Kritik nach Räumung von Waldbesetzung: Vorgeschobene Gründe für Law-and-Order
An der Räumung der Waldbesetzung in der Berliner Wuhlheide mehrt sich die Kritik. Der schwarz-rote Senat ließ mit teils hanebüchener Begründung räumen.
Der Umweltschutzverband BUND Berlin schloss sich der Kritik an und kritisierte darüberhinaus die vom schwarz-roten Senat ins Spiel gebrachte Verlängerung der Präventivhaft für Klimaktivist*innen. Die queerfeministische Besetzer*innen-Gruppe „Wuhli bleibt“ sprach von einem „unrechtmäßigen und unverhältnismäßig brutalen Einsatz“.
Im Laufe des Mittwochs war das kleine Baumhausdörfchen in der Wuhlheide mit 400 Polizist*innen, einer Klettereinheit, Räumfahrzeugen und Hebebühnen geräumt worden. Die Polizei rückte unangekündigt um 5:30 Uhr an und sprach mit Blick auf „prognostizierte Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ für die gesamte Wuhlheide ein Versammlungsverbot bis zum 30. September aus. Gegen 14 Personen wurden Platzverweise ausgesprochen und Anzeige erstattet. Am Ende klebten sich noch Aktivist*innen der Letzten Generation auf die stundenlang gesperrte Rudolf-Rühl-Allee, um eine Zufahrtsstraße zu blockieren.
Der Einsatz verlief für eine unangekündigte Räumung überaus friedlich: Die Aktivist*innen in den Baumhäusern begaben sich ohne großen Widerstand auf die Hebebühnen oder ließen sich abseilen. Jenseits von verbalem Protest der Besetzer*innen und einer angemeldeten Soli-Demo gab es weder militante oder gewaltsame Gegenwehr noch Rangeleien oder sonstige Auseinandersetzungen.
Um 15:38 verkündete die queerfeministische Gruppe „Wuhli bleibt“ schließlich: „Alle Aktivisti sind von den Strukturen geräumt. Passt auf euch auf, wir kämpfen weiter und halten euch auf dem Laufenden!“ Eine Eilverfügung gegen die Maßnahmen war zuvor gescheitert und entfaltete auch keine aufschiebende Wirkung – die Polizei hatte vor Ort ohnehin schon Tatsachen geschaffen.
Am Donnerstag kritisierte das Bündnis das Verbot ihrer Versammlung und die Räumung als „unrechtmäßig und unverhältnismäßig brutal“. Eine Gefährdung habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Die Baumhäuser seien baumschonend angebunden worden, kletternde Personen seien gesichert gewesen, man habe Hindernisse markiert und sogar sanitäre Anlagen besorgt.
Ebenso wie die parlamentarischen Beobachter*innen vor Ort kritisierte das Bündnis zudem, dass keine Gespräche zu Auflagen stattgefunden hätten, die das Versammlungsgesetz eigentlich vorsehe. Am Mittwoch seien mehrfach Kommunikationsversuche der Besetzer*innen von der Polizei ignoriert worden.
Law-and-Order-Allgemeinplätze
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach dennoch von einer sorgfältig abgewägten Entscheidung der Polizei mit Blick auf „mögliche Gefahren, die von der Besetzung ausgehen“. Dass er sich als „Law-and-Order“-Mann präsentieren will, teilte er nicht gerade subtil mit: „In Berlin gelten Gesetze und Regeln, an die sich alle halten müssen“, allgemeinplatzte Wegner. Die Koalition werde geltendes Recht durchsetzen.
Auch SPD-Innensenatorin Iris Spranger sprach dem Protestcamp den friedlichen Charakter ab und verwies auf „Vermummungen“ sowie „Barrikaden und Aushebungen, die fast an Fallgruben erinnern“. Die Versammlungsfreiheit sei kein Deckmantel für radikalen Protest, sagte Spranger.
Tatsächlich zeugt das Herbeireden von Gefahr durch die Besetzung von recht viel Fantasie. So wird im Schreiben der Polizei zum Versammlungsverbot, das die taz einsehen konnte, die „martialische Aufmachung“ der Besetzer*innen herausgestellt, die angeblich „auf Außenstehende eine suggestiv militante Wirkung“ erzeugen könne.
Vor Ort war während der Besetzung eher das Gegenteil zutreffend, die Besetzer*innen plenierten im Sitzkreis, chillten in Hängematten oder werkelten an Baumhäusern, Plattformen und Tripods, luden Anwohner*innen ein, vorbeizukommen. Selbst während der Räumung blieben die Besetzer*innen überwiegend gut gelaunt, trugen bunte Perücken, sangen und warteten auf die Polizei. Ihr gewähltes Wappentier war ein Maulwurf, den sie auch in Plüschform dabei hatten.
Der BUND Berlin kritisierte das restriktive Vorgehen des Senats scharf: Tilmann Heuser, Geschäftsführer des Naturschutzvereins, sieht in der Räumung einen Widerspruch zum „neuen Miteinander“, das die schwarz-rote Koalition in Berlin etablieren wolle. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegner*innen der „Tangentialen Verbindung Ost“ (TVO) habe nicht stattgefunden: „Angesichts der Klimakrise und der nötigen Verkehrswende ist der Bau neuer Hochleistungsstraßen aus unserer Sicht nicht vertretbar. Statt darüber zu sprechen, will die neue Koalition offenbar den Widerstand einfach aus dem Stadtbild verschwinden lassen“, sagte Heuser.
Ebenso kritisierte er die „Begeisterung“ von Politiker*innen von CDU und SPD für eine Verlängerung der Präventivhaft auf fünf Tage mit Blick auf die Letzte Generation: „Dabei handelt es sich um ein Instrument, das zur Verhinderung schwerster Straftaten gedacht ist. Das gegen Protestformen anwenden zu wollen, die vielleicht lästig sind, aber keine erhebliche Gefahr darstellen, sprengt den Rahmen der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit“, so Heuser.
Auch mehrere Abgeordnete, die die Räumung begleiteten, hatten bereits am Mittwoch das Vorgehen kritisiert. Ferat Koçak sagte: „Die Polizei hatte heute ein klares Ziel: trotz des friedlichen Protests die Law-and-Order-Politik der schwarz-roten Regierung konsequent und mit viel Abschreckung und Schikane gegenüber Klimaaktivist*innen durchzusetzen.“ Der Linken-Abgeordnete Tobias Schulze sprach davon, die Räumung politisch aufarbeiten zu wollen.
Der Grünen-Abgeordnete Vasili Franco nannte den Verweis auf die vermeintlich martialische Aufmachung „einen schlechten Witz“ und ebenso die Bezugnahme auf „Naturschutz“. Die Polizei hatte geltend gemacht, dass die Bäume durch die Baumhäuser beschädigt würden. Franco verwies darauf, dass der Wald vor Ort für die TVO komplett gerodet werden solle und der Verweis auf Naturschutz entsprechend „schon etwas lächerlich“ sei.
Bei der Räumung schließlich ließ die Polizei selbst einen Baum fällen, um Platz für ihr schweres Gerät zu schaffen, das dann gar nicht mehr nötig war. Auch sägte sie für ihre Räumfahrzeuge den Weg frei. Für die unnötige Rodung machte die Polizei dann die Aktivist*innen verantwortlich.
Die Aktivist*innen sprach trotz „des negativen Bildes“, das die Polizei Berlin gezeichnet habe, am Ende von einem erfolgreichen Protest. Zahlreiche Anwohner*innen hätten sich solidarisiert, durch die Waldbesetzung sei ein Ort des Austauschs und Aufmerksamkeit für das Straßenbauprojekt geschaffen worden.
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