Kritik an den Kohlegegnern von Lützerath: Propaganda gegen Klimaschützer
Das besoffene Land böllert sich zu Silvester halb tot. Währenddessen werden die BewohnerInnen von Lützerath als Kriminelle diffamiert.
A m Samstag schrieb der Vizechef der anerkannt konservativen Rheinischen Post (RP) seinen Lützerath-Kommentar. Da wird abgerechnet mit, igitt, „professionellen Kohlegegnern“ an der Tagebaukante, vor „Öko-Ideologen“ gewarnt, die eine „neue Apo“ seien mit „teils militanter Ausprägung“. Tenor: Packt ein, verpisst euch. Die Horrorvision: Ohne Kohlestrom bleiben womöglich die Büros der RP dunkel, als sei man in Kyjiw.
Dazu faktisch falsche Populistensätze wie: „Von Lützerath ist nichts mehr übrig, das rettenswert wäre.“ Ist ein denkmalgeschützter, wunderschöner Hof von 1763 nichts oder eine Friedenslinde von 1650, wohl gleich nach dem Dreißigjährigen Krieg gepflanzt? Das Wort Klima kam übrigens kein einziges Mal vor. Von den ekelhaften Bestätigungskommentaren sei hier nur der absurde Begriff „Klimaterroristen“ erwähnt.
Gewalt und Terror in Deutschland. Will niemand. Außer an Silvester, da ist das okay. Da heißt das feiern. In Berlin schossen zugedröhnte Horden ihre Feuerwerkskörper völlig von Sinnen waagerecht statt senkrecht ab, eine Rakete nach der anderen. Ziel: vorbeifahrende Autos, FußgängerInnen. Heißa, wie das knallt. In Aachen war, wie in vielen anderen Städten, ein Böllerverbot in der Innenstadt verfügt. So what: Vor dem dicht umdrängten Rathaus stiegen in der Winterhitze die lustigen bunten Knalldinger im Sekundentakt umjubelt in den Himmel. Woanders das Gleiche. Ordnungskräfte: nirgends zu sehen. Die Attacken Besoffener auch auf Rettungswagen, gezielter Raketenbeschuss von Feuerwehren wie in Essen, all das habe im Vergleich zur Vorpandemiezeit deutlich zugenommen, meldet die Polizei. Heißa 2023.
Die Bilanz im Lande: Schwerverletzte sonder Zahl mit abgesprengten Gliedmaßen, zerfetzten Händen, Armamputierte und Erblindete, brennende Autos und Wohnungen (inklusive Toten), die Notaufnahmen voll. Der Feierfuror traf auch Unbeteiligte, aber das zählt als Kollateralschäden. Das ist Alltagsgewalt. Sie wird hingenommen. Die einen kleben sich fest, die anderen, in vielem über Jahrzehnte die Täter, kleben fest an ihrer gestrigen Weltsicht und an Ritualen, die sie farbenprächtiges Himmelsspektakel nennen.
Allein in Düsseldorf, dem RP-Sitz, gab es zwei Großbrände. In Lützerath nebenan werden sich viele Hundert „Öko-Terroristen“ aus gutem Grund mit Verantwortungsbewusstsein auf die Wege setzen und an Bagger ketten, ohne Raketen, ohne Gewalt. Wenn aber eine oder einer auch nur „Scheißbullen“ ruft oder zappelt beim Weggeschleiftwerden, darf man auf Strafverfahren zählen und auf neue, schnell losgeböllerte Kommentare aus kohlestromwarmen Redaktionsstuben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr