piwik no script img

Kultursymposium über DigitalisierungAuf lange Sicht optimistisch

Nachdenken über Orientierung: Das zweite Kultursymposium Weimar des Goethe-Instituts hat Intellektuelle aller Kontinente versammelt.

Direkte Konfrontation von Mensch und Maschine: Performance von Huang Yi Foto: Jörg Gläscher/Goethe-Institut

Alte Faustregel: Navigare necesse est. Seefahrt ist nötig. Etwa um anderen zu Hilfe zu kommen, sogar bei Sturm. Für Nichtschiffer gilt diese Regel in abgewandelter Form auf dem Smartphone. Da ist das Navigationssystem oft nötig, um von einem Punkt zum anderen zu gelangen.

Orientieren ist längst zu einer der Angelegenheiten geworden, die von Maschinen, von Algorithmen übernommen werden. „Die Route wird neu berechnet“, lautete denn auch der aus der Sprache der Online-Kartendienste entlehnte Titel des zweiten Kultursymposiums Weimar, das das Goethe-Institut vergangene Woche ausrichtete. Sich im Digitalen orientieren diente als Leitmotiv für die über 50 Veranstaltungen mit mehr als 70 Wissenschaftlern, Künstlern und Intellektuellen von allen Kontinenten. In immer neuen Konstellationen ließ sich über drei Tage verfolgen, wie aus verschiedenen Perspektiven an einer Gegenwartsanalyse im Hinblick auf mögliche Richtungen für die Zukunft gearbeitet wurde.

Nach vier Themen geordnet, suchten die Referenten etwa allgemein nach Orientierung in der Welt, erörterten die Aussicht für Autonomie im Zeitalter der künstlichen Intelligenz, analysierten die Regression im politischen Diskurs durch erstarkenden Populismus oder erkundeten unter dem Titel „Diginomics“, wie sich die Wirtschaft rapide wandelt.

Dabei deutete sich an, dass die Sicht auf die Gegenwart durch sich einschleifende Formeln eher eingeschränkt als geschärft wird, etwa in der Frage, wie „Orientierung in einer zunehmend komplexen Welt gelingen“ könne. Der Thüringer Minister für Kultur Benjamin-Immanuel Hoff präzisierte in seinem Grußwort zur Eröffnung am Mittwoch: Die Welt sei „immer schon komplex“ gewesen. Neu sei vielmehr ein soziologischer Befund, so Hoff: Erstmals herrsche in unserer Gesellschaft die Ansicht vor, dass künftige Generationen nicht wie bisher ein Mehr an Wohlstand zu erwarten hätten, sondern weniger davon. Und für den mit dieser Haltung eng verbundenen Populismus-Diskurs schlug er vor, Populismus als eine Reaktion auf eine „unpolitische Politik“ zu verstehen.

Die folgenreiche Vorstellung

Eine im Kern ähnliche Analyse zum Erstarken des Populismus präsentierte zwei Tage später der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder. In seinem Vortrag illustrierte er entlang der Begriffe von Raum und Zeit das „schmutzige kleine Geheimnis“ der Demokratie und wie dies dem Populismus in die Hände gespielt habe. So sei Politik etwas, das sich stets in Raum und Zeit zusammen ereigne. Die Demokratie habe dabei immer auf Raum als Ressource zurückgreifen können. Für den französischen Philosophen Alexis de Tocqueville seien die USA im 19. Jahrhundert daher das Versprechen auf eine sich räumlich ausbreitende Demokratie schlechthin gewesen.

Heute jedoch sei der Demokratie der Raum abhandengekommen, so Snyder, da alle geopolitischen Räume nach 1989 besetzt wurden. Damit habe sich auch die Vorstellung von Zeit gewandelt. Denn mit dem Populismus sei im politischen Diskurs erstmalig die Idee aufgekommen, dass es „keine Zukunft“ gebe. Mit dem Vorteil, dass man, wenn man die Idee der Zukunft „tötet“, auch keine politische Alternative anbieten muss.

Snyder machte ausgerechnet demokratische Politiker der neunziger Jahre wie Tony Blair für diese Entwicklung verantwortlich. Durch die Vorherrschaft der These vom „Ende der Geschichte“ habe sich damals eine „Politik der Alternativlosigkeit“ etabliert. An der orientierten sich dann Staaten wie Russland, das im Übrigen gar nicht so anders sei als der Westen. Mithin gebe es in der Politik Russlands keine Zukunft, was sich unter anderem an der Ausbeutung von Ressourcen wie Öl und Gas zeige – und daran, dass Kritik am Klimawandel dort einen schweren Stand habe. In ähnlicher Weise nehme das Land auf andere Staaten Einfluss, so in den US-Präsidentschaftswahlen 2016, bei denen man die Politik hin zu ihren Extremen „geschubst“ habe.

Die Folgen des sich auch hierzulande extremer gerierenden politischen Diskurses benannte die Grünen-Politikerin Claudia Roth auf einem Panel zur „Verrohung der Sprache im politischen Diskurs“. Dass mit dem Einzug der AfD die Sprache im Bundestag „radikaler und härter“ geworden sei, beobachte sie als dessen Vizepräsidentin. Zur Lektüre empfahl sie Victor Klemperers Buch „LTI“. An dessen Aktualität erinnerte sie im Hinblick auf den Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke mit den Worten: „Nach dem Sagbaren aber kommt das Machbare, dem Angriff auf die Menschlichkeit folgt der Angriff auf den Menschen.“ Roth erwähnte ebenfalls die Hass-E-Mails, die sie seit Jahren erhält, und wie sie sich mit öffentlich Lesungen, den „Hate Slams“, dagegen zur Wehr gesetzt habe. Überzeugend auch ihr Plädoyer für Anstand und politische Korrektheit, die ein hohes Gut seien, das man zurückholen müsse.

Begriffe re-framen

Roths Podiumskollegin, die ungarische Medienwissenschaftlerin Anna Szilágyi, unterstützte diesen Gedanken mit dem Hinweis, dass ungeachtet des „Framings“ von Begriffen wie „Migrant“, der von einer neutralen Beschreibung zur Verunglimpfung gemacht worden sei, man solche Begriffe auch „re-framen“ könne. Man müsse sie dazu wieder – erfolgreich – in ihren ursprünglichen Zusammenhang stellen.

Bei der Schärfung des Blicks auf Gegenwart und Zukunft ging es andernorts auch um vermeintlich banale Angelegenheiten wie das „Gefühl der Verlorenheit“, dem sich ein Panel widmete. Ein Gefühl, das man beinahe in die Wiege gelegt bekommen kann, wenn man wie die Schriftstellerin Panashe Chigumadzi in Simbabwe geboren und in Südafrika aufgewachsen ist. Ihre Muttersprache Shona habe sie in Südafrika verlernt und sich später wieder aneignen müssen. Sie habe sich auch die Geschichte Simbabwes nachträglich aneignen müssen, da diese in der offiziellen Geschichtsschreibung stark verkürzt sei. „Dem Westen“ warf sie in dieser Hinsicht vor, dass er Länder wie Simbabwe pauschal als Dinge betrachte, die aus dem Nichts gekommen seien.

Eine ähnliche Dichotomie zwischen dem Eigenen und „dem Westen“ machte die ebenfalls auf dem Panel vertretene chinesische Schriftstellerin Hao Jingfang auf. Sie erfahre im Westen eine „kulturelle Verlorenheit“, da dort die Sicht vorherrsche, es gebe „den Westen“ und „den Rest“. Hier hätte man sich eine etwas kontroversere Erörterung beider Standpunkte gewünscht. Stattdessen blieb es bei einem zustimmenden Nebeneinander von Meinungen.

Eine direkte Konfrontation suchte dafür der taiwanesische Choreograf Huang Yi. In seiner Tanzperformance trat er gegen einen Fertigungsroboter an, der so programmiert war, dass Mensch und Maschine sich oft synchron bewegten. Eine simulierte Interaktion, die in ihrer unterschwelligen Demonstration der kategorischen Verschiedenheit von Mensch und Maschine – der Roboter weiß nichts von seinem Gegenüber oder davon, dass seine Bewegungen ein Tanz sein sollen – etwas Melancholisches hatte. Und etwas Bedrohliches, denn der Sychrontanz löste beim Zuschauen beständig die Furcht vor einem Unfall durch eine falsche Bewegung des Roboters aus.

Wachsam, nicht verzweifelt

Apropos Furcht: Von den Moderatoren auf den Podien kam hier und da der Hinweis, man wolle das Gespräch mit einem optimistischen Ausblick beenden. Was ein wenig wirkte, als habe man Sorge, das Publikum könnte in Kulturpessimismus verfallen. Und selbst ein Wissenschaftler wie der australische Computerwissenschaftler Toby Walsh, der in seinem Vortrag über die Zukunft im Jahr 2062 scheinbar naiv die Vorzüge der Künstlichen Intelligenz vom autonomen Fahren bis zur Gesichtserkennung pries, gab tags darauf zu Protokoll, er sei in langfristiger Perspektive durchaus optimistisch, auf kurze Sicht hingegen pessimistisch. Was kein Grund zum Verzweifeln ist. Aber einer zum Wachsambleiben.

Dass der Generalsekretär des Goethe-Instituts Johannes Ebert zum Abschluss ankündigte, man wolle das Kultursymposium als Format fortsetzen, ist allemal eine gute Nachricht für die Zukunft. Nicht allein wegen der geballten intellektuellen Prominenz, die in kurzer Zeit zu erleben war. Auch wegen der vielen Begegnungen am Rand. So kam man beim Kaffee ins Gespräch mit Journalisten aus Malaysia oder Pakistan, aß mit dem Leiter des Ukrainian Institute, des ukrainischen Äquivalents des Goethe-Instituts – oder mit dem Gründer eines alternativen Sex-Shops in Sachsen. Offener Austausch für eine offene Zukunft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!