Künstlerin über NSU-Aufarbeitung: „Männer mit schlechtem Gedächtnis“
In der Hamburger Ausstellung „Rechtsradikale Realitäten“ zeigt Katharina Kohl Porträts von Menschen, die an den NSU-Ermittlungen beteiligt waren.
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taz: Frau Kohl, wer sind die Männer, deren gemalte Porträts Sie für die Hamburger Ausstellung „Kein Einzelfall“ an die Kampnagel-Wand gehängt haben?
Katharina Kohl: Es sind Menschen, die bei den NSU-Ermittlungen an entscheidenden Schnittstellen saßen: Verfassungsschützer, Polizisten, Kriminalbeamte aller Hierarchieebenen, Staatsanwälte. Sie alle hätten rechten Terror frühzeitig in den Blick nehmen können, statt von migrantischer Clan-Kriminalität auszugehen. Aber die meisten blickten von sich aus nicht nach rechts. Und wer es tat, wurde behindert.
Diese Leute arbeiten im Verborgenen und wollen nicht erkannt werden. Sie haben sie gemalt. Ist das eine Bloßstellung, ein Tribunal?
Nein. Erstens porträtiere ich nie, um Ähnlichkeit herzustellen, sondern um durch diesen kreativen Prozess die Haltung eines Menschen besser zu verstehen: Wie steht er im Raum, in der Welt, mit welcher Haltung übt er seinen Beruf aus? Gerade im Sicherheitsbereich fällt es besonders ins Gewicht, ob jemand seinen Beruf engstirnig, großzügig, akribisch oder lässig ausübt. Ob er zum Beispiel ausschließlich mit Menschen seiner Hierarchieebene spricht. Oder ob er nur in die Richtung schaut, die sein Vorgesetzter vorgibt, ob ihn vielleicht Opportunismus und Karrieregründe leiten. Das ist ein Bündel von Motivationen.
Der Sicherheitsapparat wäre demnach also nicht gezielt auf dem rechten Auge blind?
Die Ausstellung „Kein Einzelfall. Rechtsradikale Realitäten in Deutschland“ ist ab dem 3.6. auf Kampnagel Hamburg bis zum 27.6. zu sehen. Besuch nur mit Anmeldung unter tickets@kampnagel.de. Die Zeitslots an allen Tagen sind 16:00 / 17:00 / 18:00 / 19:00 Uhr. Der Besuch ist kostenlos.
Im Ergebnis natürlich schon, denn er ermöglicht die Fortführung rechten Terrors bis heute, wie das Attentat von Halle und die Drohmails des “NSU 2.0“ zeigen. Ich würde das aber nicht jedem einzelnen Ermittler unterstellen. Dafür kenne ich die individuellen Beweggründe zu wenig.
Warum haben Sie sich überhaupt mit der Aufarbeitung der NSU-Morde befasst?
Weil einer der zehn Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, derjenige an Süleyman Taşköprü, 2001 ganz in der Nähe meines damaligen Hamburger Ateliers passierte. Ich war entsetzt darüber, dass jemand unbehelligt in einen Laden gehen und einen anderen erschießen kann – und dass die Polizei dann auch noch die Angehörigen des Opfers verdächtigt. Als klar wurde, dass der NSU – und er bestand nicht nur aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, sondern aus einem bundesweiten Netzwerk – verantwortlich war, habe ich intensiv dazu recherchiert. Denn es waren ja gerade keine Einzelfälle.
Aber warum ausgerechnet die Ermittler malen?
Den Ausschlag gab der thüringische Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer, der 2012 öffentlich über die NSU-Morde sagte: „Damit muss man leben.“ Das hat mich sehr schockiert. Ich wollte wissen, was er für ein Mensch ist und beschloss, ihn zu aquarellieren. Das ist eine sehr schnelle, intuitive Malweise, die mir einen von persönlichen Urteilen und Vorurteilen ungetrübten Blick erlaubt. Dann merkte ich, ich will mehr wissen, ich will auch die anderen sehen. Deshalb bin ich zu etlichen Untersuchungsausschüssen gefahren und habe 39 weitere Porträts gemalt – ausschließlich Männer, weil sie den Sicherheitsapparat zu 99 Prozent prägen.
Und es sind Männer mit schlechtem Gedächtnis.
Ja, viele beriefen sich gerade dann, wenn es interessant wurde, auf Gedächtnislücken. Das war sehr enttäuschend. Um meine Machtlosigkeit zu überwinden, habe ich die Praxis des Aktenschwärzens umgedreht und 40 Protokollauszüge geschwärzt bis auf Sätze wie „Es ist mir nicht erinnerlich“ oder „Dass es mir nicht erinnerlich ist, deutet in die Richtung, dass es nicht stattgefunden hat“. Eins dieser von mir geschwärzten Protokolle läuft jetzt auf Kampnagel über einen Monitor. Er steht in einer begehbaren schwarzen Box, während einzelne Zitate über eine Tonspur vorgelesen werden. Oberhalb sieht man per Video Aktenordner wie an einem Kettenkarussell vorbeiziehen. Endlos wie die seit Beginn der – immer noch unvollständigen – Ermittlungen verflossene Zeit. In Hamburg zum Beispiel hat es bis heute keinen NSU-Untersuchungsausschuss gegeben.
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