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Kürzungen trotz RekordhaushaltÄndert endlich das Fördersystem!

Andreas Hergeth
Kommentar von Andreas Hergeth

Kleine Projekte sollen 2025 weniger Geld für ihre Arbeit bekommen. Das müsste nicht sein, wenn das Land Berlin endlich mehr Einnahmen erzielen würde.

Hunderttausende setzten beim 47. Berliner CSD ein Zeichen für Vielfalt. Die Vielfalt der queeren Szene ist indes in Gefahr Foto: Carsten Koall/dpa

A uf den Straßen der Hauptstadt geht es gefährlich zu. Diese täglich erfahrbare Binsenweisheit wurde nun noch mal durch Daten der Bußgeldstelle der Berliner Polizei bestätigt. Parkverstöße, überfahrenes Rotlicht, zu schnelles Fahren: Wie der RBB berichtet, hat es 2024 in Berlin rund 4,2 Millionen Anzeigen wegen Verkehrsverstößen gegeben, noch mal 150.000 mehr als 2023.

Problematisch daran ist auch, dass gut 400.000 Anzeigen im vergangenen Jahr überhaupt nicht geahndet wurden. Der Personalmangel der zuständigen Behörden soll schuld sein. Dem Land Berlin entgehen durch nicht eingetriebene Bußgelder immense Summen, der RBB kommt allein für 2024 auf rund zwölf Millionen Euro.

Das ist in Zeiten klammer Haushaltskassen bitter. Der Entwurf zum Doppelhaushalt 2026/27 sieht für das Land Berlin zwar neue Rekordausgaben vor, von derzeit 40 Milliarden soll es 2026 auf fast 44 Milliarden Euro hochgehen. Dennoch soll es zugleich in etlichen Bereichen weitere Einschnitte geben und zu Kürzungen kommen.

Was hätte man mit den Bußgeldern gegen Verkehrsverstöße, wären sie denn in die Landeskasse geflossen, nicht alles anfangen können?

Mehr als der „Tropfen auf dem heißen Stein“

Das Gerede vom „Tropfen auf dem heißen Stein“ ist hier fehl am Platze. Die nicht eingenommenen Bußgelder des Jahres 2024 (für dieses Jahr ist ähnliches zu erwarten) sind nur ein Beispiel dafür, wie man die Einnahmeseite des klammen Landes steigern könnte.

Andere Vorschläge wie die Erhöhung der Citytax für die von Overtourism geplagte Stadt und ihrer Infrastruktur, die Einführung einer Verpackungssteuer wie in Tübingen und anderswo, höhere Beiträge fürs Anwohnerparken oder die Abschaffung des kostenlosen Schulmittagessens für alle Besserverdienenden liegen längst auf dem Tisch.

Jede zusätzlich eingenommene Million zählt, weil sie hilft. Man muss sich nur mal verdeutlichen, was es bedeutet, wenn einem Verein fürs kommende Jahr schon sicher geglaubte Mittel – weil die Förderung sowieso Jahr für Jahr erneuert wurde – gestrichen werden, um der ewigen Litanei vom angeblich ausweglosen Sparkurs (bei gleichzeitiger Rekordverschuldung) etwas entgegenzuhalten.

Nehmen wir als aktuellen Fall den Sonntags-Club, die älteste, queere Institution im Osten Berlins, eines der wichtigsten Veranstaltungs-, Informations- und Beratungszentrum für Lesben*, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter* und nicht-binäre Menschen sowie für alle Freun­d*in­nen und Interessierte. Dort gibt es drei vom Senat finanzierte Projekte, darunter die psychosoziale Beratung und die LGBTIQ*-Wohnberatung Queerhome*.

Im Entwurf des Haushaltsplans für 2026/27 fehlt die Fördersumme für eine dritte und wichtige Projektstelle. Eine, die seit über zehn Jahren gefördert wurde. Ginge diese Stelle verloren, wären sämtliche Angebote, die sich explizit an lesbische und bisexuelle Frauen und Flinta* richten, in Gefahr.

Der Frau­en­Les­ben*­Frei­tag könnte nicht mehr betreut. Pro Jahr stünden 130 Veranstaltungen weniger auf dem Programm. Hinzu käme, dass neun Selbsthilfegruppen keine Betreuung mehr hätten. Das alles hängt an der Arbeit von Serena Raucci, so heißt die Kollegin, die diese Stelle seit fünf Jahren innehat. Die Fördersumme (inklusive Sachmittel) dafür beläuft sich auf rund 55.000 Euro, fürs Jahr.

Eine einfache Rechenaufgabe

Nehmen wir nun auf der anderen Seite noch die nicht eingetriebenen Bußgelder in Höhe von zwölf Millionen Euro. Wie viele Projektstellen wie die im Sonntags-Club ließen sich davon für ein Jahr finanzieren? Eine einfache Rechenaufgabe, lieber Senat.

Es muss endlich die Einnahmeseite erhöht werden, statt weiter mit der Kürzungsschere zu hantieren. Dass dafür auch die (politisch motivierte) Einstellung geändert werden muss, liegt auf der Hand. Denn neben dem Sonntags-Club sollen weitere entsprechende Projekte betroffen sein.

Auffallend dabei ist, dass es sich um kleinere Initiativen handelt, die sich mit ihren Angeboten an Frauen* wenden. So soll dem Projekt „BerTa“ in Buch eine Stelle gestrichen werden. Und in Spandau ist der Casa e.V. betroffen, der Beratung für Migrantinnen anbietet. Das alles hat ein Geschmäckle, das nach CDU riecht.

Daher der Appell an diese schwarz-rote Senator*innenriege: Ändert eure Denke und werdet Vorreiter. Statt einzelne Projekte aus verschiedenen Senatstöpfen von Jahr zu Jahr zu fördern – wie es auch in der Jugendarbeit oder der Kulturbranche gang und gäbe ist –, muss dazu übergegangen werden, Vereinen wie dem Sonntags-Club eine bestimmte Zuwendungssumme bereitzustellen. Und das für einen längeren Zeitraum, von drei oder auch fünf Jahren. Und den Projekten selbst überlassen, wie und wofür diese Fördergelder verwendet werden.

Das würde den bürokratischen Aufwand – Stichwort: Anträge, Berichte, Abrechnungen – erheblich senken, und zwar auf beiden Seiten. Und es würde den Projekten endlich mehr Planungssicherheit geben. Das wäre einer Regenbogen-Hauptstadt würdig. Habt Vertrauen, ändert das Fördersystem!

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Andreas Hergeth
Redakteur & CvD taz.Berlin
In der DDR geboren, in Westmecklenburg aufgewachsen, Stahlschiffbauer (weil Familientradition) gelernt, 1992 nach Berlin gezogen, dort und in London Kulturwissenschaften studiert, 1995 erster Text für die taz, seit 2014 im Lokalteil Berlin als Chef vom Dienst und Redakteur für Kulturpolitik & Queeres.
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