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Kulturschaffende in Zeiten von Corona„Vielen geht es richtig scheiße“

Schorsch Kamerun, Sänger von Die Goldenen Zitronen und Regisseur, im taz-Gespräch über abgesagte Festivals und Theaterproben per Zoom.

Drohbrief am Auto in Schleswig-Holstein des Nachbarn aus Hamburg, Schorsch Kamerun hinter Traktor Foto: privat
Andreas Fanizadeh
Interview von Andreas Fanizadeh

taz am wochenende: Herr Kamerun, wie leben und arbeiten Sie gerade?

Schorsch Kamerun: Wir sind nach Wochen des Homeoffice- Existierens auf St. Pauli als dreiköpfige Bagage nach Schleswig-Holstein durchgebrochen. Trotz Hamburger Kennzeichen völlig legal natürlich, als „Kernfamilienbesuch“. Vor Ort versuchen wir gerade gemeinsam mit dem verwegenen Ensemble des Münchner Residenztheaters qua digitaler Verbindung eine Radio-Preview-Premiere aufzunehmen. Am Ende soll ein sich steigerndes Triptychon aus Audio-, Film- und Bühnenaufführung für einen schnellstmöglichen Termin entstehen, geplant nach dem Menschenangst-Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang und Thea von Harbou.

Und das geht von der Küste aus?

Wie sagt man: den Umständen entsprechend. „Schmucke Gemüsebeilage“ nannte schon mein marschmusikbegeisterter Alter mein musisches Schaffen. Tatsächlich scheint der Neu-Startplatz für Künstler und Künstlerinnen gegenüber der vermeintlich relevanteren Wirtschaftswiederbeatmung derzeit ziemlich weit abgeschlagen.

Größere Konzerte und Festivals sind für den Sommer 2020 komplett abgesagt. Wie hart trifft das die Bands und die Musikszene, mit der Sie verbunden sind?

Vielen geht es richtig scheiße. Das liegt auf der Hand, wenn das, was du machst, im Prinzip abgeschafft ist. Ich weiß von Bands, die in größere Vorleistungen gegangen sind, völlig unversichert. Es herrscht eine riesige Existenzangst in der Szene.

Bild: privat
Im Interview: 

Schorsch Kamerun, geb. 1963, Timmendorfer Strand. Sänger der Goldenen Zitronen. Seit 2000 auch als Theaterregisseur und Hörspielautor tätig.

Wird ein Club wie der Golden Pudel in Hamburg die jetzige Krise überstehen?

Das ist längst nicht abzusehen. Unbezahltes DJ-Streaming ist zum Teil wirklich cool. Weil es neu kombiniert wird mit guten politischen Formaten, aber Clubs werden so natürlich null zu retten sein.

Sie selbst sind in den letzten Jahren hauptsächlich auf den Theaterbühnen präsent. Wie ist das nun, ruht da die Arbeit oder wie schaut es aus?

Na, wie gesagt, wir alle versuchen das, was „erlaubt“ ist. Wir müssen aber unser gegebenes Recht auf Arbeit noch viel lauter einfordern!

Gehen Sie davon aus, dass es im Herbst weitergeht? Mit Gesichtsmasken und zwei Meter Abstand auf Bühnen und in den Zuschauerräumen?

Wir müssen selbst herausfinden und vorschlagen, wie man aufführen kann. Und wenn das mit Zuschauerdesinfektionsduschen à la Südkorea, Vollmasken, Plexiglasscheiben zwischen Publikum oder mit luftigen Umherschweifinstallationen passiert, dann ist das eben so. Ich glaube, darstellende Künste können extrem flexible Shows für sehr unterschiedliche Zuschauersituationen. Aber klar, die großen Bühnen sind für eine andere Teilnehmersituation gebaut. Übergangsweise sollte trotzdem, bei Einhaltung der Gebote, extrem erfinderisch gespielt werden, auch mit den vorhandenen Räumen. Wer Häuser nur geschlossen hält, hat nicht genug über adäquates Aufmachen nachgedacht.

Ehrlich gesagt fürchte ich mich schon ein wenig vor einem Wettbewerb der Coronakritik-Überbietung in den kommenden Spielzeiten. Wie geht es Ihnen?

Ich gehe davon aus, dass die pfiffigen unter den Kunstschaffenden allein wegen Begriffsausleierung keinen Bock drauf haben, das C-Wort zum führenden Spielzeitthema auszurufen. Also, wahrscheinlich nicht.

Bietet die jetzige Phase der Entschleunigung eine Chance, das eigene Tun zu hinterfragen, oder stürzt die erzwungene Pause eher in Lethargie und Depression?

Bei aller Drastik der Situation, die Welt erscheint schon ein wenig sinnesreicher als zuletzt gewöhnt. So richtig mit echten Tiergeräuschen, Langgedanken, Materialausdünnung und ersten frei atmenden Humangeräuschen in den absaufenden Motorendiktaturen.

Was halten Sie von den vielen Versuchen, abgesagte Live-Events aus Theater oder Konzertsaal in den virtuellen Raum zu verlegen?

Das kommt darauf an. Wenn es extra für das „Medium“ Internet gedacht ist, kann das gehen. Schwierig finde ich Rockkonzerte nur für Kameras, verbunden mit der Hoffnung auf crazy Atmosphäre, vergleichbar einem physisch lauten, beschwipsten Club. Pariser Tänzerinnen und Tänzer dagegen, die einen Collage-Film aus lockeren Impro-Pieces im privaten oder öffentlichen Raum nur fürs Netz aufgereiht haben, berühren vielleicht gerade sehr.

„Schöner Moment trotz rosa Bein“ heißt es in einem der Texte, die Sie gerade für die geplante Inszenierung am Münchner Residenztheater geschrieben haben. Ein rosa Bein, ist das nicht grundsätzlich schön?

Unbedingt! Aber keinesfalls durchgesetzt. Jederzeit wird man jemanden finden, der au­gen­blicklich bereit ist, so einen Rosabeinträger zu marginalisieren, zu bepöbeln oder gleich physisch anzugehen. Eben, „Nichts hört auf“ ist ein weiterer Text aus unserem Vorbereitungsmaterial überschrieben, an dem wir gerade rumskypen, drop­boxen und wetransfern. Bis wir uns wieder treffen und „unseren Job“ richtig machen können.

Aktuelle Texte von Schorsch Kamerun für Bühne und Hörspiel:

1. „Schöner Moment trotz rosa Bein“

Gestern Nacht ging ich durch einen dunklen Park. Es kam mir jemand entgegen. Das Gesicht konnte ich gut sehen, weil er telefonierte. Also, weil sein Handydisplay wie eine Gesichtsbeleuchtungs-Laterne wirkte. Ein … gut aussehender, aber auch ein … durchschnittlicher Münchner … dachte ich, als er mich passiert hatte. Ich schaute ihm noch eine Weile nach. Sein Handylichtgesicht verschwand ganz ruhig, ganz langsam in der Dunkelheit. Der ruhige Flug eines Glühwürmchens. Ohne jedes Geflacker. Er hatte sich also nicht nach mir umgedreht, war einfach immer weitergegangen. Als wäre ich unauffällig gewesen. Ein gänzlich unverdächtiger Mensch. Das war der schönste, der wertvollste Moment seit langer Zeit. Meistens ist es leider anders. Manchmal ist es … dazwischen. Scheiß drauf. Läuft nicht Jede mit ’nem rosa Bein durch die Straßen. 2. „Ab ins Warme“

Strophe A:

Und es scharrt sich das Bibbern

Unverstelltes Zittern

Hinter die Rücken Unter die Brücken Bridge: Wir suchen die strenge ­Beleuchtung Und meiden verhuschte ­Bedeutung Für verrostet geglaubte Schranken Tun wir uns artig bedankenRefrain: Nichts wie ab ins WarmeIn die starken Arme Strophe B:Was einst ungeliebteHerrschverrückte Sind die Stars der Szene Denn nur sie zeigen ZähneBridge: Wir achten die flache Begrenzung Und leiden an querer Bepflanzung Vor zurückerrichteten ­SchrankenProduziern sich potente GedankenRefrain: Nichts wie ab ins WarmeIn die starken ArmeSprech-Teil: Oh je, oh je. Ganz schön hart die Brocken. Überall teuflische, sehr schwerwiegende Gefahren mit unbekannten, dunklen Melodien. Gewichtige, epische Krisen sind das, in immer neuen Angebotskisten, die man abzukaufen hat. Glücklich jene, welche die geforderten Passierscheine erhalten, mit denen es sich weiter vorwärtskommen lässt. Da! Da, Achtung! Oh je, oh je, das nächste Unglück, oh je, oh je, schwer, schwer. Das sagen sie jedenfalls.Refrain:Also, nichts wie ab ins Warme In die starken Arme3. „Nichts hört auf“Die Grenzen hören nicht auf / Die Schilder hören nicht auf / Die Zäune hören nicht auf / Die Ordnungen hören nicht auf / Die Formeln hören nicht auf / Zensuren und Orden hören nicht auf (gegeben zu werden) / Automaten hören nicht auf / Die Uhren hören einfach nicht auf / Die Erzieher, die Lehrer, die Ausbilder hören nicht auf / Die Stammtischpolitiker hören nicht auf / Die Soldaten hören nicht auf / Panikmacher, Denunzianten und Beschuldiger hören nicht auf / Wenn? Dann! hört nicht auf / Die Heimatminister hören nicht auf / Die Kreuzfahrer, die Inbesitznehmer, fahren weiter kreuz und quer, gegen Mensch und Meer / Die Rassisten, die Faschisten, die Populisten – die Macker und Kacker, die Chauvinisten auf den Pisten … hören nicht auf … sie alle, hören einfach nicht auf, auch wenn es manchmal so scheint, als ob es ihnen ein wenig die Sprache verschlägt, also wenn es drauf ankommt … und obwohl in Venedig die Delphine zurückkehren in die Stadt, wegen dem temporären Weniger, wird das alles nicht aufhören, wir aber auch noch besser aufpassen auf all das und auf uns selber.

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