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Künstler und DDR-Dissident im PortraitEin Mann wie ein U-Boot

Stephan Krawczyk ist Liedermacher, Schriftsteller und saß in der DDR im Knast. Jetzt hat er eine neue CD mit Liedern aus 40 Jahren veröffentlicht.

„Wie ein Seidentuch drapiert er die Wörter auf dem Kneipentisch“ – Stephan Krawczyk Foto: imago/Eßling

Über Stephan Krawczyk zu schreiben ist wie der Versuch, einem U-Boot zu folgen: Erst ist es da, dann plötzlich weg. Man steht an Land, schaut aufs Meer, glaubt, Luftblasen zu erhaschen, die Fahrrinne zu lesen. Aber da ist nichts, das Ding ist abgetaucht. Irgendwann – man hat den Mann schon fast vergessen – taucht er wieder auf.

Vor Kurzem ist Krawczyk – Liedermacher, Schriftsteller, ein DDR-Dissident – wieder aufgetaucht. Jahrelang war er wie vom Erdboden verschluckt. Jetzt ist es, als krabble er aus der U-Boot-Luke und ruft: „Hab euch was mitgebracht.“ In diesem Fall ist es eine CD, mit einem kryptisch-lyrischen Titel: „Wenn die Wasser Balken hätten“. Lieder aus vier Jahrzehnten, der Dichter nennt es Audiographie.

Krawczyk steht in der Tür eines Cafés in Berlin-Kreuzberg, ein verregneter Nachmittag. Er blinzelt in den dunklen Raum und sagt: „Schön.“ Ein schmächtiger Mann mit kahlem Schädel, komplett in Schwarz gekleidet. Alles scheint wie immer. Wie vor 30 Jahren, als der Dichter und die Autorin dieses Textes sich das erste Mal begegneten. Wie vor 20 Jahren, als sich beide viele Male getroffen hatten. Und wie vor 10 Jahren, als sie sich zufällig über den Weg liefen. Nur die schwarze Brille, die ist neu. Krawczyk ist jetzt 63, Eitelkeit oder Sehkraft, das ist mittlerweile die Frage. Er bestellt einen Tee und sagt wieder: „Schön.“

Warum diese alten Lieder? Die Welt verändert sich, stündlich, da ist Platz für Neues. „Vielleicht“, sagt Krawczyk, „aber das interessiert mich nicht. Ich bin keine Zeitung.“ Sein Blick ist direkt. Dann setzt er an zu einer Rede, einem Referat über Leben und Politik und böse Weltmächte. All das habe er gehörig satt, zu alldem habe er nichts zu sagen und nichts zu schreiben. Stattdessen gebiert er Sätze wie: „Bevor sich der poetische Ausdruck in die Seele des Menschen versenkt, dauert es eine Weile.“ Wie ein Seidentuch drapiert er die Wörter auf dem Kneipentisch.

„Was wäre, wenn die Bäume kotzen“

Leipziger Winter, 1985. In der Mitte der „Tonne“ im Studentenklub Moritzbastei ein einsamer Stuhl, die „Tonne“ brechend voll. Krawczyk arbeitete sich gerade als „dissidentischer Poet“ durch die Republik. Kurz zuvor aus der SED ausgetreten, aufmüpfige Texte, Berufsverbot – und jetzt war der hier?

Im schummrigen Licht sang er Lieder über einen Clown, den Mond, Abschiede, so was. Verschwiemelte Verse, versteckte Systemkritik. Irgendwann stand er auf, stellte seine Gitarre neben sich ab und donnerte in den Raum: „Ich habe mich gerüstet in den Wald zu gehen, aber was wäre, würden die Bäume kotzen, wenn sie mich sehen?“ Ein ökologisches Statement, mal nicht von einem dieser „grünen Sonderlinge“, die in ihren Wohnungen ausgewaschene Margarinedosen stapelten, weil es in der DDR keine Mülltrennung gab.

Ich hatte keine Angst, sagt er, „ich war frei“

Stephan Krawczyk über den Knast

Als Jugendlicher konnte sich Krawczyk nicht vorstellen, eines Tages Künstler genannt zu werden. Er wurde in Weida geboren, einem tristen Nest in der thüringischen Provinz, die Mutter Briefträgerin, der Vater grub nach Uran und starb früh daran. Während Bruder Hubertus die Stones hörte, klopfte Stephan einen Rhythmus aufs Sofapolster. Im Ort war er „der Spinner“.

Teenies wollen nur über den Knast reden

Mitte der Achtziger ging er nach Berlin, lernte die Filmemacherin Freya Klier kennen, verliebte sich und sang – wegen des Berufsverbots – ausschließlich in Kirchen. Im November 1987 schrieben Klier und er dem DDR-Chefideologen Kurt Hager einen offenen Brief. Darin forderten sie Demokratie und Reformen. Das kam nicht gut an bei der Nomenklatura, bald wollte die Stasi – so geht die Legende – Krawczyk und Klier mit Nervengift umbringen.

Nach der legendären Luxemburg-Liebknecht-Demo am 17. Januar 1988, eigentlich eine Staatsveranstaltung, wurden Klier, Krawczyk und andere Bürgerrechtler verhaftet. Im Demozug hatten sie Transparente mit dem damals weitgehend unbekannten Zitat der Sozialistin Rosa Luxemburg ausgerollt: „Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden“.

Krawczyks Handy klingelt. Sein Sohn will wissen, wann der Vater nach Hause kommt. Der Junge ist 14 und Krawczyk seit 11 Jahren alleinerziehend. Das Kind vermisst nichts, sagt der Vater.

Die Reduktion auf den Dissidentenstatus nervt

Vor ein paar Jahren zog Krawczyk im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung durch Schulen, in der Tasche sein Buch „Mensch, Nazi“, eine Geschichte um junge Rechtsradikale, Ostberlin und ein Leben im Kinderheim. Krawczyk sagt, bislang habe er vor 14.000 Mädchen und Jungen gelesen. Danach will er mit ihnen immer über Deutschtümelei und Rechtspopulismus reden. Das treibt ihn um, vor allem heute. Die Teenies wollen aber nur eins wissen: „Wie war es im Gefängnis?“

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Nach 16 Tagen Isolationshaft im Stasi-Knast Hohenschönhausen wurden Krawczyk und Klier im Februar 1988 in den Westen abgeschoben. Krawczyks U-Boot tauchte das erste Mal ab. Der Westen war für die meisten Ostdeutschen ein Versprechen von Freiheit und Weltläufigkeit. Für Ost-Künstler*innen indes eher der Meeresgrund, der alles schluckte. Solange die Dissidenten „drüben“ blieben, solange FAZ und Springer sie publizistisch ausschlachten konnten, waren sie für den Westen interessant.

Auf ihre Ausbürgerung aber hat der Westen nicht gewartet. Engagements, Auftritte, Platten- und Filmproduktionen blieben für ausgereiste Ost-Stars zunächst vielfach aus. Das hat auch Krawczyk erlebt. Die Stunden in den Schulen, sagt Krawczyk, „die waren gut“. Er konnte was „rüberbringen“. Aber die Reduktion auf den Dissidentenstatus, der nervt, sagt er: „Das behindert mich in meinem Fortkommen als Künstler.“

Auf- und Abtauchen eines U-Boots

Das behinderte ihn schon zu einer Zeit, als seine ersten Romane erschienen: „Das irdische Kind“, 1993, eine autobiografisch gefärbte Geschichte über das Leben kleiner Leute im Süden der Ost-Republik. Fünf Jahre später „Bald“ mit einem Haupthelden, der Roman Bald heißt und Dichter ist. Einer mit sperrigem Gemüt, mit Frau und Kind und einem ungeregelten Leben. Beides große Stücke des irdischen Krawczyks.

In der Zeit zwischen „Kind“ und „Bald“ trafen sich der Dichter und die Autorin hin und wieder, für ein Porträt in einem Magazin. Im Sommer saßen wir im Garten seines Lieblingsfranzosen am Landwehrkanal, als es kälter wurde in seiner Wohnung, einem kargen Zuhause mit einer Matratze auf der Erde, einem Tisch, einem Stuhl. Auf dem Boden stapelten sich Bücher. „Vielleicht brauche ich doch mal ein Regal“, sagte er einmal.

Manchmal schien es, als rede er mehr für sich als mit seinem Gegenüber. Er wirbelte Sätze in die Luft wie „Nicht die Realität wird abgebildet, sondern die Wirklichkeit“. Wenn er keine Lust mehr hatte auf Gespräche, auf andere, auf Nähe, auf sich selbst, stand er auf und verschwand grußlos in die Nacht. Krawczyks U-Boot tauchte auf und ab, unvermittelt, ohne Ankündigung. Irgendwann klingelte das Telefon, er fragte: „Lust auf’n Bier?“

Geld spielt keine große Rolle

Auf seiner neuen CD, der Audiographie, gibt es Stücke wie „Wieder stehen“. Er sagt: „Wer wieder stehen will, muss sich erst widersetzen“. So kündigte er das Lied früher bei seinen Konzerten an. Als er 1988 im Westen ankam, er nennt es den „großen Schnitt“, konnte er nicht mehr schreiben. Sein U-Boot tauchte wie von selbst ab, er hatte die Gewalt darüber verloren. Erst nach drei Monaten fanden die Worte zu ihm zurück. „Komm über mich im Unterholz“ nannte er das erste Lied, das ihm im Westen in den Sinn kam.

Noch wenige Monate zuvor, hinter den Hohenschönhausener Mauern, hatte er eine produktive Phase. In wenigen Tagen schreibt er vier Stücke. Wie geht das, eingesperrt, mit dem Druck der Staatsgewalt und der Angst? „Ich hatte keine Angst“, sagt er: „Und ich war frei. Weil ich frei war in den Schwingen meiner Seele.“ So pathetisch redet wohl nur einer, der sich selbst sehr ernst nimmt.

In dieser Freiheit spielt Geld keine Rolle, bis heute nicht. „Ich muss eine Wohnung bezahlen, klar, ich muss meinen Sohn ernähren, ja“, sagt er: „Aber das Geld wird schon zu mir kommen.“ Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Aber dann weigert sich der Sohn, den seit zwei Tagen abgelaufenen Joghurt zu essen, und will ihn wegschmeißen. Es gibt aber keinen zweiten Joghurt im Kühlschrank. „Dann könnte ich zynisch werden und sagen: Ach, wäre ich doch zur Stasi gegangen, dann hätte ich jetzt eine Rente.“

Ein Lied wie aus dem Off

Das ist natürlich ein Spiel, Koketterie. Wenn Krawczyk indes sagt, er beneide manchmal den früheren „Zustand des Mangels“, weil es dadurch „weniger Möglichkeiten gab, sinnlose Wünsche in die Realität zu versetzen“, meint er das ernst. Dann ist es, als hocke er tief unten in seinem U-Boot, startbereit fürs nächste Absenken. Kurz blitzt dann mal der Realist auf, und der sagt: „Wenn die Platte gut läuft, hab ich für ein Jahr Ruhe.“

Zeit, um in den Harz zu fahren, sich dort an einen Feldrain zu stellen und ein Lied zu schreiben. Über Fernweh und Wehmut, ein „Lied aus dem Ort geboren“, wie der Dichter dichtet. Das schickt er übers Handy in die Stadt. Ein Lied wie aus dem Off, gesungen mit brüchiger Stimme und verrutschten Töne. Und danach? Schweigen.

Wie lange? Keine Ahnung. Vielleicht trifft man sich zufällig, vielleicht auch nicht. Wenn es passiert, ist es ein Wiedersehen, wie man es nicht so häufig hat. So wie vor etwa zehn Jahren, an einer Autobahntankstelle in Sachsen-Anhalt. Krawczyk an Zapfsäule 4, die Autorin dieses Textes an der 5. „Hi, Simone.“ „Hallo, Stephan.“ „Wollen wir nicht zusammen nach Berlin fahren?“ „Äh …“ „Steig bei mir ein und lass dein Auto hier stehen.“ „Äh …“

Am Ende fuhr jeder allein weiter.

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