pondorf.

Zwischen die knapp zwei Meter hohen schwarzen Metallstreben hat sie eine transparente Kunststoffplane mit ertastbaren Symbolen gespannt, die an Emojis erinnern. Ein Fragment der digitalen Welt, das plötzlich greifbar im analogen Raum steht – und genauso gut zum Aufhängen nasser Badehandtücher genutzt werden könnte.

Wie die sieben anderen Installationen auf dem Freibadgelände ist Pondorfs Maschinenfragment über den Sommer dem Gemüt der Badegäste ausgesetzt. Zum neunten Mal bringt das Kunstprojekt „Tropez“ Kunst dorthin, wo niemand danach gefragt hat: an einen begrenzten Ort, der gleichzeitig Mikrokosmos der Gesellschaft ist. Menschen aus allen sozialen Milieus kommen her, um der Stadthitze zu entfliehen.

Kunst steht dabei nicht auf dem Plan. Und trotzdem ist sie da – nistet sich ein zwischen Schließfächern, Kiosk und Badebecken. Ein bisschen wie ein Parasit. So lautet auch das Motto der diesjährigen Tropez-Ausgabe.

Mit triefender Pommesschale

Anders als Zecken oder Läuse wollen die Tropez-Parasiten aber niemandem schaden, sondern nur spielen: mit Abläufen und Erwartungen. Mal tun sie das ganz offensichtlich, mal subtil. Vor dem Kiosk, der Info-Punkt der Ausstellung ist, thront die Sitzbank der Künstlerin Melike Kara, die sich neben Stühlen und Tischen zum Freibadinventar tarnt: Unter einer milchigen Gelschicht hat sie zarte Blumenmotive und schwarz-weiße Archivaufnahmen der kurdischen Diaspora arrangiert.

„Kann ich mich hier hinsetzen?“, fragen Badegäste vorsichtig. Andere machen einfach – mit nasser Bademontur und triefender Pommesschale in der Hand. „Das ist auch gut so. Aber im besten Fall kommt man natürlich ins Gespräch“, sagt die Kuratorin Sophie Boysen. Besonders gut funktioniere das auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens, beim „Mini-Tropez“. An dem kleinen grünen Gartenhäuschen kann man sich Schläger für die benachbarte Minigolfanlage ausleihen.

Die fünf Bahnen sind Kunstwerke, scheinen aber keine Berührungsängste bei den Gästen auszulösen. Stattdessen wird mit so viel Hingabe gespielt, dass sich die unförmige Enten-Skulptur von „Goose Game“ schon nach wenigen Wochen vom Feld verabschieden musste.

Nicht alle Arbeiten sind so verspielt. Über das Geländer des Bademeisterhäuschens quellen durchsichtige, mit Glitzer gefüllte Plastikschwimmreifen. Sie sind in sattem Schwarz mit wahllos wirkenden Begriffsketten bedruckt: „Secure the Sweat Waterproof Mattifying Primer“. Für ihre Installation hat die Künstlerin Maya Man einen Kosmetik-Onlineshop unter dem Suchwort „Waterproof“ durchgekämmt. Was willkürlich klingt, hat in der dort bezauberten Welt durchaus System: Frauen sollen zu jeder Zeit gegen Wasser und Schweiß gewappnet sein.

Absurde Werbesprache

So absurd wie die Werbesprache ist auch die dazugehörige Performance. Anfang Juni steht die Künstlerin mit Laptop und Handy auf der Bademeisterplattform und wird zu Youtuberin, die ihre heute physische Community für ein „Get ready with me“ begrüßt. Ein QR-Code führt auf eine Webseite, auf der nacheinander Produktnamen aufploppen: Leuchtet der eigene Bildschirm pink auf, heißt es, laut vorlesen.

Die Skulptur der Künstlerin Tilhenn Klapper hat im Gegensatz dazu nur wenig mit Glamour zu tun. Sie hängt einfach da, an den Ästen einer großen Platane. Erst auf den zweiten Blick sind die körperartigen Wülste als in Strumpfhosen eingewickelte, holzgeschnitzte Fledermäuse erkennbar. Sie sind die einzigen echten Parasiten – oder zumindest die, denen der Begriff unterstellt wird. Horrorfilme haben ihnen einen schaurigen Ruf beschert, obwohl sie täglich unsichtbare Nachtschichten drücken, Pflanzen bestäuben und Insekten regulieren. Jetzt hängen sie am helllichten Tag mitten auf der Freibadwiese.

Die Kunst im Humboldthain drängt sich nicht auf, sondern ist einfach da. Mal mehr, mal weniger flüssig vermischt sie sich mit dem alltäglichen Schmelztiegel des Berliner Freibads. Und löst auf dem Weg zum Kiosk oder Sprungbrett ein kurzes Jucken aus. Wie ein Parasit eben. Nur dass der Wirt hier auch profitieren darf.

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