Kunst und Ökologie: Teil eines Kreislaufs

Mit der Ausstellung „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ wirbt das Kunsthaus Dresden für ein symbiotisches Verhältnis von Natur und Zivilisation.

nackte Frau umarmt Baum

Melanie Bonajos Video „Night Soil – Nocturnal Gardening“ von 2016 Foto: Melanie Bonajo & AKINCI

Hitzewelle in Sibirien; die Insekten in aller Welt sterben aus; der deutsche Wald im Dürre-Stress. Kein Tag vergeht, der uns nicht vor Augen führt, dass das Verhältnis der Zivilisation zur Natur mehr als nur aus den Fugen geraten ist. Zwar sollen die Deutschen inzwischen nur noch halb so viel Restmüll entsorgen wie 1985, heißt es. Trotzdem scheint alles immer katastrophaler zu werden. Kann da ausgerechnet die friedliebende Kunst einen Ausweg aus dieser tödlichen Mesalliance weisen? Wie sich die Gattungsfrage zum ökologischen Überleben in den Künsten spiegelt, gehört zu den derzeit spannendsten Themen. Man fragt sich, warum es nicht längst eine „grüne“ documenta gab.

„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ nennt das Kunsthaus Dresden, die Kommunale Galerie der sächsischen Landeshauptstadt, die jüngste Schau zu dem Thema. Sie beweist, dass es keiner gewaltigen Biennale bedarf, um ein fundamental gestörtes Verhältnis inspirierend auszuleuchten. Zum Glück verfällt sie nicht in Alarmismus.

Vor ein paar Jahrzehnten glaubte der Plakatkünstler Klaus Staeck das Problem den Wohlstandbürger:innen noch mit dem visuellen Meißel einhämmern zu müssen. „Saures Fest“ nannte der aktivistische Grafiker 1983 ein Werk, das pünktlich zu Weihnachten vom damals durch sauren Regen zerstörte Tannen als expres­sio­nistische Skelette zeigte. Das Gefühl von Bedrohung blenden die zehn Künstler:innen nicht aus, die die Kurator:innen Christina Mennicke-Schwarz und Vincent Schier in dem verwinkelten Altbau in der Dresdner Neustadt versammelt haben. Es manifestiert sich aber eher als historisches Hintergrundgrauen.

„Dritte Landschaft“ nennt Volker Kreidler seine fotografische Spurensuche in der Ukraine. Der Fotograf und Filmemacher hat 2014 und 2016 das Gebiet um Tschernobyl besucht. In seinen Schwarz-Weiß-Fotografien der 1986 angelegten, nun vom Militär kontrollierten Sperrzone dokumentiert er, wie sich die Natur das verseuchte Gelände zurückerobert hat. Das diffuse Dämmerlicht, in dem sich da Sträucher und schlanke Bäume ihren Platz zwischen geborstenen, hier und da von einem Sonnenstrahl durchblitzten Ruinen suchen, verklärt den Blick auf ein unbewohnbar gewordenes Territorium fast ins Romantische.

„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.“ Kunsthaus Dresden. Noch bis zum 4. Oktober 2020.

Kreidler hat seinen Titel „Dritte Landschaft“ dem französischen Gartenarchitekten Gilles Clément entlehnt. In einem Manifest bezeichnete der damit einen Raum, der sich nach der menschlichen Nutzung in ein ökologisches Primärsystem zurückverwandelt. Die Arbeit ist nicht als Metapher dafür misszuverstehen, wie Gras über derlei Mega-Katastrophen wächst. Eher ist sie ein subtiler Hinweis auf die (re-)generative Kraft der Natur, die sich als roter Faden durch die beziehungsreich orchestrierte Ausstellung zieht.

Das scheinbar böse Geschwür

Nehmen wir Lois Weinbergers Arbeit „Invasion“, die die Besucher:innen gleich zu Beginn der Schau begrüßt. Die Schaufensterpuppe wirkt wie eine surrealistische Skulptur. Die seltsam geriffelten Halbrunde, mit denen sie überzogen ist, entpuppen sich bei näherer Betrachtung aber als Zunderschwämme: Pilze.

Der Parasitenpilz, der sich gelegentlich beim Waldspaziergang an Bäumen findet, sieht aus wie ein bösartiges Geschwür. In Wahrheit transformiert er Holz zu Mutterboden und dient als Katalysator für Mini-Ökosysteme. Zunderschwamm wird auch als Heilpflanze oder Feuermaterial eingesetzt. Dass Weinberger, der im Frühjahr verstorbene, bescheidene Pionier der Öko-Kunst, ihn hier dem Homo sapiens appliziert hat, macht die Skulptur zum Sinnbild: Auch der Mensch ist Teil eines Kreislaufs, den er nur bei Strafe des eigenen Untergangs unterbricht.

Die Rückkehr zu diesem Kreislauf, die Unterordnung des Menschen unter die vermeintlichen „Gesetze der Natur“ gehört zu den Essentials der Ökologiebewegung. Man mag das für einen naiven Euphemismus halten. Mit dem Bild einer nackten Frau, die sich mit geschlossenen Augen innig um einen gewaltigen Baumstamm schmiegt, von Gräsern und Blumen bedeckt, hat Melanie Bonajo freilich ein bezwingendes Bild für diesen Glauben gefunden. In einer Video-Serie hat die selbsternannte „Digital-Öko-Feministin“ Menschen porträtiert, die sich der kapitalistischen Verwertung von Natur zu entziehen versuchen: Sie betreiben Gemeinschaftsgärten oder leben allein im Wald, essen nur, was die Natur ihnen tagtäglich bietet.

Dass die individuelle Umkehr, für die diese Beispiele stehen, eine ökologische Systemwende einleiten könnte, ist eher unwahrscheinlich. „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ – der Titel der Schau, der eigentlich aufruft, wie wenig die alten Gewissheiten noch gelten, wird hier in anderer Form sinnfällig. Ein:e tree-hugger verhindert das Waldsterben nicht. Aber als Memento für einen anderen Stoffwechsel mit der Natur – so nennen Materialisten das überzeugend entfaltete Thema der Ausstellung – taugt die Arbeit dann doch.

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