Kunst in Autos in Berlin: Die Stunde der Art Cars
Das Projekt „Carpark“ lässt Pkws zum Kunstort werden. Installationen im öffentlichen Raum und ein Filmprogramm drehen sich um die fahrenden Gefährten.
Eingeschneit verstärkt sich der naturgewaltige Effekt von Nike Kühns Autoinstallation noch: Die Scheiben sind von Schnee bedeckt, jedoch einen Spalt breit offen gelassen, sicher damit der Japanische Staudenknöterich, der im Innern des Fahrzeugs gedeit, wenigstens etwas Sauerstoffzufuhr abseits der Photosynthese hat, an der er in Berlin oft bewusst gehindert wird.
In der Stadt schmiegt sich so ein zum Pflanzenkübel umfunktioniertes Auto weniger vertraut ins Bild als auf dem Land, wo schon mal der ein oder andere alte Käfer pflanzenbewachsen auf einem Grundstück steht, so als Memento an die Fahrten zu Rockkonzerten in den 70ern oder dem einen Date, das alles veränderte.
Beim Kunstprojekt CARPARK – unter Beteiligung von Dennis Dizon, Anna Ehrenstein & Rebecca Korang, EVBG (Marie Sophie Beckmann & Julie Gaspard), Luki von der Gracht, Tara Habibzadeh, Kinga Kielczynska, Nike Kühn und Göksu Kunak – sind dafür gleich mehrere der Autos bewachsen, die sich als Installationsräume auf diverse Parkplätze in Mitte und Kreuzberg verteilen.
CARPARK. Verschiedene Orte in Kreuzberg und Mitte, bis 19. 2., Außeninstallationen 24 Std. einsehbar, Sound je 9–21 Uhr; Audioinstallation von Kinga Kielczynska, ab 15. 2., Bauhütte Kreuzberg; Infos und Film von Peng Zuqiang: www.carpark.berlin; 19. 2.: Finissage mit Performance und Screenings, ab 18 Uhr vor und in Halle 3, Dorfplatz Dragonerareal, Obentrautstr. 19–21
Auf dem Dragonaareal (Seite Mehringdamm) ist das Kühns Installation „Alien Species“ mit dem Staudenknöterich. Dass hier mal Menschen zu Werk waren, lässt sich nur noch am grellgrünen Duftbäumchen erkennen, das hier mit der Aufschrift „Wunderbaum – Grüner Apfel“ vom Spiegel baumelt. In der Fahrerkabine schaut gerade noch so der Schaltknauf aus der Erde, der Rest gehört bereits der Pflanze. Neophyten wie sie sind oft mit bedrohlichen Adjektiven wie „invasiv“ belegt, gleichzeitig zeigen sie in der Klimakatastrophe besondere Widerstandskräfte. Mitschuld an dieser Klimakrise tragen ja auch nicht die Autos per se, sondern die Treibstoffe, die traditionell für sie verwendet werden.
Auf der anderen Seite des Dragonerareals gibt es zur Finissage des von Savannah Thümler kuratierten und unter der künstlerischen Leitung von Marenka Krasomil organisierten Projekts eine Performance von Göksu Kunak und ein Filmscreening des kuratorischen Kollektivs EVBG voller Autofilme. Dort wird als Gegengewicht zu Kühns kürzlich noch eingeschneitem Pkw auch Dennis Dizons dampfende Autoinstallation „hotboxx“ (2023) zu sehen sein, die nach Harz riecht (Eingang über Auto Klas).
Brandneue Kraftstoffe
Die Installation ist Teil von Dizons künstlerischem Forschungsprojekt „too cool to burn“ über die Harzgewinnung aus Kiefern im Mittelmeerraum. Dieser Harz steht ganz oben auf der Liste der Ersatzstoffe für Erdöl und wird bereits bei bestimmten Tinten und Farben, sowie, je nach Gewinnungsart, sogar als Biokraftstoff gehandelt. Allerdings ist er extrem entflammbar, was bei der steigenden Anzahl an Waldbränden nichts Gutes heißt.
Autos sind aber nicht nur Umweltfresser und Platzräuber, sondern auch Freiheitsschenker und Rückzugsorte. Zweite Zuhause können nicht nur Lkws, sondern auch Pkws sein. Die imaginäre Fahrer*in von Tara Habibzadehs Wagen muss wohl am liebsten „Freed From Desire“ auf ihren*seinen Fahrten gehört haben, dazu für die Pausen Bücher der Genderforscherin Afsaneh Najmabadi. In GALAs Song mischt sich schließlich die Stimme eines jungen Mannes, der Arbeiter in der Ölraffinerie in Abadan beim Streik filmte.
Ab Mittwoch, den 15. 2., kommt noch für einige Tage Kinga Kielczynskas Installation „XVII“ zur dezentralen Ausstellung dazu. Die Künstlerin wird ihr Vehikel auf dem Gelände der Bauhütte Kreuzberg parken. Sie arbeitete bereits filmisch zum Bialowicza-Urwald in Polen und kennt sich mit bewachsenen Autos aus, die sie zum Beispiel auf der Manifesta 12 in Palermo zeigte oder aber in nicht weiter identifizierten Wäldern ausstellt und fotografisch dokumentiert: Die Welt ohne Mensch, frei nach Alan Weisman.
Kassettendeck, Platz für etwas Kleingeld und die Hand vom Beifahrersitz aus dem Fenster gestreckt, um mit ihr auf der Luft zu surfen. So könnte auch die Fahrt der zwei Männer in Peng Zuqiangs Super-8-Film „keep in touch“ verlaufen sein bevor sie hier im Wald geparkt haben, um sich – das Auto zwischen ihnen – unentschlossen, aber voneinader angezogen, gegenüber zu stehen. Der experimentelle Kurzfilm, der für die gesamte Projektlaufzeit auf der Webseite zu sehen, ist ein queeres Zeugnis der Zärtlichkeit.
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