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Kulturelle TeilhabeMiteinander statt übereinander reden

Lea Knies
Kommentar von Lea Knies

Hochkultur schließt viele Menschen aus. Der Begriff sollte geweitet und der Zugang geöffnet werden.

An guter Kultur sollte nicht gespart werden Foto: Jens Kalaene

K ultur hat Macht. Sie bringt Menschen zusammen und drückt Dinge aus, für die es keine Worte gibt. Sie unterhält und sie spaltet. Und sie wird unterschätzt und vergessen, zum Beispiel bei den Kürzungen des Berliner Haushalts. Aber um ihre Wirkung erreichen zu können, muss sie auch alle erreichen. Bisher tut sie das nicht, zumindest die Hochkultur.

Das zeigen die Zahlen von Vera Allmanritter vom Institut für kulturelle Teilhabeforschung, die sie am Dienstag bei einem Fachgespräch der Berliner Linken unter dem Motto „Kulturelle Teilhabe: eine Frage der Gerechtigkeit, ein nicht eingelöstes Versprechen“ vorstellte. 30 Prozent der Bevölkerung nehmen demnach Hochkultur als „nicht für Menschen wie mich“ wahr. Fasst man den Kulturbegriff weiter und bindet Clubs und selbst Parks ein, könnten es allerdings bis zu 100 Prozent sein, die daran teilhaben.

Diese Begriffserweiterung macht die Zahl zwar schöner, das Problem löst sie aber nicht. Und das reicht sogar noch weiter. Als Beispiel: Ich selbst komme vom Bauernhof, habe studiert und besuche sehr gerne kulturelle Veranstaltungen jeglicher Art. Kritiken lese ich aber so gut wie nie. Ich kenne viele Namen und Fremdwörter nicht und generell sind mir die Besprechungen oft zu gewollt schlau formuliert.

Im Journalismus ist es eben ähnlich wie in der Kulturszene: Viele kommen aus Akademiker:innenhaushalten, die Bevölkerung wird überhaupt nicht proportional repräsentiert. Zwar ist vielen Jour­na­lis­t:in­nen das Problem bewusst, aber wenn man niemanden kennt, der einen Bildungsabschluss unterhalb des Abiturs gemacht hat, wie soll man dann wissen, wie man ebendiese Menschen erreicht? Diese Überforderung habe ich schon allzu oft selbst miterlebt.

Alles muss sich ändern

Journalismus muss übersetzen: Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und eben auch Kultur. Und wenn Letztere es nicht schafft, die breite Bevölkerung zu erreichen, dann müssen auch wir uns an die eigene Nase greifen. Wir müssen wieder mehr miteinander statt übereinander reden. Und wenn die Werke kompliziert sind, müssen wir darüber so schreiben, dass die Menschen am besten laut „Aha“ sagen beim Lesen.

Aber zurück zur Kultur selbst: Es muss sich nicht weniger ändern als alles. Die Ausbildungszugänge müssen geöffnet und mehr Menschen mit Expertise eingeladen werden. Nicht nur solche, die entsprechende Fächer studiert haben, sondern insbesondere Menschen aus marginalisierten Gruppen. Menschen etwa, die es sich nicht leisten können, ins Theater zu gehen, Menschen die sich selbst nie auf der Bühne sehen. Menschen, die ihre eigenen Geschichten erzählen.

Fachgespräche wie das der Linken sind auf jeden Fall ein guter erster Schritt, auf keinen Fall aber auch nur im Ansatz genug. Denn hier zeigte sich dasselbe Problem: Schlaue Menschen, die sich selbst Kulturbesuche finanziell wie intellektuell leisten können, unterhalten sich darüber, wie man „die anderen“ einbinden kann.

Charlotte Bartesch vom FELD Theater für junges Publikum brachte es gut auf den Punkt: „Repräsentation und Identifikation sind extrem wichtig“. Nur wenn man Menschen sieht, die so sind wie man selbst, fühlt man sich erwünscht. Nur dann kann man sich identifizieren. Dann ist da auf einmal Platz und nicht mehr nur noch Exklusivität. Es ist genug Kultur für alle da.

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Lea Knies
Praktikantin im Berlin-Ressort. Studium der Publizistik und Politikwissenschaft in Mainz und Prag, aktuell im Master an der LMU und der Deutschen Journalistenschule.
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3 Kommentare

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  • Ich frage mich dabei, welche Hochkultur konkret gemeint ist.



    Klassische Musik ist z.B. ja sehr vielfältig. Mit vielen Singspielen, besonders seit dem 19. Jahrhundert kann man mich jagen, und auch die Orchestermusik ist seit dieser Zeit nicht besser geworden. Operetten und Musicals sind sicherlich populärer und kommen meiner Neigung zum Humor auch mehr entgegen. Sind Disney-Filme in Musical-Form aber Hochkultur? (Jedenfalls sind sie teuer anzuschauen). Muss ich mir Alban Berg antun und seine Nachfolger oder genügt Kammermusik von Bach? Und wohin gehört die „Bourree“ von Jethro Tull?



    Die gleichen Abgrenzungsprobleme gibt es beim Theater, der Malerei und Bildhauerei usw.



    Ich bin jedenfalls ein Mal alleine in eine Ausstellung moderner Malerei gegangen und das hat mir wenig gegeben. Von Paul Klee zurück über Vermeer bis zu den Fresken in etruskischen Nekropolen gibt es hingegen Einiges, was mich beim Betrachten mit Genuss erfüllt. Worum also geht es hier überhaupt konkret?



    Allgemein sei etwas Anderes angemerkt: Kultur lebt unter Menschen davon, dass man darüber spricht, was sie mit einem macht, welche Gefühle sie auslöst. Da ist Fernsehunterhaltung besser als zeitgenössische Hochkultur.

  • Sehr geehrte Frau Knies,

    zu Kritiken merken Sie an:



    "Ich kenne viele Namen und Fremdwörter nicht (...)".



    Das geht mir, trotz Studium, nicht anders. Aber das ist doch erstens eine zu meisternde Herausforderung und zweitens, Wikipedia und Wiktionary sei Dank, heutzutage keine echte Barriere mehr!



    Außerdem denke ich, gerade als jemand mit z. B. proletarischem Hintergrund sollte man sich Kulturgüter wie Klassische Musik aneignen und der Bourgeoisie ihr vermeintliches Vorrecht darauf streitig machen.



    Beethovens Musik ist geil, unglaublich bereichernd und für alle da!

  • Dem muss ich teilweise widersprechen. Es gibt schon seit langem spezielle Angebote für Nicht-Kulturkreise. Doch die Ablehnung tiefergehender Kultur sitzt tief bei vielen. 2/3 wollen flach unterhalten werden.

    Das Problem liegt woanders. Das Bürgertum finanziert mit Milliarden Baukultur statt Künstler/innen. Heerschaaren ausgebildeter Künstler und Kulturarbeiter leben prekär und werden von Bürgertum und Facharbeiten quasi tiefenpsychologisch als fahrende Sänger verachtet und gleichzeitig um ihr Talent beneidet. Also werden Baufirmen massiv gesponsort, um für Milliarden alte Museen und Opern zu sanieren etc.