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Kulturelle Teilhabe in der Diskussion„Wie wenig Kultur können wir uns leisten?“

Die Kulturbranche hat bei vielen einen exklusiven Ruf. Gemeinsam mit Ex­per­t:in­nen will die Berliner Linken-Fraktion das ändern.

Die Berliner Kulturszene will mehr Menschen erreichen Foto: Jens Kalaene

Berlin taz | „Wie wenig Kultur können wir uns denn leisten?“, fragt Vera Allmanritter vom Institut für kulturelle Teilhabeforschung am Dienstagvormittag bei einem Fachgespräch der Linken-Fraktion in Berlin. Sie spielt damit auf die Kürzungen an, die der Berliner Kulturszene in Anbetracht der misslichen Haushaltslage drohen. Formate wie der Kinderkulturmonat, Querklang oder das Jugendsprungbrett Kultur mussten bereits weichen.

An diesem Tag geht es aber um weitaus mehr – darum, wie man die Kulturbranche für alle öffnen kann. Unter dem Motto „Kulturelle Teilhabe: eine Frage der Gerechtigkeit, ein nicht eingelöstes Versprechen“ wurden Kulturschaffende aus verschiedenen Bereichen ins Abgeordnetenhaus eingeladen. Die Politikwissenschaftlerin Vera Allmanritter ist eine von drei Expertinnen, die das Gespräch mit Evidenz untermauert.

Ihre Zahlen zeigen den Ist-Zustand: Fast alle Ber­li­ne­r:in­nen würden Kulturangebote besuchen, schließlich gäbe es ja auch ein riesiges Angebot. Zumindest, wenn man den Kulturbegriff, so wie Allmanritter, weit fasst. Für sie zählen etwa Clubs zur Kulturszene, für andere in der Runde gehören selbst Parks dazu. Wenn man den Begriff aber auf „Hochkultur“ beschränkt, dann empfinden etwa 30 Prozent der Bevölkerung diese als „nicht für Menschen wie mich“.

Kulturelle Bildung ist entscheidend

Die meisten wenden sich von der Kultur ab, weil sie zu wenig Zeit, zu wenig Geld oder zu wenige Angebote nach ihrem Geschmack in der Nähe haben. Marketingmaßnahmen würden diese Verlorenen größtenteils gar nicht mehr erreichen, sondern nur das Stammpublikum.

Zudem konkurriert Kultur mit anderen Freizeitangeboten. Während der Covid19-Pandemie mussten sich viele Ber­li­ne­r:in­nen ein anderes Hobby suchen, bis heute bleiben davon starke Umgewöhnungs- und Entwöhnungseffekte. Auch die Erwartungen der Menschen haben sich geändert, berichtet Allmanritter. Beispielsweise steigt das Verlangen nach Mitbestimmung.

Natürlich ist die Antwort darauf, warum manche sich so ausgeschlossen fühlen, aber viel komplizierter als das. Viele Faktoren haben einen möglichen Einfluss auf das kulturelle Interesse. Darunter Bildung, Wohnort, Barrieren oder die generellen Lebensumstände. Entscheidend sei insbesondere die kulturelle Bildung, sagt Allmanritter. Wer als Kind oder Ju­gend­li­che:r positive Erfahrungen mit Kultur sammelt, ist auch im Erwachsenenalter empfänglicher dafür.

In Berlin sei die Zusammenarbeit zwischen Kultur und Bildung ausbaufähig, sagt die Politikwissenschaftlerin. Es fehle an einem strategischen Ziel. „Es braucht einen Kulturwandel“, sagt Allmanritter. Sie rät zu evidenzbasierter Arbeit, also: Statistiken kennen und nach ihnen handeln.

Fehlende Barrierefreiheit

In der offenen Diskussion des Fachgesprächs wird klar, dass das Thema viele Kulturschaffende umtreibt. Charlotte Bartesch vom FELD Theater für junges Publikum in Tempelhof-Schöneberg kritisiert die fehlende Barrierefreiheit, etwa für taube und gehörlose Kinder. Das liege auch daran, dass es wegen des exklusiven Ausbildungszugangs kaum taube Künst­le­r:in­nen gebe. „Repräsentation und Identifikation sind extrem wichtig“, sagt Bartesch.

Es gibt so viele offene Probleme, dass dieser Text nicht mal im Ansatz dafür ausreicht. Einig sind sich die Anwesenden aber in zwei Punkten: Es braucht eine langfristige Förderung und mehr Zusammenarbeit mit Betroffenen.

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2 Kommentare

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  • Berlin muss sich Kultur eben leisten können, das geht halt nicht dauerhaft auf kosten der anderen über den Länderfinanzausgleich.

  • Es ist ja wirklich nicht leicht.

    Da kommen umfangreiche Kürzungen auf die Kulturszene zu, wo man sich als " Hochkultur" und gesellschaftliche Elite betrachtet.

    Und dann würde das ein erheblicher Teil der Gesellschaft nicht mal mitbekommen.