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Kulturproteste gegen Anti-BDS-PraxisEinmal durchlüften, bitte!

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Etablierte Kulturinstitutionen schlagen Alarm. Die Anti-BDS-Resolution des Bundestags erschwert ihre Zusammenarbeit mit internationalen KünstlerInnen.

Demo für die palästinensische antizionistische Aktivistin Ahed Tamimi im französischen Toulouse Foto: Alain Pitton/imago

I ch teile Ihre Meinung nicht, würde aber dafür sterben, dass Sie sie äußern dürfen. Dieser Satz, der nicht von Voltaire, sondern von einer britischen Autorin stammt, ist eine Pathosformel der liberalen Demokratie. Der freie Streit ist ihr Glutkern, zu viele Einschränkungen führen zu langsamem Ersticken.

Es gibt viele Gründe, die unbedeutende BDS-Bewegung, die den Staat Israel wegen seines Besatzungsunrechts boykottieren will, skeptisch zu sehen. In Europa trifft ihr Boykott in Unis und Kultur meist eher kritische Israelis, in Deutschland sollte man mit Boykotten sowieso vorsichtig sein.

Doch der amtliche Bannfluch gegen BDS per Bundestagsbeschluss hat fatale Wirkungen. Es kommt zwar kein BDS-Sympathisant vor Gericht. Aber jede Art von BDS-Befassung in öffentlich geförderten Räumen und Universitäten zu verbieten, ist ein massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit. Da aber hat der Staat nur im Notfall etwas zu suchen. Dass Gerichte die schlimmsten Auswüchse der Anti-BDS-Praxis korrigiert haben, ändert nichts daran. Das diskursive Pendant zum BDS-Bannfluch ist der wahllose Antisemitismusvorwurf. Auch da ersetzt Diffamierung die Debatte.

Bislang haben diese Missstände vor allem liberale Juden kritisiert – weil sie sehen, dass all das dem Geschäft der Rechten in Israel nutzt, die Kritik am Besatzungsregime zum Schweigen bringen wollen. Dass nun auch etablierte deutsche Kulturinstitutionen wie das Goethe-Institut und die Kulturstiftung des Bundes durch einen öffentlichen Appell Alarm schlagen, ist erfreulich. Es ist der Versuch, die stickig-enge deutsche Debatte durchzulüften und das Fenster aufzumachen. Der Aufruf der „Initiative GG 5.3“ benennt auch präzise das Paradox des Anti-BDS-Beschlusses. Er antwortet auf den BDS-Boykott mit einem weiteren Boykott.

Die Motive für den Anti-BDS-Beschluss mögen ehrenwert gewesen sein, die Auswirkungen beschädigen den Kern der liberalen Demokratie: den freien Austausch von Argumenten. Es ist Zeit, ihn zu revidieren. Die Stärke der Demokratie ist die Fähigkeit, Fehler zu korrigieren.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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15 Kommentare

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  • Und das "Durchlüften" sei allen Leuten empfohlen, die sich seit Jahrzehnten an ihrem Palästinensertuch festklammern, statt den Blick mal in die Welt zu richten, was sonst noch so geschieht.

    Anti-Kapitalismus, der bei manchen immer noch mit Antisemitismus einhergeht, kann man auch anders feiern, z. B. Fokus Amazon mit Bezos oder Facebook mit Zuckerberg.

    Amazon allein hat einen höheren Börsenwert als alle 30 Dax-Konzerne zusammen. Entspricht dem Dreifachen des gesamten Israel-BIP.

    Aufwachen!

    Oder auch mal den Blick nach China richten, wo es neue Milliardäre im Zwei-Tage-Takt gibt.

    Dort entsteht grade der Hyper-Kapitalismus dieses Jahrhunderts.

    Antisemitismus ist sowas von vorgestern!

  • 9G
    90564 (Profil gelöscht)

    "wegen seines Besatzungsunrechts boykottieren will" es stimmt einfach nicht, ist eine fehlinformation, fakenews, alternative realität, eine lüge!

  • Was will der BDS?

    Israel hatte 1948 etwa eine Million Einwohner. Jetzt über neun Millionen, von denen etwa zwei Millionen Araber sind.

    Die Hälfte dieser neun Millionen Einwohner sind Juden, die in den letzten Jahrzehnten durch antisemitische Verfolgung aus verschiedenen Teilen der Erde zugezogen sind.

    Und es werden immer mehr. Der Anti-Semitismus von rechts, links und islamischer Seite nimmt grade auch in Europa zu. Israel wird noch viele Menschen aufnehmen müssen, ist die letzte Bastion für Juden.

    Wir sollten alles tun um Israel zu helfen, wir sind es den Juden schuldig nachdem wir über sechs Millionen von ihnen umgebracht haben.

    Haben wir nichts besseres zu tun, als uns mit Anti-Israel-Bewegungen zu beschäftigen?

    In den Arabisch-Israelischen Konflikten kamen insgesamt auf beiden Seiten zusammen etwa 25.000 Menschen um.

    Im gleichen Zeitraum etwa 1,5 Tibeter durch China. Millionen wurden gefoltert, mussten fliehen. Tibet wird komplett ausgelöscht.

    Kein Wort von den BDS-Fans dazu.

    Ein ZEIT-Artikel als kleine Empfehlung: "Wir gehen" von Rafael Seligmann.

    www.zeit.de/2015/0...uropa-auswanderung

  • Aber ging es nicht genau darum die Zusammenarbeit mit bestimmten Künstler*innen einzustellen? Wenn die Bewegung so unbedeutend ist wird das ja auch kaum Künstler*innen betreffen. Wenn es allerdings zutrifft, dass wegen des Beschlusses viele Künstler*innen nicht mehr in öffentlichen Institutionen auftreten können, dann ist die Bewegung vielleicht auch gar nicht so unbedeutend.

  • Danke für diese klaren Worte !!

  • Seit wann ist BDS daran interessiert, Argumente auszutauschen? Ich sehe die nur als schreienden, pöbelnden, aggressiven Haufen. Jedenfalls habe ich die im öffentlichen Raum noch nie anders wahrgenommen.

    Sie sprengen und verhindern Veranstaltungen, fordern Boykotte, wen missliebige Personen auftreten. Das können dann auch mal Holocaustüberlebende sein.

    BDS sucht nicht die Debatte, nicht den Diskurs, nicht das Gespräch. BDS will genau das verhindern, stören, boykottieren.

    • @Jim Hawkins:

      Sehe ich ähnlich.



      Es hat schon eine gewisse Ironie, wenn eine Organisation, die zum Boykott aufruft sich darüber beklagt, dass sie selbst boykottiert wird.

    • @Jim Hawkins:

      Pöbelnder, aggressiver Haufen? So so. Schaun wir mal deren pöbelnd aggressive Forderungen an:

      1. Ending its occupation and colonization of all Arab lands and dismantling the Wall



      2. Recognizing the fundamental rights of the Arab-Palestinian citizens of Israel to full equality; and



      3. Respecting, protecting and promoting the rights of Palestinian refugees to return to their homes and properties as stipulated in UN resolution 194.

      • @Hans Schnakenhals:

        Das haben Sie schön aufgeschrieben.

        Mir ging es nicht um die fragwürdigen Forderungen von BDS, sondern um ihr Agieren in der Öffentlichkeit:

        www.berliner-zeitu...r-gestoert-li.6617

        www.vice.com/de/ar...dem-viele-schreien

        Aber wenn Sie schon mit diesen Forderungen kommen, dann dazu noch ein paar Worte.

        Die Rückkehr von fünf Millionen Menschen nach Israel zu fordern, entspricht einer Forderung nach dem Recht einer Rückkehr oder was auch immer von ca. 44 Millionen Menschen nach Deutschland.

        Die Sicherungsanlagen abzubauen, würde bedeuten, dass es wieder Selbstmordattentate gibt. Diese wurden durch die "Mauer", die nur zum kleinsten Teile eine ist, verhindert.

        Arabische Israelis. Es gab und gibt arabische Minister, Generäle, Chefs von Banken etc. Formal sind sie gleichgestellt. Wie die Türken und Araber in Deutschland. Natürlich gibt es in Israel Rassismus, nur, in welchem Land der Erde gibt es den nicht?

    • @Jim Hawkins:

      Soweit ich das mal gehört habe, sagt die Gegenseite haargenau das gleiche über ihren Gegner.

      • @Dörte Dietz:

        Ist das so?

        Wann wurde denn jemals eine BDS-Veranstaltung gesprengt?

        Wenn dagegen demonstriert wird, wird es für die Gegendemonstranten schnell ungemütlich.

        www.vice.com/de/ar...dem-viele-schreien

        Und ich wiederhole es gern, Merle Stöver kann es bestätigen, die sind nicht an Dialog interessiert.

        • @Jim Hawkins:

          Ich hatte mal einen temporären Mitbewohner, der in seinem Wohnort die Nakba-Ausstellung ausgestellt hat. Bzw ausstellen wollte. Er wurde dermaßen heftig angegriffen, bedroht und diskreditiert, dass er um Leben und Karriere fürchtete und es lieber bleiben ließ. Jegliches Gesprächsangebot an die "Gegenseite" wurde ignoriert oder mit Gebrüll beantwortet.

          • 9G
            90564 (Profil gelöscht)
            @Dörte Dietz:

            so geht es jüd!nnen allerorten, unter anderem dank bds und das, ganz ohne politische betätigung dieser jüd!nnen.



            aber mal rein neugierhalber, wo soll denn das gewesen sein? wer hat denn dessen leben bedroht?

  • Ich weiß nicht, ob es unbedingt notwendig ist, Leute zu unterstützen und sich "mit ihnen auszutauschen", die bei so einer problematischen Initiative mitmachen. Da finden sich im Kulturbetrieb doch bestimmt auch andere Menschen, mit denen man zusammenarbeiten kann. Dieser "freie Austausch von Argumenten" ist ja auch nicht relevant, wenn es um Personen mit rechten Positionen geht.

    Bei BDS-Sympathisanten - gerade bei Nicht-Palästinensern - stelle ich mir immer sofort die Frage, warum sie nicht mit gleichem Eifer Russen/Iraner/Chinesen/Saudi-Arabien/usw. boykottieren. Israel und die Angehörigen des Landes so herauszuheben wird immer ein Geschmäckle und zumindest den Verdacht des Antisemitismus beinhalten.