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Kunst vs. Kredit

1935 kauften die Berliner Museen überviertausend Kunstwerke von der Dresdner Bank

Von Sophie Jung

Ungewissheit schürt Misstrauen. Noch arbeitet die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) die genaue Herkunft ihrer Sammlungsbestände – zumindest für eine informationsbedürftige Öffentlichkeit – nur unzureichend auf. Die Medien reagieren sensibel und letzte Woche übten sie schnell Kritik an der Stiftung, als sich die Veröffentlichung des Buches „Kunst durch Kredit“ der Provenienzforscherin und ehemaligen SPK-Mitarbeiterin Lynn Rother über einen großen Kunstankauf der Berliner Museen während des Nationalsozialismus ankündigte. Dabei deckt Rother in dieser Veröffentlichung vor allem eines auf: wie fein sich die Biografie von Kunstobjekten mit der politischen Geschichte der NS-Zeit verästeln kann.

Eine gute Dekade lang hat Rother, die mittlerweile Provenienzen am MoMA erforscht, für ihre Dissertation die Hintergründe eines Kunstdeals mit den Berliner Museen untersucht, dessen enormes Ausmaß Rother selbst erst im Verlauf der Recherchen erfasste: Am 15. August 1935 verkaufte die Dresdner Bank 4.401 Kunstwerke an die Berliner Museen. Mit einer Kaufsumme von 7,5 Millionen Reichsmark war dies das größte Kunstgeschäft während der NS-Zeit.

Arge Seltsamkeiten begleiteten den Deal: Der Kauf war streng geheim, schon 1937 veräußerten die Museen einen Teil des Konvoluts wieder. Die Vermutung liegt nahe, es handle sich um frühe Beschlagnahmungen durch die Nationalsozialisten noch vor den Progromen 1938, zumal viele Objekte in Besitz jüdischer Sammler oder Händler gewesen waren. Doch in dieser großen Kunsttransaktion von 1935 überblenden sich die Anfänge der NS-Verfolgung noch mit dem Nachspiel der Weltwirtschaftskrise 1929. Die Dresdner Bank, mit 500 Millionen Reichsmark von der deutschen Reichsbank saniert, verkaufte die Kunstobjekte ihrer zahlungsunfähigen Kreditnehmer, um wiederum eigene Schulden bei der Zentralbank zu begleichen. Die 4.401 belasteten Objekte, so konnte Rother rekonstruieren, stammen aus 34 Kreditengagements von Privatpersonen, Firmen und Konsortien. Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht selbst hatte den Deal zwischen Dresdner Bank und Museen eingefädelt. Das Land Preußen zahlte, nicht die Museen.

Annie Casparis Kokoschka

Bis heute hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz von dem Deal profitiert. 1.600 Objekte aus dem Ankauf von 1935 sind noch in ihrem Besitz, 200 mehr als der Louvre zu Hochzeiten der napoleonischen Raubkunst ansammeln konnte. Das Gemälde „Pariser Platz in Berlin“ des Expressionistin Oskar Kokoschka, das lange neben dem Schreibtisch der letzten SPK-Direktoren hing, ist eines der Objekte aus dem Dresdner Bank-Deal. 2014 wurde publik, dass seine einstige jüdische Besitzerin Annie Caspari von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Als der Kokoschka jedoch gemeinsam mit 102 hochkarätigen alten Meistern und Modernen aus Casparis Besitz in die Depots der Dresdner Bank kam, da lebte und arbeitete die Kunsthändlerin noch in München. Lediglich ihren Kredit konnte sie nicht mehr bedienen. Dennoch fragt man sich, ob Caspari durch die Schmähungen der Nazis in diese wirtschaftliche Situation erst gedrängt wurde. Hier beginnen die feinen juristischen Linien zwischen Recht und Unrecht der frühen nationalsozialistischen Verfolgungspolitik, die heute noch immer nicht gezogen sind. Dank der Forschungen Rothers können sie nun Konturen annehmen.

Lynn Rother: „Kunst durch Kredit: Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935“. De Gruyter Verlag, Berlin 2017, 505 Seiten, 49,95 Euro

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