Kulturgeschichte des Tortenwurfs: Mitten ins Gesicht
Beim „Tortenangriff“ handelt es sich um eine etablierte Protestform. Vor Sahra Wagenknecht traf es schon diverse andere Politiker.
Der Tortenwurf geriet zum größten Politikum auf dem Linken-Parteitag. Dabei dürfte die Protestform der bewegungsaffinen Partei nicht unbekannt sein. Schon die 68-er um Fritz Teufel verübten in Hannover eine legendäre Tortenschlacht. Und erst im Frühjahr erwischte es die AfD-Bundesvize Beatrix von Storch (Sahnetorte, wegen Schießbefehl-Forderung auf Flüchtlinge). In den Vorjahren traf es zudem Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (Sahnetorte, wegen Plagiatsaffäre), den Grünen Jürgen Trittin (Jogurttorte, wegen zu lascher Anti-AKW-Politik) oder Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (Himbeer-Sahne-Torte, wegen Blockierung eines NSU-Auschusses).
Vor allem nach der Attacke auf von Storch hatte die Torte einen Popularitätsgewinn in der linken Szene erhalten. In Berlin brachten Demonstranten auf eine Anti-AfD-Demo jüngst ein selbstgebautes Torten-Katapult – was umgehend von der Polizei beschlagnahmt wurde. Andererorts ist der Torten-Widerstand noch etablierter. In den USA gab es mit der „Biotic Baking Brigade“ eine eigene Vereinigung, in England soll die Lebensmittelkette Tecso vor Jahren wegen wiederholter Attacken ihre Sahnetorten auf ihre Verletzungsgefahr geprüft haben. Und in Frankreich rühmt sich der Anführer der „Pâtissiers sans Frontières“, Noel Godin, in den letzten Jahrzehnten dutzende Politiker und Prominente getortet zu haben, darunter Bill Gates oder Nicolas Sarkozy. Seine Vorgabe: viel Sahne verwenden und die Rezepte auf die Zielperson abstimmen.
Der Magdeburger Tortenwerfer hielt sich dran – und wählte Schoko. Die Linke reagiert mit Entrüstung. Von einer „asozialen“ Aktion sprach Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, Parteichefin Katja Kipping nannte sie einen „Angriff auf uns alle“. Sachsens Grünen-Chef Jürgen Kasek sagte dagegen, der Aufschrei zeige, dass der Tortenwerfer „ins Schwarze getroffen“ habe. Die Linkstrotzkisten „Klasse gegen Klasse“ jubelten: „endlich“. Rühre Wagenknecht doch „kräftig die Trommeln für Abschiebungen“.
Lakonische Reaktion
Der Tortenwerfer selbst kommt offenbar aus der anderen Ecke der Linken: der antideutschen. Ein 23-Jähriger, seit Jahren in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) in Anti-Nazi-Bündnissen aktiv. Akkreditiert hatte er sich für den Parteitag über das Berliner Zeitungsprojekt „Straßen aus Zucker“ – das aus dem antideutschen Spektrum stammt. Die reagierten nur lakonisch: „Wir waren's nicht.“ Man habe an dem Wochenende die nächste Ausgabe geplant oder am See gesessen. Allerdings: Die Sätze Wagenknechts seien „unterirdisch“, die „Aufregung um eine leckere Schokotorte“ könne man „nicht ganz nachvollziehen“.
Gegen den Werfer selbst ermittelt nun die Polizei von amtswegen wegen versuchter Körperverletzung und Sachbeschädigung. Wagenknecht und die Parteispitze ließen offen, ob sie Anzeige stellen. Das könnte teuer werden: Der Tortenwerfer auf Ba-Wü-Innenminister Gall etwa musste 1.000 Euro Geldstrafe zahlen. Dazu kamen 1.300 Euro Schmerzensgeld für Galls Personenschützer, der sich beim Einschreiten verletzte. Dennoch: Die späteren Tortenwerfer hat auch das nicht abgehalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour