Kritische Infrastruktur in der Ukraine: Raketen als Energieräuber
Durch russische Luftangriffe verliert die Ukraine immer mehr Energie-Infrastruktur. Stromsparen ist das Gebot der Stunde.
![Eine dunkle Straße Eine dunkle Straße](https://taz.de/picture/5883058/14/31387297-1.jpeg)
W ir haben ein Paket mit der Post bekommen, von meiner Tante aus dem Gebiet Charkiw. Das Dorf, in dem sie lebt, war ein halbes Jahr lang russisch besetzt. Anfang September wurde es befreit. Das Erste, was meine Tante tun wollte, war, ein Geschenk zu verschicken: einen Sack Kartoffeln und einen Sack Zwiebeln.
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Unter Beschuss hatte Tante Walja mit ihrem Mann dieses Gemüse angebaut. Und, kaum dass die Post wieder funktionierte, verschickte sie etwas davon an ihre Verwandten in Odessa. Im Dorf meiner Tante gibt es zurzeit noch keinen Strom, die Post arbeitet mit einem Generator. In dem Brief, den sie unserem Kartoffel-Zwiebel-Geschenk beigelegt hatte, schrieb meine Tante neben Worten des Glücks und der Freude: „Spart Strom!“
Ich habe diese Geschichte bei der Arbeit erzählt und dann ging es los.
Es war ein gewöhnlicher Montag, ich kam ins Büro. Meine Kollegin ging die ganze Zeit hinter mir her und machte das Licht aus. Zuerst dachte ich, dass das ja nichts Ungewöhnliches sei. Es ist einfach so, ich vergesse das Energiesparen und sie, ohne viel Aufhebens, korrigiert meine Fehler.
Laut Aussagen des ukrainischen Präsidenten haben russische Raketen- und Drohnenangriffe 30 Prozent der ukrainischen Kraftwerke entweder beschädigt oder zerstört. Im Oktober haben diese Angriffe wieder zugenommen. Die meisten der feindlichen Raketen und Drohnen werden vom ukrainischen Militär abgefangen, aber einige erreichen ihr Ziel, was dann zu kompletter Dunkelheit führt.
Damit die noch intakten Kraftwerke die benötigte Strommenge bereitstellen können, sollen die Gebiete, in denen die Lage stabiler ist, sparen. Das betrifft auch meine Heimatstadt Odessa.
Die Stromversorger bitten darum, Haushaltsgeräte morgens zwischen 6 und 9 Uhr und abends zwischen 5 und 11 Uhr nicht zu benutzen. Sie raten dazu, sich mit Kerzen einzudecken und sich auf einen harten Winter vorzubereiten.
Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, fahre ich durch die geliebte, jetzt dunkle Stadt und sehe, wie hinter den Fenstern meiner Landsleute die Kerzen brennen. In Odessa gibt es Strom, diese Kerzen brennen als Zeichen der Solidarität mit Ukrainern wie meiner Tante Walja im Gebiet Charkiw. Die Stadtverwaltung schaltet die Beleuchtung auf den Hauptstraßen ab, und die Odessiten selbst machen in ihren Wohnungen das Licht aus.
„Spart Strom!“ – für mich hat dieser Satz zwei Bedeutungen. Die eine ist, dass man weniger waschen und bügeln soll. Und die andere, dass wir uns von keiner verdammten Rakete die Energie rauben lassen dürfen.
Aber trotz des stundenlangen Luftalarms in Odessa glauben wir daran, dass alles wieder aufgebaut und repariert wird, dass die Dunkelheit verschwindet und das Licht in alle ukrainischen Wohnungen zurückkehrt.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag edition.fotoTAPETA im September herausgegeben.
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