Künftiger Kanzler Olaf Scholz: Der Unauffällige
Olaf Scholz' Karriere verlief ohne Brüche und Dramen – am Mittwoch will sich der Sozialdemokrat zum Bundeskanzler wählen lassen. Wie wird er regieren?
Bis vor vier Tagen war Olaf Scholz öffentlich in der Coronadebatte fast unsichtbar. Seit Dienstag ist der Mann, der bald der vierte SPD-Kanzler der Republik wird, medial omnipräsent. Am Dienstag verteidigt er in den „Tagesthemen“ leicht gereizt die Coronamaßnahmen der Ampel. Am Mittwoch wirbt er bei Joko und Klaas auf Pro 7 fürs Impfen. „Es ist mir bewusst, dass jung sein und Abstand halten nicht gut zusammenpassen“, sagt er. Ein lässiger, konzentrierter Auftritt. Am Donnerstag erklärt er im Zeit-Interview, wie er regieren wird. „Es soll ums Machen gehen“. Scholz, der Macher. So sieht er sich selbst gern.
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Am Dienstag tritt er auch bei Bild-TV auf und erklärt, warum er als Kanzler eine Impfpflicht einführen wird. Die hatte er vor drei Monaten noch für überflüssig gehalten. Warum, fragt der Bild-Journalist, soll man ihm vertrauen, wenn er als Kanzler dieses Versprechen bricht? Scholz hebt den Finger, zeigt auf sein Gegenüber und sagt: „Sie sollen mir vertrauen“.
Die Geste, mit dem Finger meist auf das Publikum zu zeigen, benutzen US-Politiker oft, um tatkräftig zu wirken. Bei Scholz wirkt diese Gebärde wie ausgeliehen. Wie einstudierte Spontanität. Olaf Scholz arbeitet an sich. Er will nicht mehr so steif wirken, weniger gedrechselt reden. Er hat seinen Dresscode verändert. Öfter mal keine Krawatte und ein offenes Hemd. Es ist die Art von Lockerheit, die hart erarbeitet wirkt.
Es gibt über den künftigen Kanzler der Ampelregierung keine Biografie. Das ist erstaunlich, denn an Politikerbiografien herrscht kein Mangel. Es gibt Bücher über Armin Laschet und Markus Söder, Wolfgang Kubicki und Sahra Wagenknecht und über Robert Habeck gleich zwei.
Nix Privates
Scholz fehlt in dieser Reihe. Er redet ungern und wenig über sich selbst. Fragen nach seinen Eltern und Brüdern, ein Arzt und ein Geschäftsführer in einer IT-Firma, blockt er ab. Das Bild, das jene entwerfen, die sich an ihn als Schüler, als dogmatischen Stamokap-Juso und Anwalt für Arbeitsrecht erinnern, wirkt graustichig. Keine farbigen Anekdoten, keine Prägungen, die Besonderheiten erklären.
Privates ist über ihn kaum zu erfahren. Er ist mit dem Auto zu schnell unterwegs. „Fahr nicht mit Olaf“ war bei Hamburgs SozialdemokratInnen ein geflügeltes Wort. Früher neigte er zum Dicklichen, jetzt wirkt er drahtig. Er joggt und rudert regelmäßig. Er hat seinen Körper in Form gebracht. Nicht wie Joschka Fischer, als Drama von abwechselnden Sport- und Essensexzessen, sondern diszipliniert und planmäßig. Das Leben von Olaf Scholz hat nichts Grelles.
Es gibt nur einen Bruch in seiner politischen Biografie – er hat sich vor 30 Jahren vom dogmatischen Marxisten in eine Mitte-Sozialdemokraten verwandelt. Auch das geschah still, ohne Drama. Sonst gibt es bei Scholz keine Höhenflüge, keine Abstürze. Ein Leben in Schwarz-Weiß. Auffällig an Olaf Scholz ist seine Unauffälligkeit.
Aber man kennt ihn. Er gehört seit 20 Jahren zum politischen Inventar der Republik. Nach 2002 war er Gerhard Schröders Generalsekretär. Ein Job im Hintergrund, ohne Ruhm, aber mit Einfluss. Scholz’ Neigung, mit Floskeln die Agenda 2010 zu verteidigen, war berüchtigt. In der SPD wurde er nie sonderlich gemocht, bei Parteitagen bekam er oft miese Ergebnisse. Allerdings lobten alle Sozialdemokraten seine Arbeit in der Antragskommission vor Parteitagen.
Ab 2007 war er zwei Jahre ein effizienter Arbeitsminister, der in der Finanzkrise mit Kurzarbeitergeld Jobs rettete. 2011 wurde er mit absoluter Mehrheit zum Ersten Bürgermeister von Hamburg gewählt, wo er wie ein König regierte – bis er 2018 als Vizekanzler und Finanzminister zurück in die Bundespolitik ging. Man kennt Olaf Scholz, so wie ein Möbelstück, das schon immer im Flur stand. Gewöhnlich, funktional, vertraut.
Wie wird er regieren? Wie Merkel, zurückhaltend, und im Vertrauen auf die Macht der Moderation? Oder härter, riskanter, „männlicher“? Es gibt ein paar widersprüchliche Geschichten über ihn, die sich zu Bildern verdichtet haben. Der Besserwisser. Der Machtmensch, der alles kontrolliert. Oder: Wie Merkel, aber mit Plan.
Der Grüne Till Steffen kennt Olaf Scholz aus seiner Zeit in Hamburg. Die Koalitionsverhandlungen 2015 hat Steffen, unter Scholz Justizsenator, in unschöner Erinnerung. Scholz dozierte stundenlang, die Grünen machten keinen Stich. „Er wollte uns zeigen, wo der Hammer hängt“, so Steffen.
Das politische Handwerkszeug für solche Machtdemonstration hatte Olaf Scholz bei den Jusos gelernt. Dazu gehört auch, vor Sitzungen immer Vorgespräche zu führen. Nie unvorbereitet zu sein. Und lange zu reden, um wenig Zeit für Einsprüche zu lassen. Auch manche Sozialdemokraten haben Scholz’ ausufernde Referate in unguter Erinnerung. Scholz war in Hamburg ein Kontroll-Freak. SPD-Senatoren mussten sich bei Bund-Länder-Gesprächen auch Kleinigkeiten von ihm absegnen lassen. Für die Anweisung von oben gab es in der Hamburger Verwaltung ein Kürzel. OWD. Olaf will das.
Dieses Bild hat zwei Seiten: Positiv gesehen ist er ein Perfektionist wie Angela Merkel. Jemand, der gut informiert ist und auch das Kleingedruckte gelesen hat. Negativ gewendet ist er der König, der niemandem traut und allen zu verstehen gibt, dass er es besser weiß. Und der wie in einem Spiel testet, wie weit er seine Macht ausdehnen kann.
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Ein Drehpunkt in diesem Spiel war der G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017. Scholz hatte alle Zweifel, ob Hamburg der richtige Ort dafür wäre, beiseite gewischt. Er strebte nach der gescheiterten Olympiabewerbung auf die große Bühne. Die Hamburger, so sein Versprechen, würden von dem Gipfel nichts merken. Es kam anders. Es gab Randale, Verletzte, brennende Autos. Ein Debakel für Scholz. G20 war anders als die Warburg-Cum-Ex-Affäre, bei der Scholz eisern seine Unschuld behauptet. Anders als der Wirecard-Skandal, bei dem die Bafin versagte, die dem Finanzministerium unterstand.
Das G20-Chaos war ein Dementi seines Selbstbilds – der Macher, der plant, präzise abwägt, der alles kontrolliert und im Griff hat. Er entschuldigte sich widerwillig in der Bürgerschaft für das Debakel. Seitdem hat allerdings das Wort Demut Eingang in seinen Wortschatz gefunden. Vielleicht hat Scholz verstanden, dass auch seine Hybris ein Störfaktor in seinen Plänen sein kann.
Das Selbstherrliche hat jedenfalls Grenzen. Loyalität zum Beispiel. „Er hat sich nie öffentlich negativ über Senatoren und Senatorinnen geäußert“, sagt Steffen, der als Hamburger Justizsenator oft unter Beschuss stand.
Seine Fans halten Scholz für Merkel mit Plan. Das hat der Stern 2015 über ihn geschrieben. Merkel und Scholz sind ultrapragmatisch und schauen distanziert auf ihre Parteien. Scholz aber, so die freundliche These, handle nicht nur situativ wie Merkel, sondern weitsichtiger.
Dafür gibt es Beispiele. 2017 hat Scholz die SPD-Niederlage analysiert. Die Löhne der Niedrigverdiener würden sinken, die Mittelschicht stagniere, die Reichen profitieren. Damit der Fortschritt unten wieder ankomme, müsse ein höherer Mindestlohn her. Und das sei der Job der SPD. Scholz promotete als erster Spitzensozialdemokrat 12 Euro Mindestlohn, damals eine Forderung der Linkspartei. Das ist der Scholz’sche Dreischritt: Analyse, Forderung, Umsetzung. Sagen, was man tut. Tun, was man sagt. Das ist auch seine Kurzfassung des Lernprozesses der SPD nach dem Agenda-Absturz. Sein Ehrgeiz in Sachen soziale Gerechtigkeit scheint mit dem Mindestlohn allerdings wieder erschöpft zu sein.
Wird er in Sachen Führungsstil Merkel II. oder wird das Autoritäre der Hamburger Zeit wieder hervortreten? Eher das Erste. Die Koalitionsverhandlungen hat Scholz, wie aus allen drei Parteien zu hören war, fair moderiert. Sie sind so gelaufen, wie er es geplant hatte. Nichts drang nach außen. Alles war pünktlich fertig. Vielleicht ist er am Ziel seiner Karriere auch gelassener als früher. Vor allem aber muss er moderieren. Anders lässt sich das Dreierbündnis gar nicht managen.
Bei Grünen und FDP rumort es. Die grüne Basis ist unglücklich über den FDP-Verkehrsminister, für die Liberalen ist der Weg von der Oppositionsrhetorik zur Regierungspartei weit. Hier Marktradikale, dort Klimaretter – die Spannung ist groß. Scholz muss diese Fliehkräfte bändigen und ausgleichen. Mit Endlosreferaten oder als Helikopterkanzler, der alle Ministerien kontrolliert, wird er scheitern. Scholz kann früher als Merkel somit eine eher präsidiale Rolle spielen. Als Schiedsrichter und Moderator.
Schon vor der Vereidigung des Kabinetts nächste Woche ist die erste Härteprobe in Sicht: Corona und die Impfpflicht. Man sieht nun die Lücken in Scholz’ Dreischritt. Tun, was man sagt heißt auch: Schweigen, wenn man es nicht weiß. Als die Coronazahlen explodierten, hielt Scholz eine belanglose Rede im Bundestag. Die Aufregung über die Coronapolitik, den Ruf nach rasch wirksamen Maßnahmen, bezeichnete er in den „Tagesthemen“ abfällig als „Grundrauschen“, Gerede ohne Folgen. Grundrauschen, das ist für Scholz die Diskussion, die er nicht kontrolliert. Die Debatte, die er noch nicht entschieden hat.
Als Scholz sich klar war, was zu tun ist, kündigte er die Impfpflicht an. Das ist jetzt der Plan. In der FDP-Fraktion halten manche die Impfpflicht für eine Grundrechtseinschränkung. Deshalb wird der Fraktionszwang aufgehoben. Wenn es für die Ampel dumm läuft, braucht sie bei ihrem ersten zentralen Gesetz Stimmen von Union oder Linkspartei. Es wäre kein souveräner Start.
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