Kritik an EU-Lebensmittelbehörde: Gentechnik? Kein Problem!
Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit hat Probleme mit Interessenkonflikten ihrer Mitarbeiter, meint der Europäische Rechnungshof. Beispiel: Gentechnik.
BERLIN taz | Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) gerät auch von offizieller Seite immer stärker unter Druck. Nun hat sogar der EU-Rechungshof kritisiert, dass die Efsa Interessenkonflikte ihrer Mitarbeiter nicht „angemessen“ handhabe.
Dabei trifft das Amt im italienischen Parma Entscheidungen, die die Gesundheit der Bevölkerung erheblich beeinflussen können – sie prüft zum Beispiel gentechnisch veränderte Pflanzen oder Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln auf Risiken. Meistens richten sich die Zulassungsbehörden dann nach dem Urteil der Efsa.
Diese Gutachten lässt die Efsa von Kommissionen aus Wissenschaftlern schreiben, die nur nebenbei für die Behörde arbeiten. Besonders Gentech-Gegner kritisieren zum Beispiel, dass manche dieser Experten gleichzeitig für eine von der Agrar- sowie Lebensmittelindustrie finanzierte Organisation gearbeitet hätten – ein klassischer Interessenskonflikt. Sie halten das für einen der Gründe, weshalb die Efsa regelmäßig erklärt, von gentechnisch verändertem Saatgut gehe kaum oder gar keine Gefahr aus.
Zwar lobte der Rechnunghof, dass die Efsa von Bewerbern verlangt, beispielsweise alle Mitgliedschaften, Arbeitsverhältnisse und Eigentumsanteile offenzulegen, die möglicherweise ihre Tätigkeit für die Behörde beeinflussen könnten. Allerdings habe sie keine klaren Kriterien für die Auswertung dieser Daten. „Deswegen passiert es in den meisten Fällen erst nach der Ernennung eines Kandidaten, dass ein Interessenkonflikt festgestellt wird.“ Und selbst dann könne die Efsa den Betroffenen nicht einfach ersetzen.
Auch, was ihre ehemaligen Mitarbeiter tun, habe die Behörde nicht genügend unter Kontrolle, ergänzen die Prüfer. So schaffe es die Efsa nicht, Interessenkonflikte zu verhindern, wenn ein Mitarbeiter von der Behörde in die Industrie und umgekehrt wechselt.
Der Drehtüreffekt
Immerhin müssten die ehemaligen Beschäftigten sich neue Arbeitsverhältnisse genehmigen lassen. Das Amt verfüge aber nicht über „Kriterien darüber, wie diese Anträge bewertet werden sollen“ und welche Tätigkeiten verboten sind. Tatsächlich hatte schon der Europäische Obdudsmann 2008 so einen Fall von „Drehtüreffekt“ kritisiert. Eine ehemalige Leiterin der Abteilung Gentechnik war direkt nach ihrem Ausscheiden zum Gentechnikkonzern Syngenta gewechselt.
Für alle diese Punkte solle die Behörde klare Regeln aufstellen, empfahl der Rechnungshof. Die Efsa antwortete darauf, sie werde „sich sorgfältig mit allen Empfehlungen befassen“. Ansonsten wertete sie den Rechnungshofbericht aber als überwiegend positiv für sich.
Die Prüfer hätten anerkannt, dass die Behörde „ausgereifte Richtlinien“ zu ihrer Unabhängigkeit habe. Viele der Empfehlungen habe die Efsa bereits umgesetzt, schließlich beziehe sich der Bericht nur auf die Zeit bis Oktober 2011 und seitdem habe die Efsa ihre Richtlinien für die Unabhängigkeit ihrer Mitarbeiter verbessert.
117 Wissenschaftler augeschlossen
Behördensprecher Steva Pagani verwies auch darauf, dass die Efsa vor jeder Expertensitzung prüfe, ob Teilnehmer einen Interessenkonflikt haben könnten. Im vergangenen Jahr habe die Behörde 117 Wissenschaftler bei bestimmten Tagesordnungspunkten von der Sitzung ausgeschlossen.
Der Gentechnik-kritischen Organisation Testbiotech reicht das aber noch nicht. „Auch nach den neuen Regeln der Efsa sind den Experten der Behörde Tätigkeiten für die Biotech-Industrie erlaubt, wenn sie sie vorher offiziell beendet haben“, kritisierte Geschäftsführer Christoph Then.
Als Beispiel nennt Then den Fall von Gijes Kleter: Er hatte jahrelang für eine von der Industrie finanzierte Organisation gearbeitet, seit einigen Jahren aber keine offizielle Tätigkeiten mehr verfolgt. Im Juni bestätigte die Efsa den umstrittenen Niederländer als Mitglied ihrer Gentechnik-Expertengruppe.
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