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Kultursenator Joe Chialo tritt zurückMangelndes Feingefühl

Berlins Kultursenator Joe Chialo tritt zurück. Er hinterlässt einen Scherbenhaufen und die Frage, was für eine Zukunft die Kultur der Stadt erwartet.

Tritt zurück: Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) Foto: Christoph Soeder/dpa

Nun hat er also auf sein oft beschworenes Bauchgefühl gehört. Am Freitagvormittag ließ der Berliner Kultursenator Joe Chialo seinen Rücktritt verkünden.

Ganz überraschend kommt die Nachricht nicht. Schon seit Wochen raunt sich die Kulturszene mögliche Berliner Nachfolger für Chialo zu, der lange als potenzieller neuer Kulturstaatsminister gehandelt wurde – über den jedoch auch geflüstert wurde, er wolle wohl wieder in die Kreativwirtschaft wechseln, sollte ihm der Aufstieg in die Bundespolitik verwehrt bleiben.

Klar ist, dass der Kultursenator mehr und mehr Rückhalt in der Hauptstadt verlor – in der Kulturszene, die sich nach den radikal überproportionalen Kürzungen des Kulturetats zu Recht im Stich gelassen fühlte, in der Öffentlichkeit, die gar nicht so schnell die Nachrichten verfolgen konnte, wie ihr der freie Museumssonntag weggenommen, Theatertickets erhöht und stadtweite Programme wie „Draussenstadt“ gestrichen wurden.

In den letzten Monaten krachte es offenbar auch im eigenen Regierungslager. Das Verhältnis von Chialo zu seiner Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson soll zerrüttet sein, und auch seine Beziehung zum Regierenden Bürgermeister Kai Wegner habe angeblich stark unter der restriktiven Haushaltspolitik und Chialos Umgang damit gelitten.

Den Kultureinrichtungen der Stadt in den Rücken gefallen

Aus allen Richtungen lauten die Hauptvorwürfe, Chialo habe die Auswirkungen der Kürzungen zu spät verstanden, zu spät kommuniziert und sei damit den Kultureinrichtungen der Stadt in den Rücken gefallen, anstatt sie zu schützen.

Sein Rat, sich doch ein Vorbild an der kommerziellen Kulturwirtschaft zu nehmen und sich Hilfe durch Kooperationen mit privaten Sponsoren zu suchen, wurde in der Szene wutschnaubend von vielen Seiten als zynisch zurückgewiesen – auch wenn in Anbetracht des Tempos, in dem die Häuser der Stadt gerade bereitwillig die Arme für die Privatwirtschaft öffnen, unklar bleibt, wie viel der Empörung nur ein Lippenbekenntnis für die Kunstfreiheit war.

Zuletzt eröffnete Wegner persönlich einen sogenannten Kulturdialog, in dem er sich mit den führenden Ver­tre­te­r:in­nen der Berliner Kulturlandschaft über die drastischen Sparmaßnahmen und deren Folgen austauschte – über den Kopf seines eigenen Kultursenators hinweg.

Nun nennt Chialo selbst die Einsparungen im Kulturhaushalt, die er „schweren Herzens“ mittrug, und die darauffolgende Konzentrierung der Kritik auf seine Person, die eine konstruktive Diskussion erschwert habe, als Gründe des Rücktrittsgesuchs: „In dieser Situation sehe ich es als meine Verantwortung, Raum für neue Perspektiven zu schaffen“, heißt es in der dpa-Meldung zum Rückzug.

Die Probleme in Chialos Amtszeit waren nicht zu übersehen. Neben dem kläglichen Einsatz für den Kulturetat und einem mangelnden Feingefühl für die Berliner Kulturszene – insbesondere abseits des prestigeträchtigen oder kommerziell-popkulturellen Mainstreams – machte Chialo vor allem mit seiner umstrittenen, schlecht gestrickten und folgerichtig rechtlich nicht haltbaren Symbolpolitik um die „Antisemitismusklausel“ von sich reden, mit der er die Förderung antisemitischer und rassistischer Inhalte mit öffentlichen Mitteln verhindern wollte. Ebenso mit dem verfehlten Vorstoß, die Zentrale Landesbibliothek in das Gebäude der ehemaligen Galeries Lafayette zu verlegen.

Ein bitterer Beigeschmack

Chialos Rücktrittsentscheidung ist angesichts des hinterlassenen Scherbenhaufens nachvollziehbar. Vielleicht hoffte er bis zuletzt auf einen erlösenden Ruf durch Friedrich Merz' in den Bund, um seinen hausgemachten Problemen und dem Hauptstadtklüngel zu entfliehen. Vielleicht zog Chialo wirklich persönlich die Konsequenzen aus seiner versagten Politik und wollte mit erhobenem Kopf gehen, um das Feld für jemanden Kompetenteren zu räumen.

Die Berliner Grünen fordern bereits, dass Kai Wegner nun selbst die Verhandlungen um den nächsten Kulturhaushalt übernehmen solle. Und vielleicht bleibt genau deshalb ein bitterer Beigeschmack: Chialos Fehler waren offensichtlich – und doch sollte man nicht vergessen, dass es der Regierende Bürgermeister Kai Wegner war, der den Kassiererinnen der Stadt unterstellte, kein Interesse an den Opernhäusern zu haben, sodass sie von den subventionierten Tickets ohnehin nicht profitieren würden.

Chialo geht, doch Wegner wird bleiben. Und mit ihm das Gefühl, dass vielleicht mal wieder der Botschafter mit der Botschaft verwechselt wurde, während derjenige, der sie ursprünglich verantwortete, als heldenhafter Scherbenkitter auftreten kann. Ob die Berliner Kultur nun tatsächlich einer besseren Zukunft entgegenblickt, bleibt abzuwarten.

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11 Kommentare

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  • Sofern die - zunehmend überfüssig werdenden - Kassiererinnen aufstocken, was ich nicht für ausgeschlossen halte in Berlin, dann hätten die aber zumindest einen nachvollziehbaren Grund, der Oper fernzubleiben. Im Regelsatz sind derzeit für "Freizeit, Unterhaltung, Kultur" 54,92 Euro vorgesehen, für "Bildung" 2,03 Euro (beides pro Monat). Wobei ersterer der Posten sein dürfte, aus dem man die Unterfinanzierung der Wohnkosten abfedert bzw. nach "Verkehr" umschichtet, wo die 50,49 Euro nicht reichen (denn das www.bvg.de/de/abos...aq-berlin-ticket-s halte ich in der Praxis für eine ziemlich schräge Nummer).

  • Queraussteiger.

  • Die Berliner Kulturszene ist eines der wichtigsten Argumente, sich in Berlin anzusiedeln. Das gilt für Privatpersonen genauso wie für Startups und andere Firmen. Dank dieser vielfältigen und lebhaften Kulturszene wird Berlin für junge Leute attraktiv und für die Welt sichtbar. Wer die Wirtschaft in Berlin fördern will, sollte sich also um die Berliner Kulturszene kümmern, also um Clubs, Museen, Konzerte, Bars, Galerien, Proberäume, Ateliers und vieles andere, was dort in aller Öffentlichkeit oder sehr versteckt stattfindet.

  • Na ja, das Problem mit Chialo ist, dass er antisemitischen Akteuren im Kulturbetrieb keine Förderung zukommen lassen wollte.

    Böse, böse, ein Anti-Antisemit im Berliner Kulturbetrieb. Das geht gar nicht. Prompt folgten Drohungen und Attacken auf Cialo und seine Familie. Wie das halt so ist in Deutschland, wenn man eine gewisse Szene gegen sich hat. Violence is the answer. Wie so einige andere, die es wagen den Mund aufzumachen, stehen Chialo und seine Familie jetzt unter permanentem Polizeischutz.

    Chialo hätte gut in den Job als Kulturstaatsminister gepasst. Da sind wir dann doch ein wenig enttäuscht von Merz.

    www.zdf.de/nachric...-konflikt-100.html

  • Schuld hat Wegner. Wer das Geld für teure Autopolitik und für die Reichen raushauen will, hat halt auch noch weniger für Soziales und Kultur in der Breite. Da hilft ein Mediencoup-Chialo herzlich wenig. Wegner könnte Lederer reaktivieren oder zumindest von ihm lernen.

    In Clubs herumhoppeln sollte bitte schon selbst finanziert werden, die Tanzkunst (mein Schätzchen ist sie nicht) darf gerne gefördert bleiben, dass da nicht der ICE nach Amsterdam, Köln oder Stuttgart fällig ist.



    Berlin hat durch die lange Teilung immer noch Dopplungen, doch es darf bei knapp 4 Mio. incl. der direkten Vororte schon auch mindestens eine zweite Oper bestehen.

    • @Janix:

      Und warum sollte sich, wer auch immer, für Wegner zum Prügelknaben machen? Und wie man das dann für eine Empfehlung fürs Bundeskabinett halten kann, ist mir ein Rätsel.

  • Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Kulturetat lediglich auf das Niveau von vor ein paar Jahren zurückgeht und Berlin unter Rot-Rot-Grün gerade im Bereich der kostspieligen Hochkultur enorm viel zusätzliches Geld vergeben hat, was absehbar nicht querfinanzierbar ist. Theaterkarten jeweils mit bis zu 400 EUR zu subventionieren funktioniert nicht ohne private Mäzene.

    Ich habe Chialo kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung mit ausschließlicher Beteiligung von "Tanzschaffenden" erlebt, die ohne steuerliche Förderung kein Programm machen können, weil der Zeitgeist keinen großen Bedarf an dieser Form des Tanzes mehr hat und fand das durchaus mutig von ihm. Muss man Chialo anrechnen, dass er sich das angetan hat.

    Und ja: Mit den Begriffen "Tanzszene" und "Berlin" verbinde ich doch eher das 24h Feiern in Clubs statt hochgeistige aufwändigste Choreographien in sterilen Opernhäusern für eine Mini-Zielgruppe. Ein oder zwei Opernhäuser weniger würden Berlin nicht schaden und mehr Spielraum für andere Kulturangebote eröffnen, die sich gegen den subventionierten Kulturbetrieb nicht durchsetzen können.

    • @Heike 1975:

      Eine Hauptstadt brauchte - neben den Rolex-, Gucci-, Cartier- oder Ferrari-Läden - schon immer auch die teure Hochkultur. Das war im alten Rom so, im London der Renaissance, im vor- und nachrevolutionären Paris sowieso und wird wohl auch in Berlin des 21. Jhdts. so sein müssen. Subventionieren muss man es, wenn man nicht will, dass im Publikum ausschließlich Millionäre sitzen.

      • @Aurego:

        Die Renaissance wäre wohl zügig Geschichte gewesen, wenn man sich mehrere Dutzend Opernhäuser geleistet hätte. Berlin bleibt auch mit ein paar weniger Häusern konkurrenzfähig und über die "Diversität" der Inanspruchnehmer der subventionierten Hochkultur-Karten, brauchen wir nicht wirklich zu diskutieren...

        • @Heike 1975:

          In der Renaissance hat man sich noch ganz andere Dinge geleistet. Sie sollten z. B. mal in Florenz vorbeischauen.



          Wenn Sie jedoch die Kultur nicht großflächig fördern, ist die Basis dessen, was an Qualität für die besten Häuser zusammenkommt, nicht ausreichend. Das fängt mit guten Kunst- und Musikschulen an, geht über die Hochschulen weiter und endet in der Mailänder Scala, im Museum Ludwig, in der Pinakothek der Moderne und ähnlichen Häusern.



          Die Kultur zu fördern, ist zudem relativ billig.