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Künstlerin Susanne Kriemann in LeipzigEin Sediment, das Rätsel aufgibt

Eine Schau in Leipzig präsentiert die außergewöhnliche Künstlerin Susanne Kriemann. In ihren Arbeiten macht sich die Natur ein Bild von sich selbst.

Susanne Kriemann, „Knochen, Pech, Natternkopf (Being a Photograph)“, Installationsansicht GfZK Foto: Alexandra Ivanciu, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

In der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) läuft eine Ausstellung, die man nicht verpassen sollte. Sie ist kongenial in den Pavillonbau der GfZK platziert mit seinen wandhohen Glasfassaden und dem Blick auf eine Grünanlage. Wer das Environment von Susanne Kriemann betritt, ist in einer Art verspiegeltem Zwischenreich, scheinbar ohne Trennung von innen und außen.

Archaisch wirkende Stoffbahnen hängen von der Decke. Sie sind bedruckt mit Fotografien getrockneter Pflanzen und eingefärbt mit Pigmenten gemörserter Pflanzenfasern. Sie werfen mächtige Schatten und verschwistern sich mit dem Strauchwerk draußen. Sie sind Medium, Bild, Textil und Installation in einem.

Susanne Kriemann, Professorin für Code & Image an der HfG Karlsruhe, ließ auch gerahmte Bilder an die Wände hängen. Nicht identifizierbare Strukturen und verschwommene Farbfelder erinnern an die informelle Malerei. Doch handelt es sich um Heliogravüren, eines der ältesten Verfahren der Vervielfältigung fotografischer Bilder – unter Verwendung von Farbpigmenten, die aus den abgebildeten Pflanzen gewonnen wurden. Oder um Autoradiogramme, violette Flecken, die wie gesprüht wirken, aber in Wahrheit die Strahlung von Uraninit sichtbar machen.

Die Ausstellung

„Susanne Kriemann. Knochen, Pech, Natternkopf (Being a Photograph)“. Galerie für

Zeitgenössische Kunst, Leipzig, bis 5. Oktober

In Kriemanns Kunst werden ihre Motive oft selbst aktiv: die Mineralien, die Pflanzen, das Licht. In diesem außerordentlichen Werk rücken physikalische und chemische Prozesse in den Vordergrund. Man könnte sagen, die Natur löst das Bild aus. Der Mensch sorgt bloß für das Material, die Technik, stellt die Bedingungen der Transformation eines Naturzustands sicher. Das geschieht nicht ohne Recherchen und Feldforschung.

Die Kamera auf Moose und Flechten richten

Für das Langzeitprojekt „Pechblende“ fuhr Kriemann mit Bergleuten der Wismut GmbH in Thüringen unter Tage. Das Unternehmen baute zu DDR-Zeiten als SDAG Wismut Uran für die UdSSR ab. Sie arbeitete mit Biologen der Universität Jena auf der Gessenwiese, einem Areal, wo zur Renaturierung verstrahlter Abraumhalden geforscht wird.

In dem Werkkomplex „Hey Monte Schlacko“ konsultierte sie den Biologen, der die Renaturierung des Metallschuttbergs bei Siegen begleitet. Kriemann richtete ihre Kamera auf Moose, Flechten und seltene Pflanzen, die auf dem schwermetallhaltigen Boden gut gedeihen und erstaunlicherweise für eine Verbesserung der Artenvielfalt gesorgt haben.

Kriemann ist eine Chronistin. Sie interessiert sich für Transformationen, die unsere Umwelt unmerklich verändern und ein Sediment hinterlassen, das späteren Generationen Rätsel aufgeben wird. Sie bringt uns zum Staunen über verborgene Prozesse. Das Schöne ist bei ihr mit Erkenntnis verbunden, mit rational nachvollziehbaren Vorgängen, die manchmal nur literarisch erfasst werden können.

In ihrem kürzlich erschienenen Band „Being a Photograph“ (Edition Camera ­Austria) sind neben Texten von Wissenschaftlern Gedichte zu lesen. Die Künstlerin entgrenzt das Verfahren der Fotografie radikal neu.

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