Kritik an schnellen Asylverfahren: Ohne Beratung geht es nicht
Menschen im „Direktverfahren“ bekommen keine unabhängige Rechtsberatung, kritisieren Anwälte und Helfer. Der Senat verspricht Abhilfe.
Berlin taz Früher dauerten Asylverfahren zu lange, oft viele Monate, manchmal Jahre, heute geht es teilweise zu schnell, sagen Kritiker – vor allem bei den sogenannten Direktverfahren. Denn in den wenigen Tagen zwischen Ankunft und Anhörung beim Bamf haben die Geflüchteten keine Zeit und Möglichkeit, sich auf ihr Asylverfahren vorzubereiten. So schnell kann niemand einen Anwalt finden – und eine staatlich unabhängige Asylverfahrensberatung gibt es im Ankunftszentrum bislang nicht. Informationen bekommen die Geflüchteten zurzeit allein von den Sozialdiensten von LAF und dem Betreiber des Hangars. Zweimal die Woche kommen laut Sozialverwaltung auch JurastudentInnen der Refugee Law Clinic zur Rechtsberatung vorbei.
„Das Schnellverfahren ist eine totale Katastrophe“, sagt daher Diana Henniges von der Organisation Moabit hilft. Ohne unabhängige Beratung hätten die Menschen keine Ahnung, welche Fragen in der alles entscheidenden Anhörung auf sie zukommen oder welche Aspekte ihrer Geschichte relevant für die Entscheider sind.
Anwältin Berenice Böhlo bestätigt das. Sie sagt: „Zu einem fairen Verfahren gehört das Recht auf unabhängige Beratung. Diese ist in den Schnellverfahren nicht sichergestellt.“ So würden Entscheider zum Beispiel als Indiz für politische Verfolgung oft fragen, ob der Betreffende in seinem Heimatland Ärger mit der Polizei gehabt habe. Eine solche Frage würden aber etwa Roma vom Balkan so verstehen, ob sie schon einmal geklaut hätten – und entsprechend nie zugeben, dass die Polizei ihnen Probleme bereitet hat. „Die Bamf-Mitarbeiter erklären nicht den Hintergrund ihrer Fragen – und sie haken auch nicht nach.“
Bamf-Studie unter Verschluss
Das aber heißt: Ohne unabhängige Rechtsberatung vor dem Interview würden Asylanträge abgelehnt, „die bei ausreichendem Vortrag durch die Betroffenen nach deren entsprechenden Beratung nicht abgelehnt würden“, so Böhlo.
Auch der Psychologe Dietrich Koch von Xenion, einem Beratungs- und Therapiezentrum für Geflüchtete, beklagt die Benachteiligung von Menschen im Direktverfahren. In normalen Asylverfahren könne Xenion unter Umständen psychologische Gutachten einbringen, die etwa eine Traumatisierung durch Folter bestätigen. Aber in Schnellverfahren „bekommen wir gar kein Bein mehr in die Tür. Nur in den wenigen Fällen, wo die Leute zu uns kommen, bevor sie ins Verfahren gehen.“
Schützenhilfe bekommen Flüchtlingsanwälte und -organisationen von ungewohnter Seite: Das Bamf selbst hat 2017 in seinem Evaluationsbericht zu einem Pilotprojekt in drei Ankunftszentren (in Bonn, Gießen und Lebach) festgestellt, dass eine unabhängige Beratung zahlreiche positive Auswirkungen auf das Asylverfahren hat. Die Asylbewerber würden ihre Rechte besser verstehen und könnten ihren Pflichten, etwa zur Beschaffung von relevanten Dokumenten, besser nachkommen, heißt es dort etwa. Die Beratung „fördert so die Qualität der im Asylverfahren getroffenen Entscheidungen“.
Zudem könne unabhängige Beratung „zu einem effektiveren Sachvortrag und folglich zu einer besseren Aufklärung des Sachverhalts in der Anhörung beitragen“. Auch seien durch die Kooperation zwischen Beratungsstellen und Ankunftszentren „frühzeitige Hinweise auf verfahrensrelevante Informationen“ möglich, etwa zu besonderen Hilfebedarfen der Betroffenen. So könne die Kooperation „die Effizienz des Behördenverfahrens steigern“, erklärt der Bericht, der laut Pro Asyl vom Bundesinnenministerium zurückgehalten wird; veröffentlicht wurde er kürzlich vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat.
Hangar als Teil des Problems
Der Berliner Senat hat – anders als die Bundesregierung – das Problem erkannt: Derzeit werde die Ausschreibung für eine unabhängige Verfahrensberatung erarbeitet, erklärte die Sozialverwaltung auf taz-Anfrage. Für 2018 und 2019 sind dafür im Haushalt je 200.000 Euro vorgesehen. Sie soll noch in diesem Jahr installiert werden – direkt in Hangar 2.
Allerdings ist dieser selbst Teil des Problems, sagen manche – als „Symbol der Ausgrenzung, Entwürdigung und Diskriminierung Geflüchteter“, wie kürzlich Willkommensinitiativen aus den Bezirken, die Hilfsorganisation Be an Angel und der Berliner Flüchtlingsrat erklärten. Die Unterbringung dort, auch wenn sie nur ein paar Tage dauere, diene allein der Abschreckung. Zudem könne in der Hektik der Massenunterkunft niemand zur Ruhe kommen und sich auf sein Asylverfahren konzentrieren. Die Organisationen fordern, den Hangar sofort zu schließen. Stattdessen könnten Neuankommende zum Beispiel im Containerdorf nebenan auf dem Feld untergebracht werden, schlägt das Netzwerk Berlin hilft vor.
Auch die für die Unterbringung Geflüchteter zuständige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) will den Hangar eigentlich schließen. Schon im Dezember ließ sie über ihre Pressestelle erklären, es würden mehrere Alternativstandorte geprüft, auf erneute taz-Nachfrage Anfang Juni hieß es dasselbe. Das Containerdorf nebenan sei aber nicht geeignet, so die Verwaltung, weil es eine Gemeinschaftsunterkunft sei mit anderen Aufgaben als ein Ankunftszentrum.
Bund will nicht entschleunigen
Kritisch sieht Breitenbach auch das Schnellverfahren an sich, weil es „im Einzelfall die Wahrung der besonderen Rechte der Asylbegehrenden erschwert“. Daher habe man auf der Integrationsministerkonferenz im März den Antrag eingebracht, Asylverfahren zu entschleunigen, damit Zeit bleibt, ein Beratungsangebot und einen Rechtsbeistand zu konsultieren. Die Integrationsminister hätten dies mehrheitlich befürwortet. „Eine konsensuale Lösung zwischen Bund und Ländern konnte jedoch nicht erreicht werden.“
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