Kulturhauptstadt Europas: Da wächst kein Gras drüber
Stadtpark, zugleich Friedhof. Präsidentenpalast ohne Präsident. Erinnerung, lange nicht ausgesprochen. Kaunas in Litauen stellt sich der Geschichte.
A uf dem Friedenspark wachsen alte Bäume, deren gelblich verfärbte Blätter auf die Wiesen und Gehwege segeln. Ganz in der Nähe des Kaunaer Busbahnhofs gelegen, strahlt das rechteckige Gelände entlang der belebten Vytauto-Straße Ruhe und Frieden aus. Dazu tragen auch die in strahlendem Weiß gehaltenen Gebäude in dem gepflegten Park bei. Mitten auf dem Gelände steht eine orthodoxe Kapelle, aber auch eine kleine Moschee.
Fruma Kucinskiene wohnt nur ein paar Schritte vom Friedenspark entfernt in einer Seitenstraße. Die 89-jährige Jüdin hat ihr halbes Leben in der Erdgeschosswohnung verbracht. Doch für die kleine lebhafte Frau sind mit dem Park nicht nur entspannte Stunden auf einer der Bänke verbunden, sondern auch Furcht und Anspannung. Denn dieses Gelände ist noch gar nicht so lange eine profane Grünanlage.
1956 ist es, nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn, als auch im sowjetisierten Litauen Menschen auf die Straße gehen. Nicht in großen Protestzügen, bei Gott nicht, denn das wäre viel zu gefährlich gewesen. Aber auf den großen Friedhof, dort wo Litauer, Russen, Polen und Deutschstämmige, auch Muslime der tartarischen Minderheit begraben liegen, kommen Studenten. Sie versammeln sich, singen die litauische Nationalhymne. „Ich bin auch hingegangen, zusammen mit meinem Freund“, erinnert sich Fruma Kucinskiene.
Die Machthaber nehmen die Menschen fest. Sie kommen ins Gefängnis. Die junge Fruma entkommt. Den Friedhof aber walzen die Regierenden nieder, zerstören die Gräber, aus denen die Angehörigen die Knochen ihrer Vorfahren zur Umbettung bergen dürfen, und machen aus dem Gelände einen Park mit breiten, gut einsehbaren Wegen. „Sie haben den Friedhof liquidiert“, sagt Kucinskiene.
Gedenken
Litauen hat am Donnerstag an den Massenmord an europäischen Juden in dem baltischen EU-Land vor 80 Jahren erinnert. Gemeinsam mit Gästen aus Deutschland, Österreich und Polen gedachten Vertreter der Regierung und der jüdische Gemeinden der 5.000 Opfer, die Ende November 1941 in Kaunas ermordet wurden. Daran teil nahmen Delegation aus den Städten Berlin, München, Frankfurt, Wien und Wrocław (Breslau), aus denen Juden deportiert und dort getötet wurden.
50.000 Opfer
In Kaunas wurde ein Kaddisch – ein jüdisches Totengebet – an einer Gedenkstätte gesprochen. In der Befestigungsanlage kam es am 25. November 1941 zum ersten Massenmord an knapp 3.000 deportierten deutschen Juden. Drei Tage später wurden fast 2.000 Juden aus Wien und Breslau getötet. Insgesamt wurden im IX. Fort während des Holocaust rund 50.000 Juden aus Litauen und anderen Ländern ermordet. (dpa, taz)
Acht Ausreiseanträge aus der Sowjetunion hat sie in den 1950er Jahren gestellt. Keiner davon wird bewilligt. Dabei hat Fruma Kucinskiene die Soldaten der Roten Armee einst als ihre Befreier begrüßt, damals 1944 als Kind, versteckt vor den Nazis. „Der Soldat hat sich erschreckt, wir haben ihn umarmt. Da standen wir mit Milch und Honig und haben die litauische Befreiung begrüßt.“ Nur ein Jahr später aber heißt es, dass Kucinskienes Retterin, die deutschstämmige Helene Holzmann, deportiert werden sollte. Synagogen werden geschlossen, das jüdische Kulturleben der wenigen Überlebenden unterdrückt.
Die Freiheit seit erst 30 Jahren
Die erzwungene Ruhe an der Vytauto-Straße hält nicht ewig. Mehr als 30 Jahre später versammeln sich auf dem Parkgelände wieder viele Menschen. Die Sowjetunion befindet sich in den letzten Zügen, doch Michail Gorbatschow will die baltischen Republiken nicht in die Unabhängigkeit entlassen. Fruma Kucinskiene bleibt dieses Mal auf Wunsch der Familie daheim. Sie soll Alarm schlagen, wenn etwas passiert. „Wir waren wütend, aber auch ängstlich“, sagt sie. „Meine Söhne und mein Mann gingen demonstrieren. Die Schwiegertochter war schwanger. Aber wir haben uns wirklich sehr engagiert.“
Gorbatschow gibt sich geschlagen. Am 8. Februar 1991 stimmt die Bevölkerung mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit des Landes. Litauen ist frei, zum zweiten Mal im 20. Jahrhundert.
Und damit beginnt auch der zweite Aufstieg der Stadt an der Mündung der Neris in den Nemunas – im Deutschen als Memel bekannt –, die, wie ihre Bewohner bedauernd sagen, so oft im Schatten des größeren Vilnius steht, der Hauptstadt des Landes. Doch das soll sich im kommenden Jahr ändern. Kaunas, mit über 400.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Landes, wird im Jahr 2022, gemeinsam mit dem luxemburgischen Esch an der Alzette und Novi Sad in Serbien, Kulturhauptstadt Europas sein. Man will sich modern und europäisch präsentieren, mit viel Kultur, aber auch die Geschichte der Stadt nicht vergessen. Zeit für einen Ortsbesuch.
Die Schätze der einstigen Hauptstadt
Wer mit Žilvinas Rinkšelis unterwegs ist, sollte gut zu Fuß sein. Der schlaksige junge Mann eilt durch die Stadt. Aber je näher er der Innenstadt kommt, umso häufiger bleibt der Historiker stehen, um auf architektonische Juwelen hinzuweisen. Etwa an der Putvinskio-Straße Nummer 32: Der 1938 erbaute viergeschossige Apartmentblock trägt geschwungene Balkone, die in ihrer Formsprache an Ozeandampfer erinnern. Ähnlich präsentiert sich in der zur Fußgängerzone umgestalteten Laisvės-Avenue das Gebäude der Post, 1931 von Feliksas Vizbaras im eleganten Stil des Modernismus erbaut, mit abgerundeten Ecken, breiten Fenstern und den typischen Merkmalen für das Bauhaus, auch wenn die Architekten keineswegs immer eine direkte Verbindung zu der deutschen Design-Schule besaßen.
Die beiden Gebäude sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Gar nicht weit entfernt stößt man auf ein früheres Verlagsgebäude von 1934, wieder mit geschwungen Balkonen, in dem heute die Universitätsverwaltung untergebracht ist. Eine Ecke weiter findet sich ein Apartmentgebäude in ähnlichem Stil. Und dort, in der Putvinskio-Straße, noch so ein Haus. Und noch eines. Man kann, einem glücklichen Sammler seltener Briefmarken gleich, durch die Stadt streifen und Bauhäuser sammeln. Bis die Füße müde werden. Die Architekturkammer von Kaunas hat ein dickes Buch herausgebracht, voll von diesen großartigen Gebäuden.
Lasst Vilnius, das einstige „Jerusalem des Ostens“, links liegen. Einhundert Kilometer weiter westlich glaubt der Reisende, an einem ungewöhnlich kühlen Tag durch Tel Aviv zu streifen, der einzigen Stadt mit einer ähnlichen Dichte an modernistischer Architektur. Nur dass die Häuser hier in Kaunas, so wie in Israel vor vierzig Jahren, bisweilen arg renovierungsbedürftig und so gar nicht strahlend weiß erscheinen, obwohl die Mieten schon dem großen Vorbild am Mittelmeer nachzueifern beginnen.
Diese erstaunliche Dichte moderner Architektur ist eine Folge der verrenkten Geschichte Litauens. Als das Land 1918 seine Unabhängigkeit von Russland erlangt, bleibt Vilnius ein Teil von Polen. Deshalb mutiert das kleinere Kaunas zur provisorischen Hauptstadt, ähnlich wie Bonn im geteilten Deutschland. Und deshalb setzt in dieser Periode ein großer Bauboom ein, nicht nur an Privathäusern, sondern auch an Botschaften, Ministerien und anderen öffentlichen Gebäuden. Es ist der erste Aufstieg von Kaunas.
Esch an der Alzette
Neben Kaunas und Novi Sad ist das luxemburgische Esch an der Alzette im kommenden Jahr von der Europäischen Union zur Kulturhauptstadt Europas ernannt worden. Die zweitgrößte Stadt des Großherzogtums liegt nur 17 Kilometer von der Hauptstadt Luxemburg entfernt nahe der Grenze zu Frankreich und hat nur knapp 40.000 Einwohner. Esch wurde lange von der Stahlindustrie und Bergwerken geprägt. Bis auf ein Walzwerk sind diese Schwerindustriebetriebe inzwischen geschlossen. Zurück blieb eine große Brache. Dort entsteht ein neues Stadtviertel.
Architektur
Der deutsche Stadtplaner und Architekt Josef Stübben entwickelte 1924 einen Bauplan für die Weiterentwicklung der Stadt. Viele Architekten aus den umliegenden Ländern beteiligten sich an der Errichtung neuer Gebäude, deshalb gilt die Stadt als Schmelztiegel der europäischen Architektur. Nahe beieinander finden sich Beispiele für Historismus, Jugendstil und Modernismus.
Kultur
Mit insgesamt 2.000 Veranstaltungen will die Stadt mit ihren nahen Partnergemeinden ein Zeichen für Vielfalt und ein grenzenloses Europa setzen. Die offizielle Eröffnung ist für den 26. Februar 2022 vorgesehen: https://esch2022.lu/de/ (taz)
Der von den Sowjets zerstörte Friedhof, dort wo sich heute der Friedenspark erstreckt, ist eine versteckte Botschaft. In dieser Stadt lebten nicht nur Litauer und Russen, sondern auch eine deutsche und eine polnische Minderheit, tartarische Muslime, und, nicht zu vergessen, Juden. Letztere stellten Ende der 1930er Jahre rund 25 Prozent der Bevölkerung. Die 89-jährige Fruma Kucinskiene kann sich noch an die Zeit erinnern, damals in ihrer Kindheit. Das jüdische Kind wächst mit deutschen Nachbarn auf und erlernt deren Sprache.
Eine Geschichte voller fremder Besatzungen
Doch ähnlich wie andere osteuropäische Städte hatten auch die Einwohner von Kaunas das zweifelhafte Privileg, von Zeit zu Zeit in einem neuen Staat zu leben, ohne ihre Füße auch nur einen Schritt bewegen zu müssen.
1844 entsteht in der Altstadt ein verschnörkeltes neobarockes Gebäude als Privathaus. Da zählt Kaunas, Kowno genannt, zu Russland. 22 Jahre später erwählt der russische Gouverneur den Palast zu seinem Dienstsitz. Wieder 50 Jahre danach, im Ersten Weltkrieg, ziehen die Deutschen hier ein und machen daraus ihre militärische Zentrale. 1919, die Besatzer sind besiegt, nimmt der erste Präsident Litauens Antanas Smetona dort seine Wohnung.
Aber nur bis 1940, als die Sowjetunion Litauen infolge des geheimen Zusatzabkommens zwischen Hitler und Stalin besetzt. 1941, nach dem Überfall der Wehrmacht, zieht die NSDAP ein und verbietet allen Einheimischen, das Gebäude auch nur zu betreten. 1944 folgen wieder die Sowjets und machen aus dem Haus zuerst einen Pionierpalast, dann das Lehrerhaus und schließlich ein Kino nebst Bibliothek – aber bloß keine Erinnerungsstätte an die litauische Unabhängigkeit. Heute ist es ein Museum.
An der Eingangstür steht deren Leiterin Renata Mikalajūnaitė. Ja, sagt sie, die Auseinandersetzung mit der Geschichte sei in Kaunas ein nicht ganz einfacher Prozess, der seine Zeit brauche. Aber es gehe voran.
Mikalajūnaitės Worte erinnern daran, dass es nicht immer nur die fremden Mächte waren, die Unheil über die Stadt gebracht haben. So mancher Litauer bejubelt 1940 den Einzug der Sowjets und wähnt sich auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft. Etwa 35.000 Menschen fallen bald darauf der sowjetischen Geheimpolizei NKWD zum Opfer – sie werden verhaftet, deportiert, ermordet. Doch noch mehr Einheimische begrüßen die deutsche Wehrmacht als Befreier, als diese im Juni des folgenden Jahres die Sowjets verjagt. Vielen dieser nationalistischen Unabhängigkeitsverfechter gelten die einheimischen Juden als gefährliche Bolschewisten, die verschwinden sollen, auch mit Gewalt. Der Holocaust geschieht unter tätiger Mitwirkung dieser sogenannten Patrioten.
Novi Sad
Als Dritte im Bunde darf sich das serbische Novi Sad 2022 mit dem Titel „Kulturhauptstadt Europas“ schmücken. Die Stadt an der Donau hat mehr als 250.000 Einwohner, bis ins größere Belgrad sind es nur etwa 75 Kilometer. Ähnlich wie Kaunas wechselte die Region um Novi Sad häufig ihre Herrschaft: Anfangs ungarisch, fiel sie zunächst an das Osmanische Reich, später an Österreich-Ungarn und nach 1918 an Jugoslawien. Seit dem Zerfall des Vielvölkerstaats gehört Novi Sad zur Republik Serbien.
Multikulti
Die meisten Gebäude des historischen Zentrums stammen aus der Habsburgerzeit, in der die Stadt auch gegründet wurde. An diese Epoche erinnert auch die Festung Petrovaradin, größte Festung im österreich-ungarischen Kaiserreich. In der Hauptstadt der Vojvodina leben heute neben Serben nur wenige Minderheiten. Früher galt Novi Sad als ethnisch besonders divers mit den vielen dort ansässigen Österreichern, Deutschen, Ungarn, Juden, Griechen und Armeniern.
Programm
In Novi Sad eröffnet das Programm zur Kulturhauptstadt am 13. Januar. Ein Schwerpunkt werden Multikulturalismus und Migration sein: https://novisad2022.rs/en/programme/ (taz)
Vor fünf Jahren löst Rūta Vanagaitė mit ihrem Buch „Die Unsrigen“ in Litauen eine heftige Debatte aus. Sie weist auf die furchtbare Rolle so mancher Nationalhelden als Mittäter des Holocaust hin und wird prompt als Nestbeschmutzerin beschimpft. Inzwischen lebt Vanagaitė in Israel.Aber die Diskussion um die Frage dieser Täter geht weiter. Gerade in Kaunas.
Morde im jüdischen Ghetto
Der 27. Juni 1941 ist ein schwarzer Tag, ganz besonders für die Juden der Stadt. Kurz zuvor hat die Wehrmacht die Stadt eingenommen. An diesem Tag treiben litauische Nationalisten in einem Garagenhof mitten in der Innenstadt Angehörige der Minderheit zusammen. Sie werden gequält und gefoltert. Die meisten Menschen werden mit Eisenstangen erschlagen. Anderen führt man einen Schlauch in den Mund und pumpt Wasser in die Körper, bis sie sterben. Zwischen siebzig und einhundert Juden sterben, deutsche Soldaten schauen dabei zu. Bald darauf werden Fotos des Pogroms als angeblicher Beweis für die Brutalität des sowjetischen Geheimdienstes präsentiert.
Die Vorstadt Slobodka, auf der anderen Seite der Neris gelegen, wird wohl nicht im Zentrum von Veranstaltungen der Kulturhauptstadt Europas stehen. Ein- und zweigeschossige, teilweise baufällige Häuser säumen die holprige Straße. Fruma Kucinskiene hat hier in der Gegend leben müssen, damals, als die Nazis in dem Viertel das mit Stacheldraht abgesperrte jüdische Ghetto einrichten, das mit der Zeit immer kleiner wird, weil die Menschen sterben, verhungern, erschlagen und erschossen werden, im Ghetto selbst und im Fort IX weit draußen vor der Stadt. Sie erinnert sich: „Wir lebten in einem sehr kleinen Holzhäuschen. Wir waren 15 Menschen, die Großeltern der Mutter, der Cousin und seine Angehörigen, weitere Familienmitglieder. Selbst in der Küche standen Betten. Bis Anfang 1942 gab es noch Schulunterricht. Danach haben meine Eltern mich zu einem Rabbiner gebracht. Dort habe ich Hebräisch gelernt.“
Fruma Kucinskiene, jüdische Ghetto-Überlebende
Die Erwachsenen gehen täglich zur Zwangsarbeit, ihrer vermeintlichen Lebensversicherung, denn wer nicht arbeitet, wird umgebracht. Fruma bleibt zurück, frierend und hungrig. Die heute 89-Jährige sagt: „Ich habe Morde miterlebt. Ich war acht Jahre alt. Ich bin nicht mehr gewachsen, nur an den Füßen.“
Fruma Kucinskiene wird 1943 gerettet, weil sich eine Helferin ihrer erbarmt und sie aus dem Ghetto schmuggelt. Doch ihre gesamte Familie wird ermordet, so wie etwa 20.000 andere Jüdinnen und Juden aus Kaunas. Die Gemeinde zählt heute einige hundert Mitglieder. Die 1871/72 im maurischen Stil erbaute Choral-Synagoge ist das letzte jüdische Bethaus von einst 25. Ja, man kann die herrlichen Gebäude des früheren jüdischen Gesundheitszentrums, das jüdische Waisenhaus oder das Gymnasium, allesamt Häuser aus den 1920er und 30er Jahren, immer noch besichtigen. Nur jüdisch sind diese Gebäude nicht mehr.
Am früheren Eingang zum Ghetto in der Linkuvos-Straße steht ein kleines Mahnmal mit litauischer, englischer und hebräischer Inschrift. Eine Plakette zeigt die unterschiedliche Ausdehnung des Ghettos. Die kleinen Steine, die davor auf dem Boden liegen, sind mit Namen beschriftet, Roza, Rita, Lena, Leila, Judita.
In den letzten Jahren hat Fruma Kucinskiene häufig Besuch erhalten, erzählt sie. Historikerinnen haben sie interviewt, in Vorbereitung auf das Ereignis der Kulturhauptstadt. Man will sich der Geschichte stellen, mit Ausstellungen, Konzerten, Theaterstücken und einer internationalen Konferenz. Dazu erscheint bald ein Buch über die Juden von Kaunas. Auch Kucinskiene wird darin zitiert werden.
Die Entdeckung der Lea Goldberg
Ein paar Schritte von der Fußgängerzone der Laisvės-Avenue entfernt, an einem unscheinbaren Parkplatz, ist die Brandmauer eines Hauses von einem einzigen großen Wandgemälde bedeckt. Es zeigt eine junge Frau auf einem Stuhl sitzend, die Arme verschränkt. Daneben steht ein Gedicht geschrieben.
Die junge Frau ist Lea Goldberg, geboren 1911 in Königsberg, aufgewachsen in Kaunas, 1935 nach Palästina ausgewandert, verstorben 1970 in Tel Aviv. In Israel kennt sie jedes Kind, nicht nur weil ihr Bild den 100-Schekel-Schein ziert. Kaunas entdeckt die Autorin von Kinderbüchern, Gedichten und Romanen gerade erst, mehr als 80 Jahre nach ihrer Emigration.
So scheinen die Verantwortlichen in Kaunas verstanden zu haben, dass eine Gesellschaft daran zu messen ist, wie sie mit ihrer Geschichte und ihren Minderheiten umgeht. Wäre da nicht der mehrfach wiedergewählte konservative Bürgermeister Visvaldas Matijošaitis, der gewiss nichts gegen die Anwesenheit von Touristen anlässlich der Kulturhauptstadt einzuwenden hat. Für Lesben und Schwule dagegen zeigt er kein Herz. Denn, so berichtet es der Kaunaer Philosophieprofessor Gintautas Mažeikis, eine Pride-Parade wollte der Bürgermeister noch vor wenigen Monaten in seiner Stadt verbieten. Erst ein Gerichtsurteil zwang die Stadt dazu, die Veranstaltung Anfang September zu erlauben.
Es war die erste LGTB-Demonstration in Kaunas überhaupt. Mehr als 2.000 Menschen waren dabei – auch ein Zeichen für die neue Pluralität von Kaunas.
Transparenzhinweis: Die Recherche wurde von „Kaunas 2022 Contemporary Capital“ unterstützt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm