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Kürzungen in Berlin„Bildung ist mehr als nur Schule“

Der Kinderkulturmonat ist von Kürzungen betroffen. Wegen fehlender Mittel steht die Teilhabe von Kindern auf dem Spiel, sagt die Geschäftsführerin.

Kinderkulturmonat: Kinder entdecken die vielfältigen Eigenschaften von Glas Foto: Dora Csala/Glassworks Studios
Interview von Klarissa Krause

taz: Frau Benedict, Ihrem Projekt „Kinderkulturmonat“ wurde 2025 schlagartig ein Drittel des Etats gestrichen. Wie macht sich das bemerkbar?

Chris Benedict: Wir können zwar ein Kulturprogramm organisieren, aber es bleibt nur ein Programm. Der soziale Anspruch, der ganz zentral für das Projekt ist, gerät nun in Gefahr. Uns ging es nie primär um das Stammpublikum, das im Kinderkulturmonat kostenlos in die Kultureinrichtungen kommt. Wir wollten die Kinder und Familien erreichen, die sonst nicht die Möglichkeiten oder Zugänge haben – aus finanziellen, sprachlichen oder Anbindungsgründen. Sehr viele Fäden, die wir durch die Stadt gesponnen haben, wurden jetzt einfach durchgeschnitten. Der Effekt der Kürzungen ist, dass weniger Kinder teilhaben können. Viele Netzwerke, Strukturen und auch Mitarbeitende sind weggebrochen.

taz: Wie sieht es konkret mit der Finanzierung aus?

Benedict: Aufgrund der Haushaltspolitik müssen wir jedes Jahr aufs Neue schauen, wie es finanziell weitergeht. Wir werden aus drei Ressorts gefördert: von der Kulturverwaltung, vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF, bei der Senatsverwaltung für Integration angesiedelt, Anm. d. Red.) und – als bisheriges Grundgerüst – von der Bildungsverwaltung. Mit Letzterer haben wir unser großes Netzwerk aufgebaut. Doch in diesem Jahr wurde das Projekt Kinderkulturmonat-Netzwerke relativ plötzlich und unangekündigt gestrichen. Von Streichungen und Kürzungen waren auch andere Programme der kulturellen Bildung betroffen, beispielsweise „Bauereignis Schule“, „Kulturagenten“ oder „Querklang“.

Der Kinderkulturmonat

Chris Benedict ist Geschäftsführerin des WerkStadt Kulturvereins und Gründerin des Kinderkulturmonats – ein berlinweites Festival, das seit 2012 jeden Oktober kostenlose Kulturangebote für rund 5.000 Kinder bietet.

2023 wurde der Kinderkulturmonat mit 250.000 Euro von der Bildungsverwaltung gefördert. Ab 2024 kamen jährlich 250.000 Euro von der Kulturverwaltung und 75.000 Euro vom LAF hinzu. Seit April 2025 hat die Bildungsverwaltung ihre Zahlungen eingestellt.

taz: Sie bezeichnen Ihre zahlreichen Kooperationen mit Schulen oder Kitas als Netzwerke. Wissen Sie, warum die Gelder dafür so plötzlich gestrichen wurden?

Benedict: Wir können nur spekulieren. Natürlich haben wir in der Senatsverwaltung nachgefragt. Die Bildungsverwaltung sagte, es gebe Kürzungsdruck und sie sehe uns als Schnittstellenprojekt, das aus mehreren Ressorts gefördert wird, eher bei der Kultur. Die Mittel haben sie aber nicht übertragen, insofern geht diese Argumentation nicht wirklich auf. Wir denken, die Entscheidung ist eine politische Schwerpunktsetzung. Kulturelle, queere und politische Bildung werden in der derzeitigen Bildungsverwaltung und Landesregierung wohl nicht mehr als wichtige Bestandteile des Bildungsauftrags verstanden.

taz: Sie werden erst seit 2024 von der Kulturverwaltung gefördert. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sind Ihre Fördergelder nun wieder auf dem Niveau von 2023. Trotzdem sagen Sie, dass Sie wesentliche Netzwerke, die Sie seit 13 Jahren aufbauen, nicht fortführen können. Wie kann das sein?

Benedict: Der Vergleich mit 2023 ist irreführend. Damals gab es massive Fehlbedarfe, einige Module konnten gar nicht umgesetzt werden. Beispielsweise gab es weder Kita-Parcours noch mobile Kulturangebote im Festivalprogramm. Unser Projekt hat in den Anfangsjahren den Aufbau der Netzwerke zunächst vor allem ehrenamtlich geleistet und sich danach kontinuierlich weiterentwickelt. Gleichzeitig haben wir entlang von Bedarfen und Förderzusagen Kooperationen geschaffen, die nur mit professionellen Strukturen und einer Anzahl von Mitarbeitenden wie 2024 zu stemmen sind.

taz: Sie richten sich an Kinder aus sozial benachteiligten Bezirken.

Benedict: Genau, das war unser Ansatz. Durch die Kooperationen direkt in Stadtteile zu gehen, die als sozial benachteiligt gelten und in denen es wenige Kulturangebote gibt. Dort konnten wir ganz praktisch sagen: Hey, wir machen jetzt vor Ort einen Schnupperkurs und in zwei Wochen gibt es den Kinderkulturmonat für euch. So konnten wir den Kindern zeigen, dass Kulturprogramm zur Freizeit dazugehören kann. Jedes Jahr haben wir an mindestens 10 Grundschulen Projektwochen mit Kunstworkshops und Ausflügen organisiert. All das findet nicht mehr statt. Die Kinder und Familien haben eine Möglichkeit verloren, kulturelle Bildung in ihrem Alltag zu erfahren.

taz: Woher wissen Sie über die soziale Herkunft der Kinder Bescheid?

Benedict: Wir machen Besucherumfragen. Natürlich fragen wir nicht nach sozialen Hintergründen, aber zum Beispiel nach den Anfahrtswegen oder der Postleitzahl. Daran können wir ein wenig ablesen, wen wir so erreichen. Außerdem wissen wir bei den Ausflugsteilnehmern aus Geflüchtetenunterkünften oder Jugendfreizeiteinrichtungen, aus welchen Kontexten sie kommen.

taz: Welche Auswirkungen haben die Streichungen für die Kids?

Benedict: Das ist eine Einschränkung der Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und Selbstwirksamkeit von Kindern. Theater- und Kunstworkshops bieten die Gelegenheit zur Auseinandersetzung miteinander, mit sich selbst und mit der Welt da draußen. Gerade nach der Pandemie und in dieser krisengeschüttelten Zeit können wir beobachten, wie vereinzelt die Kinder beim Wegbrechen von Kultur- und Jugendarbeit sind und wie empowernd solche Programme für sie sind. Das wird vielen von ihnen nun geraubt. Umso schlimmer ist das, weil diese Stadt sehr viel zu bieten hat. Aber wenn Projekte wie unseres nicht mehr stattfinden, ist das tolle Kulturangebot leider nur einem kleinen Teil der Stadtgesellschaft zugänglich.

taz: Kann der nächste Kinderkulturmonat im Oktober den sozialen Anspruch noch erfüllen?

Benedict: Wir hoffen, dass Kinder, die einmal da waren, wiederkommen. Aber die aktive Arbeit vor Ort mit den Partnereinrichtungen, bei denen wir clustern, wo wir Brücken bauen, ist nicht mehr möglich. Die Teilnehmer werden deshalb diesmal sehr zufällig sein. Dank der Förderung des LAF können wir wenigstens noch Kinder aus Geflüchtetenunterkünften zu uns bringen.

taz: Werden die Netzwerke in Zukunft überhaupt wieder aufgebaut werden können?

Benedict: (lacht) Was einmal zerstört ist, kann nur schwer wieder reaktiviert werden. Wir bräuchten eine andere Finanzierung oder müssten unseren Haushaltstitel zurückbekommen, um weiter mit Bildungsträgern arbeiten zu können. Wir geben den Kampf natürlich nicht auf und stellen überall Finanzierungsanträge. Doch die Förderstellen sind wahnsinnig überrannt. Dieser Konkurrenzdruck ist wegen der Kürzungen und Streichungen so hoch wie nie zuvor. Deshalb stehen die Chancen für alle Bewerber sehr gering. Wir finden weiterhin, dass kulturelle Bildung auch in die Bildungsverwaltung gehört. Sie ist zum Beispiel Teil der Jugendarbeit, das ist im Sozialgesetzbuch geregelt. Es bräuchte vom Bildungssenat ein verbindliches Bekenntnis zur kulturellen Bildung – denn Bildung ist mehr als nur Schule.

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