Kritik an Ex-Chef des Burgtheaters Wien: Sexistisch, rassistisch, homophob
Mitarbeiter kritisieren den selbstherrlichen Führungsstil Matthias Hartmanns. Er spricht von einem „gezielten Angriff“. Eine längst fällige Debatte.
Im Wiener Burgtheater rumort es. Am Freitag publizierten zunächst 60 aktuell und ehemals Beschäftigte des Hauses einen offenen Brief zur Aufarbeitung ihrer Zeit mit dem früheren Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann (2009–2014). Die Rede ist von der Machtkonzentration des häufig auch Regie führenden Intendanten, von hoher persönlicher Abhängigkeit und einer „Atmosphäre der Angst“.
Männer und Frauen aus nahezu allen Gewerken des Betriebs von der Garderobiere über Techniker, Souffleusen, kaufmännisches Personal bis hin zu altgedienten Ensemblemitgliedern und gefeierten Stars beschreiben einen selbstherrlichen Führungsstil Hartmanns und eine von Sexismus, Rassismus und Homophobie durchsetzte Alltagskommunikation.
Altherrenwitze über Oralsex in der Probe eines weiblichen Ensembles, ein Choreograf wird zum „Tanzneger“, Techniker werden zu „Schwachmaten“. Hartmann sieht das anders. Er sprach am Samstag von einem „gezielten Angriff“ auf seine aktuelle Premiere des David-Bowie-Musicals „Lazarus“ in Düsseldorf. Den „Tanzneger“ erklärt er mit der ironischen Selbstbeschreibung des Betroffenen in der ersten Begegnung, bei der dieser ihn als „großen weißen Mann mit Glatze“ bezeichnet habe. Die haben freilich weit seltener unter Rassismus zu leiden. „Viele homosexuelle Freunde“ mögen das heterosexuelle Leben bereichern, sind aber kein Garant zum Ausschluss von Homophobie.
Die UnterzeichnerInnen betonen ausdrücklich, dass sie keine justiziablen Vorwürfe erheben. Die Grenzen des kollegial Vertretbaren zieht allerdings nicht das Strafrecht. Unter Gleichen wären solche Injurien mit einer verbalen Zurückweisung ausreichend pariert. In der absurden Hierarchie des Stadt- und Staatstheaters, der Abhängigkeit von Stück- und Jahresverträgen werden sie zum existenziellen Problem.
Im Brief aus dem Burgtheater geht es weniger um #MeToo als um die Beschreibung der Wirkungen struktureller Gewalt. Er bietet Anlass, eine längst fällige Debatte zu führen. Wie war das mit dem Ensemblegedanken? Wie geht kollektives Arbeiten in einer demokratischen Gesellschaft? Auf welchen Müllhaufen gehört der Geniekult des 19. Jahrhunderts?
Das Theater hat sich immer als fortschrittliches Korrektiv der Gesellschaft verstanden. Aber oft waren es gerade die selbstherrlichsten unter den Intendantenfürsten, die sich als Gegenspieler der „Mächtigen“ in Szene setzten. Jetzt geht’s ans Eingemachte. Das Theater selbst ist politisch geworden. Das ist eine Chance.
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