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Künst­le­r*in­nen über Amazon in Berlin„Eine komplett neue Erfahrung“

Der Gratis-Audiowalk „Alexa, wo bin ich?“ wirft Fragen um Gentrifizierung und Datensicherheit auf. Geführt wird die Tour vom Sprachassistenten Alexa.

Vor der East Side Mal an der Baugrube des Edge Towers startet die Audiotour mit Alexa Foto: Marina Resende/Jakob Wirth
Gareth Joswig
Interview von Gareth Joswig

taz: Herr Wirth, Frau Resende, Sie veranstalten am Freitag und Samstag als Kunstprojekt den Audiowalk „Alexa, wo bin ich?“ durch den Kiez um die Baustelle des Egde Towers, wo Amazon entgegen aller Widerstände mit circa 3.000 Ar­bei­­te­r*in­nen einziehen will. Was erwartet Besucher*innen?

Resende: Sie werden eine komplett neue Erfahrung machen, denn die verschiedenen Stationen des Audiowalks bilden zusammen das Bewusstsein für eine neuen Ort. Mit dem Kiez um die Warschauer Straße haben zwar viele Menschen im Alltag Kontakt, aber eher im Vorbeigehen. Durch die Tour führt Alexa, die Stimme von Amazons persönlichem Assistenten. Bei der Tour triffst du dabei auf Meinungen und Perspektiven unterschiedlichster Menschen, die an diesem Ort arbeiten, einkaufen, sich dort aufhalten oder daran vorbeigehen.

Amazon will einen Teil ihrer Tech Services nach Berlin verlagern, also auch Abhörtechnik. Warum führt ausgerechnet Sprachassistentin Alexa, die Stimme dieser Abhörtechnik, durch Ihren Audiowalk?

Resende: Alexa repräsentiert natürlich Amazon, gleichzeitig steht die KI auch für etwas Größeres. Der Turm soll ja ein Smart Tower werden, der nachhaltig sein soll und mit Machine Learning Technologies Informationen der Nutzer auswertet, um sich zu optimieren. Dies ist auch eine neue Tendenz in der Stadtplanung.

Im Interview: 

Jakob Wirth

29, hat MFE Kunst im öffentlichen Raum an der Bauhaus-Universität Weimar studiert sowie Soziologie, Politik und Wirtschaft in Friedrichshafen. Macht derzeit noch den Master Raumstrategie in Weißensee und einen Soziologie-Master an der HU.

Wirth: Der Smart Tower erfasst die Daten der Customer und weiß, wer um welche Uhrzeit wohin geht und macht in diesem Raum schon mal die Heizung an. Ähnliches macht Alexa während der Audiotour auch. Das ist auch ein Beitrag zur Diskussion um die Smart City. Die KI richtet sich an den Bedürfnissen des Nutzers aus. Es bleibt aber die Frage offen, wessen Bedürfnisse eigentlich abgefragt werden und welche nicht.

Im Interview: 

Marina Resende

25, studiert im Master Raumstrategie an der Kunsthochschule Weißensee und hat zuvor an der University of Art in Chicago studiert.

Resende: So entstehen Spannungen und die Frage, wessen Diskurs und Individualinteressen vom Edge Tower eigentlich umgesetzt werden.

Im Verlauf sollen Be­su­che­r*in­nen über das Smartphone Alexa auch persönliche Informationen übermitteln. Warum muss ich als Teilnehmer denn etwas von mir preisgeben?

Wirth: Uns geht es bei der Nutzung von Alexa auch darum, mit herkömmlichen Audiotouren zu brechen. Alexa lernt während der Tour etwas über den Kiez und den Nutzer und stellt diesem dafür Aufgaben. Dadurch soll Alexas Lernmechanismus widergespiegelt und erfahrbar gemacht werden.

Was ist denn, wenn ich aus Datenschutzgründen keine Lust habe, mit Alexa zu sprechen?

Wirth: Das ist eine wichtige Frage: Wann kommt der Punkt, ab dem es unangenehm wird? Wann gebe ich zu viele Infos preis? Und wem gebe ich die Informationen eigentlich? Diese Form, wie Alexa Daten sammelt, ist eine neue Form von Aneignung. Aber es ist wohl auch wichtig zu sagen, dass keine Daten der Tour an Amazon fließen.

140 Meter soll der Edge Tower in den Himmel ragen, An­woh­ne­r*in­nen befürchten Verdrängungsdruck Foto: Edge

Resende: Für uns war zudem wichtig, dass am Ende nicht einfach eine gerade Linie von Informationen steht, sondern dass beim Audiowalk verschiedene Narrative und Interpretationen herauskommen können. Für den Audiowalk haben wir mit über 40 Personen vom Architekten über die protestierende Anwohnerin bis zum Ladeninhaber in der East Side Mall gesprochen und lassen diese an verschiedenen optionalen Stationen zu Wort kommen.

Ich hatte die Gelegenheit vorab reinzuhören. An einer Station sampelt ihr die Social-Washing-Sprache der Baufirma zu einer sinnlosen Aufreihung von Vokabeln des vorgeblichem sozialen Unternehmertums zusammen. Die zusammengeschnipselten Wörter wie „community, local people, locally, kiez-like, local scene“ schneidet ihr dann mit lokalen Gegenprotesten und Stimmen von Berlin vs. Amazon gegeneinander.

Wirth: Damit wollten wir den Aneignungscharakter von Social Entrepreneurship darstellen, der die Sprache eines hippen Kiezes erlernt und für seine Zwecke nutzt. Es ist natürlich eine Strategie, Akzeptanz zu erzeugen mit dem Lernen von Vokabeln. Ähnlich verhält es sich mit dem Artwashing von Graffiti und Street Art an der Baustelle und im Corporate Design des Edge Towers. Es ist auch eine spannende Frage, ob wir selbst als Artwashing von Edge oder Amazon instrumentalisiert werden könnten.

Resende: Der Tower will sich mit einem Branding an den Ort anpassen. Der Architekt findet etwa den Kiez cool und bezieht sich auf das RAW-Gelände als Partydistrikt. Das Logo vom Edge Tower sieht wie Street Art aus. Aber man hört auch, was für eine Nutzung dort eigentlich geplant ist: Im für die Nachbarschaft offenen „Community Sockel“ soll es „bike parking“, „car parking“ und „Cafés“, also nur Konsum, geben. Gleichzeitig zeigen die Bemühungen des Investors, sich zu öffnen, wie kompliziert der politische Struggle dagegen ist. Dazu zeigen wir die Perspektiven von Anwohnern auf und fragen nach ihren wirklichen Bedürfnissen.

Wirth: Und was für Mieten im Edge Tower verlangt werden, bleibt vage. Es stellt sich die Frage: Was für eine Community ist damit gemeint?

Birgt der individuelle Rundgang mit Alexa auch die Gefahr, dass ihr selbst das Amazon-Projekt promotet?

Wirth: Dahinter steckt natürlich auch der künstlerische Ansatz, wie mit Offenheit selbst so einem Projekt begegnet werden kann. Es ist eine Collage aus Perspektiven, Informationen und emotionalen Blicken auf die Baustelle. Wir müssen es aushalten, dass je­de*r eine eigene Audiotour macht und daher nicht planbar ist, ob sie eine affirmative oder kritische Perspektive auf den Tower hören. Beispielsweise, wenn sie die Perspektive des Investors zu hören bekommen, dann die des Ladenbesitzers in der East-Side-Mall und schließlich die des Späti-Besitzers nebenan, der sich nach der Corona-Krise über neue Kun­d*in­nen freut. Denn natürlich geht es uns um einen kritischen Diskurs.

Resende: Letztlich gibt es aber auch keine Version, die komplett ohne Kritik ist. Es ging uns darum, nicht mit einer vorgefärbten Meinung einzusteigen. Wir wollen verschiedene Menschen abholen: Liberalere, auch Neoliberale, und ebenso kritische Stimmen. Wenn einer der Investoren die Tour macht, wird er mit dem Protest von „Berlin vs Amazon“ konfrontiert. Ebenso könnten linksorientierte Menschen sich plötzlich am kritisch aufgeladenen Mercedes-Benz-Platz wieder finden und von Alexa aufgefordert werden, dort ein Gedicht vorzulesen. Die Tour soll durch ungewöhnliche Erfahrungen ein neues Bewusstsein schaffen und Beziehungen aufbauen. Man muss sich neu auf den Ort einlassen.

Hinter Alexas deutscher Stimme soll eine wirkliche Person stecken, die allerdings anonym ist. Wie haben Sie Alexa technisch dazu gebracht, den Audioguide zu machen? Und bekommt Amazon wirklich keine Daten, wenn ich mitmache?

Resende: Es ist wirklich Alexa, die da spricht. Wir haben mit einem original Amazon-Echo gearbeitet und von Alexa gelernt, wie sie spricht. Wie wir es genau gemacht haben, bleibt geheim. Aber Amazon bekommt keine Daten, da die Tour nicht mit Amazon Echo verlinkt ist.

In meiner Version der Tour bedankte sich Alexa am Schluss mit Worten: „Du hast mir geholfen, Kiez-Erfahrungen zu kapitalisieren“. Warum bin ich jetzt schuld an der Kapitalisierung?

Wirth: Interessant, dass Sie es als Schuldzuweisung lesen. Erstmal ist es natürlich als Beschreibung gemeint und zeigt auf, was gerade passiert ist. Die komfortable Erkundung des Raumes mit Smartphone und Kopfhörer ermöglicht eine Form der Kapitalisierung, indem durch diese Tour kostbare Daten gesammelt werden könnten. Das kann man mit linkem Background natürlich als Schuld wahrnehmen. Für andere ist es vielleicht eine Möglichkeit, sich weiter an individuelle Bedürfnisse anzupassen.

Resende: Natürlich ist es auch eine Provokation. Denn eigentlich war es ja von Anfang an Alexas Rolle eine Datenbank über die Nutzer zu erstellen.

Wirth: Am Ende war uns auch eine eigene Positionierung wichtig. Es geht uns um diese Ambiguität, mit der die Tour spielt. Unser Ansatz ist: Kritik durch ein Erlebnis zu transportieren. Was bedeutet es, wenn ich etwas mit Alexa teile? Das ist der Punkt, wo wir am Ende rausfallen. Und vielleicht ist das auch wieder ein menschlicher Fehler unsererseits, weil es für Alexa eigentlich überhaupt keine Linearität vom Kennenlernen oder Verabschieden gibt.

Was hat Alexa denn zum Schluss über mich gelernt?

Wirth: Am Ende gibt es während der Tour Momente, in denen Alexa selbst ihre Rolle aufbricht und an sich selbst zweifelt. Wo Sie sich Fragen nach Wissen stellen und Grenzen verschieben. Wie gehen wir mit diesen neuen Akteuren im Umfeld – der künstlichen Intelligenz im Alltag – um? Wer sind sie überhaupt? Müssen wir vielleicht anders und neu denken? Gibt es eine KI, die nicht nur Servant, also Diener des Menschen, ist? Und warum hat Alexa eigentlich eine weibliche und unterwürfige Stimme, die vom männlichen Blick heraus entwickelt wurde?

Resende: Ebenso stellt sie die Frage nach der Optimierung des Selbst. Wenn man mit KI umgeht, ist man bislang der einzige Akteur, der das Umfeld bestimmt. An einem bestimmten Punkt der Führung wird das aufgebrochen: Was ist Wissen? Was ist der Unterschied zwischen Wissensproduktion, die wir menschlich kennen, und der maschinellen Produktion von Wissen?

Kein Eintritt, Freitag und Samstag, 12 bis 18 Uhr. Start: Platz vor der East Side Mall. Smartphone und Kopfhörer erforderlich. Wer kein eigenes Smartphone mitbringen kann, sollte sich vorher anmelden unter alexa_wo_bin_ich@posteo.de

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