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Kulturwissenschaftler über Rassismus„Schwarze erscheinen als roh“

Rassistische Ressentiments verkürzen die Gewaltdebatte, sagt David Leonard. Und er erklärt, warum Football die Heimstatt der Political Incorrectness ist.

Zivilisiert und elegant: weiße Football-Fans Bild: reuters
Interview von Sebastian Moll

taz: Professor Leonard, Sie haben jüngst geschrieben, dass Football-Spieler wie Ray Rice und Adrian Peterson als Prügelknaben für wesentlich tiefere soziale Probleme herhalten müssen. Wie meinen Sie das?

David Leonard: „Prügelknaben“ ist vielleicht etwas übertrieben. Ich will sie ja nicht aus der Verantwortung für das, was sie getan haben, entlassen. Es geht eher darum, dass es uns in Amerika leichter fällt, über Dinge wie häusliche Gewalt oder Gewalt gegen Frauen zu sprechen, wenn wir es an schwarzen Athleten festmachen können. Wir können diese Themen auf diese Art und Weise mit vorhandenen Vorurteilen verquicken und sie von uns fernhalten. So kann sich das Land einreden, das Problem wäre handhabbar.

Man muss nur die Spieler suspendieren, dann braucht man nicht mehr über häusliche Gewalt zu sprechen?

Ganz genau. Man hört und liest in den vergangenen Wochen unglaublich viel über das Versagen der Liga, über die Inkompetenz von Roger Goodell. Man liest hingegen viel weniger über das Thema der häuslichen Gewalt und der Gewalt in intimen Beziehungen, wie sie uns überall um uns herum begegnen.

Welche Diskussionen hätten Sie sich denn speziell gewünscht?

Zum Beispiel eine Diskussion darüber, wie wir in unserer Kultur Gewalt glorifizieren, oder aber auch darüber, wie wir Männlichkeit definieren. Spannend wäre auch ein Blick darauf, wie der Football immer wieder vorlebt, dass Gewalt zu Erfolg und Reichtum führt. Es gab kurze Augenblicke, in denen diese Dinge anklingen, etwa in der Ansprache des Sportmoderators James Brown bei der ersten NFL-Übertragung, nachdem der Skandal öffentlich wurde. Aber das geht dann nicht sehr tief. Stattdessen reden wir jetzt darüber, dass es im Football ein paar faule Äpfel gibt und wie wir sie schnell loswerden.

Es geht also um Disziplinieren und Strafen anstatt um Selbstreflexion, ähnlich wie beim Thema Doping?

Ja, wie beim Doping, aber letztlich wie in unserem gesamten Strafrechtssystem. Es geht um Strafe, aber nie um wirkliche soziale Gerechtigkeit. Es ist doch bei Ray Rice und Adrian Peterson genau so, wie wenn es in unserem Strafrechtssystem um Drogendelikte durch Afroamerikaner geht. In unserem Land werden Afroamerikaner implizit und explizit für das Drogenproblem unserer Gesellschaft verantwortlich gemacht. Die Inhaftierungszahlen sprechen da eine eindeutige Sprache. Die Institutionen des Landes und die weiße Mittelschicht zieht damit komplett den eigenen Kopf aus der Schlinge, auch wenn die Statistiken belegen, dass Drogenmissbrauch unter Weißen ein mindestens ebenso großes Problem ist. Dennoch wird beinahe ausschließlich die schwarze Bevölkerung bestraft. Und das grundlegende Problem einer süchtigen Nation wird nicht angesprochen.

Bild: privat
Im Interview: David Leonard

Professor für Kulturwissenschaft und Gender Studies an der Washington State Universität. Leonard beschäftigt sich mit der Rolle schwarzer Athleten in der amerikanischen Kultur. In der Folge des NFL-Skandals der vergangenen Wochen um gewalttätige Profis hat er einen viel beachteten Essay darüber veröffentlicht, wie im Football schwarze Sportler dazu benutzt werden, von grundlegenden sozialen Problemen abzulenken. Im Jahr 2012 ist sein Buch „After Artest: The NBA and the Assault on Blackness“ bei State University of New York Press erschienen. Darin erläutert er den oft unbeholfenen Umgang der Basketballliga mit schwarzen Spielern.

Gewalt in Amerika wird also zum Problem von afroamerikanischen Sportlern, die einfach nicht zu bändigen sind.

Schwarze Athleten werden in unserer Kultur als hypermaskulin dargestellt. Sie erscheinen als roh und wild, nicht vollständig zivilisiert, das macht auch die Attraktion aus. Das ganze Spektakel des Footballs basiert auf kaum etwas anderem als auf dem Betrachten dieser Halbwilden in Aktion. Das äußert sich nicht zuletzt auch darin, dass wir deutlich weniger Empathie empfinden, wenn wir schwarze Körper in Schmerzen sehen. So sind uns die Langzeitfolgen dieses gewalttätigen Sports, wie etwa die Epidemie der Hirntraumata, relativ gleichgültig. Wir sehen den schwarzen Athleten nicht als vollständig human an.

Ist das große Sportbusiness also doch eine Art moderne Sklaverei?

Nun, die Sportler verdienen natürlich gut, aber lange nicht so gut wie Team-Besitzer und Manager. Da findet zweifellos eine Ausbeutung statt, die wir damit rechtfertigen, dass sie ja ohne den Sport nicht annähernd den Erfolg und die Anerkennung hätten, die sie auf dem Spielfeld bekommen. Und wir brüsten uns damit, dass wir ihnen Moral und Werte vermitteln, dass wir sie erziehen und kultivieren.

Der schwarze Mann wird stubenrein gemacht?

Ganz genau. Und in Momenten wie diesen kommt das wieder ganz deutlich zum Vorschein. Man wirft der NFL vor, dass sie die Athleten nicht ausreichend diszipliniert, es werden neue Maßregeln und Erziehungsprogramme gefordert. Der Sportler soll noch stärker überwacht werden als ohnehin schon. Die NFL muss die Ängste der Medien, der Sponsoren und der Fans vor dem unbändigen schwarzen Mann beschwichtigen.

Die Milliardenmaschine muss also am Laufen gehalten werden.

Die beruht nun einmal auf dem Spektakel der Gewalt zwischen vorwiegend schwarzen Männern. Das ist in der Sportgeschichte nicht neu. Boxen ist sicherlich das beste Beispiel – die weiße, männliche Mittelschicht ergötzt sich daran, dass Schwarze sich gegenseitig Gewalt antun. Und vor den Schwarzen waren es irische und jüdische Boxer. Wichtig war nur, dass Leute, die anders sind als wir, im Ring stehen.

Warum kann die NFL nicht offen darüber sprechen, was sie verkauft? Warum kann der Sport da nicht ehrlich sein?

Es passt nicht in die gängigen Fabeln, die der Sport über sich selbst erzählt und die weltweit kommerziell so erfolgreich sind: dass Sport angeblich postrassistisch ist – auf dem Spielfeld wie unter den Fans. Oder dass Sport etwa eine Art Erziehungsanstalt ist, welche die Sportler zu besseren Menschen macht. Es ist so wie insgesamt beim Reden über Rasse in Amerika. Wir sprechen ständig darüber, aber nie wirklich. Wir verurteilen individuellen Rassismus, aber schweigen über die tiefer liegenden rassistischen Einstellungen, die wir alle mit uns herumtragen.

Warum, glauben Sie, ist die NFL so erfolgreich, welches tiefe Bedürfnis in der US-Kultur befriedigt das Spiel?

Ein wichtiger Aspekt ist sicher die vereinfachte Vorstellung von echter Männlichkeit, die sie transportiert. Dazu passt auch der Militarismus, den der Football verkörpert. Amerika liebt sein Militär, Krieg ist eine unserer beliebtesten Unterhaltungsformen. Die Verquickung von Militär und Football ist ja unverhohlen: Bei der Superbowl fliegen Kampfjets übers Stadion und das Pentagon gibt 10 Millionen Werbe-Dollar im Jahr für den Football aus. Ganz abgesehen davon, dass die narrative Struktur des Footballs dem Krieg angeglichen ist.

Aber Krieg und Gewalt sind doch spätestens seit Irak und Afghanistan auch in den USA für die breite Öffentlichkeit nicht mehr gänzlich unproblematisch, ebenso wenig wie das Ausbeuten schwarzer Körper.

Ich denke, im Football kann man all das weiterhin ausleben, ohne dass es problematisiert wird. Es ist ein letztes Refugium der Political Incorrectness. Es wird beispielsweise nie eine Diskussion geben, ob es negative Auswirkungen auf Kinder hat, wenn sie sich jede Woche die Gewalt auf dem Football-Platz anschauen.

Haben Sie denn gar keine Hoffnung, dass der Football-Sport und die Kultur, die ihn trägt, sich in der Folge der gegenwärtigen Skandale verändert?

Nicht sehr nachhaltig. Die Systemfrage wird kaum gestellt.

Welche Art von Reaktion würden Sie sich denn wünschen?

Zunächst einmal müsste man genauer den Zusammenhang zwischen Hirntrauma und häuslicher Gewalt beleuchten. Die Häufigkeit von Gehirnverletzungen im Football und die Häufigkeit von Gewaltausbrüchen abseits des Feldes können kein Zufall sein, aber es wird kein Geld für wissenschaftliche Untersuchungen ausgegeben. Außerdem sollte die NFL Organisationen unterstützen, die sich mit alternativen Formen der Männlichkeit beschäftigen. Schließlich würde ich mir wünschen, dass nicht nur Spieler diszipliniert und trainiert werden. Was fehlt, ist eine Sensibilisierung der Trainer und Manager für die Kultur der Männlichkeit, die sie da fördern und aufrechterhalten.

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6 Kommentare

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  • Der Artikel tut irgendwie so, als wäre gerade Football eine Art Gladiatorenkampf. Das ist vom Effekt auf das Publikum her sicher nichts neues, wohl aber bezüglich der Situaton der Athleten und der Spielregeln. American Football ist ja nicht zuletzt deswegen vielen Europäern so dröge, weil bald jeder Schritt reglementiert ist (okay, das eliminiert wiederum das allermeiste an Verletzungsgefahr). Es gibt diese Industrie, die diesen Superstardom der Athleten befeuert und sie zu Königen macht. In jeder Sportart. Und mit viel geld und damit macht kommt eher mal das Arschloch raus, das der Normalo sonst zugedeckt lassen muss, das weiß jeder.

  • D
    D.J.

    "Wir"

     

    Zunächst wunderte ich mich über die Pauschalisierung. Dann las ich "Gender Studies". Und die haben nun mal ihre Abzweigungen, bei denen Pauschalisierungen nicht als unwissenschaftlich gelten (natürlich nur in ganz bestimmten Kontexten, sonst gelten sie natürlich ebenfalls als unwissenschaftlich). Womit ich jetzt nicht den gesamten Arikel verdammen möchte, wohl aber die fragwürdige Wortwahl, die wohl von allen mir bekannten Kulturwissenschaftlern abgelehnt würde.

    • @D.J.:

      Auch unwissenschaftlich und damit in der Diskussion nicht hilfreich, ist eine Argumentation die auf eigener Erfahrung fußt. Vielleicht würden die Kulturwissenschaftler aus dem Bekanntenkreis einer anderen Person, die hier an der Diskussion teilnimmt, diese Wortwahl ja begrüßen. Dem Fortkommen der Diskussion wäre in jedem Fall nicht geholfen.

       

      Zum eigentlichen 'Problem' des "Wir" bleibt dann aber nur zu sagen, dass das Interview wohl auf Englisch (US-amerikanischer Art) geführt wurde. Und das "we" wird da dann durchaus so verwendet.

      • D
        D.J.
        @Alhago:

        Sehen Sie, das ist der wesentliche Unterscheid: Ich habe den "Untersuchungsbereich" eingegrenzt - mein Bekanntenkreis - und sogar innerhalb dieses Kreises eine gewisse Unsicherheit über deren Haltung augedrückt ("wohl").

        Ich habe übrigens für mich lange nachgedacht: Nein, für mich scheint es absurd, dass ich bei "Schwarzen" weniger bei Verletzungen mitfühlen würde. Es ist, denke ich, eher eine Frage der körperlichen Statur: Der Schmächtige - gleich welcher Hautfarbe - erzeugt eher Mitleid. Eigentlich banal, denke ich.

        • @D.J.:

          Das ist ja auch völlig in Ordnung, dass Sie den Untersuchungsbereich eingrenzen. Da es aber keine Eingrenzung im Sinne einer wissenschaftlichen Präzisierung oder Ähnlichem ist, wird diese Diskussion nicht auf wissenschaftlicher Ebene geführt, sondern eher im Gegenteil - unwissenschaftlicher. Nichts anderes war der Kernpunkt meiner Aussage. Ich habe natürlich kein Problem damit, hier Erfahrungen auszutauschen.

           

          Vor allem würden mich die Erfahrungen interessieren die zur (persönlichen) Hypothese führen "Je schmächtiger ein Mensch ist, desto größer ist das Mitleid, dass ich empfinde."

        • D
          D.J.
          @D.J.:

          Sorry, Pauschalisierungsfalle: es müsste heißen: ... erzeugt bei mir eher Mitleid.