Kürzungen bei Medienunternehmen SWMH: Weniger Lokales im Ländle

Die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Stuttgarter Nachrichten“ bekommen ein neues Konzept. Sie sollen digitaler werden, dennoch werden Stellen abgebaut.

Sieben Menschen stehen an einer Straße. Die meisten applaudieren, ein Mensch hält ein Schild hoch, auf dem steht: "Sagt's allen weiter: Journalisten sorgen für die Qualität, nicht die Verleger. dju"

Protest in der Mittagspause vor dem Stuttgarter Pressehaus Foto: Joachim E. Roettgers

Es ist noch gar nicht so lange her, da war die Abkürzung SWMH nur Eingeweihten bekannt. Zwar war die Südwestdeutsche Medienholding auch schon vor gut zehn Jahren ein Riese unter Deutschlands Regionalzeitungsgruppen, doch sie bekam wenig Aufmerksamkeit. Heute sieht das anders aus. Spätestens nach der Übernahme der Süddeutschen Zeitung (SZ) 2008 ließ sich die Politik des „Uns gibt es eigentlich gar nicht“ nicht mehr durchhalten. Doch das geheime Credo „Keine Fragen, keine Antworten“ scheint bis heute zu gelten.

Deswegen sind sie am Donnerstag in Stuttgart mal wieder in eine kreative Mittagspause gegangen: Rund 100 Re­dak­teu­r*in­nen und Mitarbeitende von Stuttgarter Zeitung (StZ) und Stuttgarter Nachrichten (StN), diesmal unterstützt von Kol­le­g*in­nen anderer SWMH-Titel aus der Region. Auch die SZ war vertreten, denn auch dort soll das Lokale und Regionale schrumpfen.

Auch die jüngste Antwort der Stuttgarter Geschäftsleitung auf einen siebenseitigen Brief der Belegschaft kam nicht gerade gut an: Angesichts einer gerade einmal einseitigen Antwort mit Phrasen wie nun müssten alle gemeinsam die „Qualität hochhalten“ schüttelte der Stuttgarter Betriebsratsvorsitzende Michael Trauthig nur den Kopf: „Wie überheblich kann man sein?“

Joe Bauer, heute Kolumnist der unabhängigen Online-Zeitung Kontext und vordem langjähriger Stadtflaneur bei den Stuttgarter Nachrichten, mahnte in seiner Rede: „Ich brauche den Blick vor meine Haustür, und zwar auf die Dinge, die ich selber nicht sehen kann. Ich brauche Journalisten, die aufdecken und dolmetschen, die mich mit ihren Ermittlungen unterhalten.“ All das stehe nun auf dem Spiel.

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Fünfundfünfzig Redaktionsarbeitsplätze sollen bei den auch schon früher unter dem gleichen Verlagsdach erscheinenden, aber redaktionell stets getrennt marschierenden Titeln StZ und StN abgebaut werden. Das sind noch mal rund 20 Prozent des ohnehin seit Jahren schrumpfenden Bestands, und trifft durchweg die Regional- und Lokalteile. „Die Stellen sollen sozialverträglich abgebaut werden, auf betriebsbedingte Kündigungen werden wir so weit wie möglich verzichten“, sagt Joachim Dorfs, der StZ-Chefredakteur Dorfs ist in Wahrheit auch so etwas wie der Chefredakteur der StN, obwohl die mit Christoph Reisinger noch einen eigenen haben.

Denn schon 2015/16 wurden die beiden Titel, was den überregionalen Teil angeht, zusammengelegt. Für viele schon damals ein Unding – schließlich verstand sich die StZ immer als eine Art Süddeutsche fürs Ländle, während die StN die bodenständigere Regionalität verkörperte und mit ihrem überregionalen Teil, dem sogenannten Mantel, einen ganzen Schwung weiterer zur SWMH gehörenden Lokalblätter beglückte.

Es geht um die finanzielle, nicht die journalistische Rendite

Jetzt soll auch im Lokalen zusammengeschoben werden, was nach Meinung des SWMH-Managements zusammengehört. Nicht ungefährlich. Denn die lokale und regionale Pressevielfalt ist gerade in Zeiten von Desinformation und einem weit verbreiteten Gefühl, „die Medien“ hätten den Bezug zum Alltag der Menschen verloren, enorm wichtig. Doch bei der SWMH geht es mehr um die finanzielle als die journalistische Rendite.

Den Unternehmern um SWMH-Konzernchef Christian Wegner stehen noch ganz andere Dinge im Sinn. Wegner kam 2018 von ProSiebenSat.1 und ein bisschen hört sich das neue Konzept für Stuttgart tatsächlich nach Privatfernsehen an. Denn nun sollen in den Redaktionen nicht nur massiv Stellen abgebaut, sondern auch die klassischen Ressorts wie Politik, Kultur, Sport und Wirtschaft verschwinden. An ihre Stelle treten 22 Themen-Teams, die dann Titel wie „Liebe und Partnerschaft“ oder „Entscheider und Institutionen“ oder „Automobilwirtschaft“ tragen. „Ressortchefs raus, Digitalklicks rein“ fasste die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Plan zusammen. In der Redaktion fragen sie ein bisschen ungeschützter, wer wohl die Schnapsidee verbrochen hat.

Dass die Zeichen in Stuttgart darauf standen, „Doppelstrukturen weiter abzubauen“, wundert auch den Zeitungsexperten Horst Röper wenig, der seit Jahrzehnten die Entwicklungen im Verlagsbereich analysiert. „Doch eine solche Reorganisation der Redaktion ist tatsächlich neu.“ Denn die künftigen Themen-Teams erinnerten eher an Online-Rubriken, „die Information steht so nicht mehr im Vordergrund“, fürchtet Röper: „Das ist ein Sammelsurium von Begriffen, mit denen ich nichts anfangen kann.“ Und eine Redaktion wie die der Stuttgarter Blätter, die eine hohe Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit kannte, auch nicht.

Das macht der von 227 Mitarbeitenden, also rund 80 Prozent der Stuttgarter Redaktionen, unterschriebene offene Brief an die SWMH-Spitze klar. Darin schreiben sie: „Für uns ist die Ansage, wir machen vornehmlich nur noch das, was geklickt wird und Web-Abos erzeugt, ein Offenbarungseid.“ Ihr ernüchterndes Fazit: „Wenn wir nicht mehr über das berichten, was unser Gemeinwesen zusammenhält, nicht mehr präsent sind in den Gemeinden und Stadtbezirken, nicht mehr von den Auswirkungen der Landes- und Lokalpolitik auf das Leben der Menschen, wofür braucht es uns noch?“

Das haben in den letzten Monaten auch jede Menge politisch Verantwortliche und Prominente gefragt. Po­li­ti­ke­r*in­nen sind parteiübergreifend von konservativ bis links entsetzt. Tübingens nicht gänzlich unumstrittener OB Boris Palmer (B90/Grüne) rief in der Online-Zeitung Kontext dazu auf, „das Abo zu kündigen“, seine CDU-Kollegen Frank Nopper (Stuttgart) und Christoph Traub (Filderstadt) sekundieren. „Für die Kommunalpolitik und für das städtische Leben als Ganzes sind starke regionale Qualitätsmedien von größter Bedeutung“, sagt Nopper.

Gleich fünf Landräte aus dem Verbreitungsgebiet stiegen der SWMH-Spitze aufs Dach. Dazu Künstler*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen oder auch Buchhändler Thomas Ott aus Stuttgart, für den das Ganze daherkommt wie ein „neoliberaler Porno“. Nur Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich bislang nicht öffentlich geäußert. Chefredakteur Dorfs und seine Führungsriege versuchen seit Wochen gegenzusteuern und bieten irritierten Bürgermeister*innen, Parteigranden und anderen Ent­schei­de­r*in­nen Gespräche an. Sonderlich erfolgreich scheinen die nicht zu verlaufen.

Auch die SZ steht unter Sparzwang

Immerhin berichtet die StZ knapp und klar in eigener Sache, was bei der auch zur SWMH gehörenden SZ anders aussieht. Dass aus München auch sonst kaum Unterstützung kommt, sorgt dafür, „dass viele bei StZ und StN nicht eben gut auf die SZ zu sprechen sind, auch wenn die Kol­le­g*in­nen nichts dafür können“, heißt es in Stuttgart. Ans konzerneigene „Weltblatt“ traut sich eben keiner ran, das würde die ganze Republik zur Kenntnis nehmen.

Wobei auch die SZ unter Sparzwang steht. Doch die Gemengelage ist komplizierter. Die SWMH steht insgesamt unter Druck. Laut dem eben veröffentlichten Jahresabschluss 2020 lag der Gesamtumsatz mit 855,2 Millionen Euro satte 67,5 Millionen Euro unter dem Vorjahreswert. Natürlich spielte hier Corona eine Rolle, doch schon 2019 war die SWMH deutlich unter den Erwartungen geblieben. Seit Übernahme der SZ drücken außerdem ständig Schulden. Schließlich kostete der Verlag mit 750 Millionen Euro nur etwas weniger, als der Laden heute komplett umsetzt.

Verlagsexperte Röper wundert, dass die SWMH die SZ nicht viel stärker in ihre Strukturen einbindet. „Es wäre eine gemeinsame Hauptredaktion unter SZ-Führung denkbar“, sagt er. Tatsächlich versorgt der StZ/StN-Verbund die regionalen SWMH-Titel wie Esslinger Zeitung, Schwarzwälder Bote, Frankenpost (Hof), Freies Wort (Suhl) oder den Nordbayerischer Kurier aus Bayreuth. Was die neue Themenstruktur hier für Konsequenzen haben wird, ist längst noch nicht abzusehen.

Ex-ProSieben-Mann Christian Wegner ist derweil in anderen Bereichen auf Expansionskurs und hat als SWMH-Chef im Januar die 7Mind GmbH übernommen, eine digitale Plattform für Meditation und Achtsamkeit. Schwer vorzustellen, dass er selber meditieren oder achtsamer in Sachen Lokaljournalismus sein will. Dahinter steht laut SWMH vielmehr, die „Basis zur Schaffung einer digitalen Gesundheitsplattform zu legen“.

Joe Bauer hingegen schrieb am Donnerstag vorm Stuttgarter Pressehaus der SWMH mit Blick auf die neuen Themen-Teams: „Wenn ein großes Zeitungshaus sich inhaltlich ins Schlagerfach flüchtet, um jedem Anspruch aus dem Weg zu gehen, dann verstößt es gegen das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit. Dieser Konzern ignoriert seinen Auftrag als vierte Gewalt.“

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