Kulturelle Teilhabe: Miteinander statt übereinander reden
Hochkultur schließt viele Menschen aus. Der Begriff sollte geweitet und der Zugang geöffnet werden.
K ultur hat Macht. Sie bringt Menschen zusammen und drückt Dinge aus, für die es keine Worte gibt. Sie unterhält und sie spaltet. Und sie wird unterschätzt und vergessen, zum Beispiel bei den Kürzungen des Berliner Haushalts. Aber um ihre Wirkung erreichen zu können, muss sie auch alle erreichen. Bisher tut sie das nicht, zumindest die Hochkultur.
Das zeigen die Zahlen von Vera Allmanritter vom Institut für kulturelle Teilhabeforschung, die sie am Dienstag bei einem Fachgespräch der Berliner Linken unter dem Motto „Kulturelle Teilhabe: eine Frage der Gerechtigkeit, ein nicht eingelöstes Versprechen“ vorstellte. 30 Prozent der Bevölkerung nehmen demnach Hochkultur als „nicht für Menschen wie mich“ wahr. Fasst man den Kulturbegriff weiter und bindet Clubs und selbst Parks ein, könnten es allerdings bis zu 100 Prozent sein, die daran teilhaben.
Diese Begriffserweiterung macht die Zahl zwar schöner, das Problem löst sie aber nicht. Und das reicht sogar noch weiter. Als Beispiel: Ich selbst komme vom Bauernhof, habe studiert und besuche sehr gerne kulturelle Veranstaltungen jeglicher Art. Kritiken lese ich aber so gut wie nie. Ich kenne viele Namen und Fremdwörter nicht und generell sind mir die Besprechungen oft zu gewollt schlau formuliert.
Im Journalismus ist es eben ähnlich wie in der Kulturszene: Viele kommen aus Akademiker:innenhaushalten, die Bevölkerung wird überhaupt nicht proportional repräsentiert. Zwar ist vielen Journalist:innen das Problem bewusst, aber wenn man niemanden kennt, der einen Bildungsabschluss unterhalb des Abiturs gemacht hat, wie soll man dann wissen, wie man ebendiese Menschen erreicht? Diese Überforderung habe ich schon allzu oft selbst miterlebt.
Alles muss sich ändern
Journalismus muss übersetzen: Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und eben auch Kultur. Und wenn Letztere es nicht schafft, die breite Bevölkerung zu erreichen, dann müssen auch wir uns an die eigene Nase greifen. Wir müssen wieder mehr miteinander statt übereinander reden. Und wenn die Werke kompliziert sind, müssen wir darüber so schreiben, dass die Menschen am besten laut „Aha“ sagen beim Lesen.
Aber zurück zur Kultur selbst: Es muss sich nicht weniger ändern als alles. Die Ausbildungszugänge müssen geöffnet und mehr Menschen mit Expertise eingeladen werden. Nicht nur solche, die entsprechende Fächer studiert haben, sondern insbesondere Menschen aus marginalisierten Gruppen. Menschen etwa, die es sich nicht leisten können, ins Theater zu gehen, Menschen die sich selbst nie auf der Bühne sehen. Menschen, die ihre eigenen Geschichten erzählen.
Fachgespräche wie das der Linken sind auf jeden Fall ein guter erster Schritt, auf keinen Fall aber auch nur im Ansatz genug. Denn hier zeigte sich dasselbe Problem: Schlaue Menschen, die sich selbst Kulturbesuche finanziell wie intellektuell leisten können, unterhalten sich darüber, wie man „die anderen“ einbinden kann.
Charlotte Bartesch vom FELD Theater für junges Publikum brachte es gut auf den Punkt: „Repräsentation und Identifikation sind extrem wichtig“. Nur wenn man Menschen sieht, die so sind wie man selbst, fühlt man sich erwünscht. Nur dann kann man sich identifizieren. Dann ist da auf einmal Platz und nicht mehr nur noch Exklusivität. Es ist genug Kultur für alle da.
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