Kuba fürchtet neue Wirtschaftskrise: Zwischen Trump und Venezuela
In Kuba ist der Mangel zurück. Verantwortlich dafür sind die Strangulierungspolitik der USA, die Krise in Venezuela und interne Reformblockaden.
Bei ihm in Havannas Stadtviertel Vedado kehren allerdings kaum Touristen ein, sondern Kubaner, die günstig essen wollen. Sein Chef verlangt etwa 50 Peso Nacional, umgerechnet 2 US-Dollar, für eine reichhaltige Mahlzeit. Reis ist dabei unersetzlich und war bislang stets verfügbar.
Dass hier und da Grundnahrungsmittel fehlen, ist normal in Kuba. Im vergangenen Dezember war Mehl über Wochen knapp. Im März standen die Menschen überall für Speiseöl an. Derzeit klaffen auf vielen Regalen in den Supermärkten der Regierung große Lücken.
„Wir fahnden permanent nach den Zutaten für unsere Gerichte, manchmal müssen wir auch etwas von der Karte nehmen“, gibt Perdomo schulterzuckend zu. Es ist ein wiederkehrendes Thema auf der Insel der langen Warteschlangen. Derzeit winden sie sich vor Supermärkten oder den Bodegas, wo rationierte Lebensmittel zu subventionierten Preisen auf die Libreta, das Bezugsheft, abgegeben werden, schon mal um zwei, drei Häuserblocks.
Bittere Nachrichten für Kubas Tourismussektor
An den Tankstellen ist das nicht anders. „No hay“ – gibt es nicht – ist immer öfter zu hören. „Der Regierung fehlen die Devisen, um auf dem Weltmarkt alles Nötige einzukaufen“, so der kubanische Sozialwissenschaftler Ricardo Torres von der Universität Havanna.
Dafür sind laut Torres drei Faktoren ausschlaggebend. „Im September 2017 hat US-Präsident Donald Trump Sanktionen verhängt, seit Mai 2019 hat er sie verschärft, und die Strafmaßnahmen stellen alles vorher Gewesene in den Schatten.“ In zwei Schritten wurde der US-Tourismus nach Kuba abgewürgt. Im April wurden neuerliche Reisebeschränkungen für US-Amerikaner eingeführt, Anfang Juni erfolgte dann auch das Aus für Reisen von Gruppen sowie für Kreuzfahrten – für Kubas Tourismussektor eine bittere Nachricht. „Nach den Kanadiern waren die USA mit rund 600.000 Besuchern der wichtigste Markt“, sagt Torres.
Besonders spürbar ist das rund um den Hafen von Havanna: Restaurants ohne Gäste, Souvenirhändler ohne Kunden und Taxifahrer in bonbonfarbenen Cabriolets aus den 1950er-Jahren, die auf die nun verwaisten Festungsanlagen am Hafeneingang blicken.
Doch noch empfindlicher treffen die Insel derzeit die Sanktionen gegen Reedereien, die Öl und andere Güter nach Kuba verschiffen, sowie gegen Banken, die Geschäfte mit Kuba abwickeln. Nachdem im November 2018 deshalb eine Strafe von 1,3 Milliarden US-Dollar gegen die französische Bank Société Générale verhängt wurde, haben andere Banken kubanischen Kunden die Konten gekündigt – darunter die spanische Banco Sabadell oder die Multibank Panamá.
Enteignete können wieder Ansprüche stellen
„De facto wird es für die kubanische Regierung schwieriger und deutlich teurer, Transaktionen mit Geschäftspartnern abzuwickeln“, erklärt Torres. Das sorgt für Lücken im Angebot und für tiefe Löcher in den Kassen der Regierung. Etliche Lieferanten, darunter auch deutsche, die zum Beispiel Rohstoffe für die pharmazeutische Industrie nach Kuba liefern, erhalten ihr Geld gar nicht oder mit erheblicher Verzögerung.
Mit mindestens 1,5 Milliarden US-Dollar soll Kubas Regierung bei ihnen in der Kreide stehen, ist aus Diplomatenkreisen in Havanna zu hören. Die Zeichen stehen schlecht, dass sich daran etwas ändert. Ein Grund ist, dass die Regierung Trump auch die Geldsendungen aus den USA an Verwandte auf der Insel auf 1.000 US-Dollar pro Vierteljahr gedeckelt hat.
Aber noch wichtiger ist: Seit Anfang Mai dürfen in den 1960er-Jahren zwangsenteignete US-Unternehmen oder Privatpersonen internationale Unternehmen verklagen, die heute auf Kuba deren Grundstücke oder Gebäude nutzen. Dabei hatte die kubanische Regierung in den Jahren nach der Revolution Kompensationszahlungen angeboten – nicht nur US-amerikanischen, sondern auch kanadischen oder französischen Alteigentümern. Während die einen akzeptierten und entschädigt wurden, lehnten die anderen ab.
Nun haben die US-Gerichte das Wort, die Ansprüche von Klägern in den USA gegen internationale Unternehmen durchsetzen sollen, die dort Vermögen haben. Für die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, ist die „extraterritoriale Anwendung einseitiger restriktiver Maßnahmen völkerrechtswidrig“. Sie hat den USA mit Gegenmaßnahmen und dem Gang vor die Welthandelsorganisation gedroht.
Venezuela liefert weniger
Passiert ist bisher aber nichts, obwohl die ersten Klagen eingegangen sind. So muss sich die spanische Hotelkette Melià verantworten, weil sie ein Hotel in Cienfuegos betreibt, das einst enteignet wurde. Auch der US-Kreuzfahrtkonzern Carnival Cruise sieht sich Ansprüchen exilkubanischer Familien gegenüber, die Teile des Hafens von Santiago de Cuba für sich reklamieren. Exxon hat zwei staatliche kubanische Unternehmen in Washington D.C. vor Gericht gebracht, die eine Raffinerie im Hafen von Havanna nutzen. Ansprüche werden auch auf den Flughafen von Havanna erhoben. „Wir müssen abwarten, was die Gerichte entscheiden, aber für potenzielle Investoren hat das einen abschreckenden Effekt“, meint Torres.
Dabei ist der Investitionsbedarf auf der Insel an allen Ecken und Enden sichtbar. Positive Nachrichten wie der Einsatz neuer russischer Züge auf der Bahnstrecke von Havanna nach Santiago de Cuba sind selten. Auch Diesel und Erdöl für die Kraftwerke sind knapp. Dafür ist die beispiellose ökonomische Talfahrt im Bruderland Venezuela verantwortlich. „Fünfzig Prozent oder weniger Erdöl als ursprünglich einmal vereinbart erhalten wir heute noch. Die dadurch ausgelöste Energiekrise ist heute spürbar – stärker als noch 2016“, sagt Torres über den zweiten wichtigen Faktor, der die Krise auf der Insel hat handfest werden lassen.
Um zwei Drittel ist der Handelsaustausch mit dem in einer tiefen politischen Krise steckenden „Bruderstaat“ Venezuela seit 2014 zurückgegangen. Es ist erklärtes Ziel der USA, Kuba zum Abzug seiner Hilfsleistungen aus Venezuela zu zwingen. Noch sind 20.000 kubanische Ärzte dort beschäftigt.
Weitere Maßnahmen, um „für die kubanische Regierung den Zugang zu US-Dollar zu beschränken“, hat John Bolton, Sicherheitsberater Trumps, angekündigt. Für Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel stellt die Strategie Trumps eine „Strangulierungspolitik“ dar, der er entgegenzusteuern versucht. Etliche Produkte des täglichen Bedarfs werden seit Mai des Jahres rationiert, um „allen den Zugang zu garantieren“, so heißt es in Havanna.
Jahrelange Debatten, keine Entscheidungen
Zum 1. August wurden die Löhne im Staatssektor in vielen Berufen spürbar erhöht. Bis zu 60 Prozent mehr kubanische Pesos landen in den Lohntüten. Der kubanische Durchschnittslohn ist auf 1.000 Peso, umgerechnet rund 40 US-Dollar, gestiegen.
Solche Maßnahmen begrüßt der Dolmetscher Jesús Irsula genauso wie die erste Preisdeckelung für Bier und andere Produkte. „Das sorgt dafür, dass der Lohnanstieg auch ankommt. Ich habe von Mitarbeitern von staatlichen Unternehmen gehört, die an ihre Arbeitsplätze zurückkehren“, meint der 62-Jährige.
„Kurzfristig wird das funktionieren“, schätzt Ricardo Torres, dem das „positive Signal in einer Zeit der schlechten Nachrichten“ durchaus gefällt. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, wie die steigende Nachfrage nach Lebensmitteln und Konsumartikeln mittelfristig gedeckt werden soll – angesichts leerer Kassen und chronisch niedriger Produktivität.
„Es droht steigende Inflation“, so Pavel Vidal, kubanischer Finanzexperte an der Universität Javeriana im kolumbianischen Cali. Er hofft, dass die Regierung bei den Ende Juni angekündigten Reformen, die Dezentralisierung und Exportförderung begünstigen sollen, auch den Genossenschaften und Privatunternehmern mehr Autonomie zubilligt. Darüber ist in Kuba über Jahre diskutiert worden, ohne sich zu Entscheidungen durchzuringen. Interne Reformblockaden sind für Torres wie Vidal der dritte Faktor für die sich verschärfenden Wirtschaftskrise.
Ein Beispiel: Seit Jahren warten Genossenschaften wie der Stadtgarten von Alamar, wo großflächig Gemüse angebaut wird, darauf, Bewässerungstechnik direkt importieren zu können. „Wir wissen, was wir wollen, sind aber abhängig davon, was der Staat einkauft. Das ist selten das Richtige“, so Miguel Salcines, Vorsitzender der Genossenschaft, schulterzuckend.
Ob sich daran etwas ändern wird, ist noch unklar. Details der angekündigten Reformen sind noch nicht bekannt. Auf der Insel geht derweil die Angst um, dass der Mangel der „Periodo Especial“ zu Beginn der 1990er-Jahre wiederkehren könnte. Eine vergleichbare Krise schließt Torres zwar aus, aber nicht nur für dieses Jahr erwartet er rote Zahlen. „Wir stecken in einem Teufelskreis.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft