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Kritik am Ende der ZeitumstellungDie EU als Sündenbock

Der Deutsche Lehrerverband warnt bei einer dauerhaften Sommerzeit vor depressiven SchülerInnen. Dabei sind die Probleme hausgemacht.

Morgens dunkel auf dem Schulweg? Wie wär's, den Unterricht später starten zu lassen? Foto: Antje Solveig/plainpicture

Immer wenn sich in Deutschland Gymnasial-, Real- und BerufsschullehrerInnen zu einer gemeinsamen Stellungnahme zusammentun, weiß man: Den Schulen im Land steht etwas Unzumutbares bevor.

So wie die Bedrohung der Unterrichtsqualität durch unqualifizierte Quereinsteiger (im Sommer 2018). So wie die lästigen Erwägungen, künftig standardmäßig dritte Schultoiletten zu verbauen (im Februar). Oder aktuell: die unbedachten Gefahren, die mit dem Ende der Zeitumstellung über deutsche Schulkinder hereinbrächen.

Kaum hatte sich der Verkehrsausschusses im EU-Parlament Anfang der Woche für eine ganzjährige Sommer- oder Winterzeit ausgesprochen, stellte sich der Deutsche Lehrverband erneut vor seine armen Schülerinnen und Schüler. Schützend, wie er wohl meint.

Schlaf- und Lernprobleme, Depressionen und Diabetes. All dies drohten den Jugendlichen, wenn sich Deutschland dem EU-Wunsch beugen und in drei Jahren die Uhrumstellung zugunsten einer dauerhaften Sommerzeit sein ließe. Von der erhöhten Unfallgefahr beim finsteren Schulweg ganz zu schweigen. Aha.

Patriarchales Gehabe

Es ist schon erstaunlich, wie sich der Lehrerverband als Vormund einer ganzen Generation aufspielt. Wohlgemerkt zu einer Zeit, in der Schülerinnen und Schüler Freitag für Freitag unter Beweis stellen, dass sie sehr wohl für sich selbst sprechen können. Scheint dem Lehrerverband aber schnuppe zu sein. Sie glauben wohl besser zu wissen, was gut für den Nachwuchs ist.

Noch erstaunlicher als das patriarchale Gehabe der PädagogInnen aber sind ihre Argumente: Zwar stimmt, dass eine dauerhafte Sommerzeit Nachteile hätte – Stichwort: längere Dunkelheit am Morgen. Auch die drohende Zersplitterung der EU in einen Zeitzonen-Flickenteppich kann man zurecht gegen die EU-Pläne anführen.

Nur: Die hausgemachten Missstände an deutschen Schulen einer ach so unverantwortlichen EU unterzujubeln, ist ein – Pardon – populistisches Armutszeugnis. Wollte der Lehrerverband wirklich Schlaf- und Lernprobleme, Depressionen und Diabetes bekämpfen, müsste er – neben der Verbannung von Colaautomaten aus den Schulen – von ein paar geliebten Positionen verabschieden.

Allen voran das starre Festhalten am Leistungsprinzip und an überfrachteten Lehrplänen. Dass der Lern- und Notendruck Schülerinnen und Schüler unter enorme psychische Belastung stellt, ist nicht nur unter BildungsforscherInnen unumstritten. Das ist die Alltagserfahrung vieler Familien.

Heilige Schulnoten

Dennoch wollen die meisten Schulen bislang nichts von den vernünftigen Alternativen zu den klassischen Schulnoten wissen. Obwohl viele Bundesländer ihnen die Chance böten, über Lernstandberichte, Kompetenzprotokolle oder Entwicklungsgespräche ein differenzierteres Bewertungssystem zu testen.

Wie wenig die Schulen experimentieren wollen, sieht man auch bei den Lehrplänen. Seit Jahren bemängeln Lehrkräfte einerseits, dass sie für wichtige Themen wie Demokratieerziehung oder Mobbingvorfälle im Unterricht keine Zeit hätten. Auf irgendwelche Inhalte verzichten, will aber niemand.

Die Lehrpläne sind – wie die Schulnoten – Ausweis unserer leistungsorientierten Schulbildung, die die chronische Vergleichsneurose unser Gesellschaft noch verstärkt. Ständig müssen sich junge Menschen messen lassen. Ständig werden sie bewertet und benotet. Und oft genug deshalb gehänselt und gemobbt.

Das ist das Schulsystem, das SchülerInnen unter permanente Spannung stellt. Und das der Lehrerverband vehement verteidigt. Die Ursachen für Depression & Co vermutet er aber lieber in der dunklen Jahreszeit und dafür verantwortlichen – unverantwortlichen – Entscheidungsträgern.

Dabei liegt selbst für dieses Scheinproblem eine konstruktive Lösung nah: Wenn SchülerInnen nicht im Dunkeln in die Schule gehen sollen, dann könnte der Unterricht einfach später starten. Und zwar ganz ohne die geliebte Leistungsorientierung einzubüßen.

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18 Kommentare

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  • Ich bin vor der Zeitumstellung zur Schule gegangen, da gab es nicht soviel Depressionen wie heute, wo wir an den Ihren rumstehen, also zurück zur MEZ wie vor der Umstellung.

  • „Ich bin zur Schule gegangen da gab's noch keine Sommer-Winterzeit. Hatte ich Depressionen, Diabetes?“

    Damals war immer Normalzeit (die heute falsch als Winterzeit bezeichnet wird). Insofern sind Sie ein lebender Beweis dafür, dass die Forderung der Lehrerverbände richtig ist.

    • @Zwieblinger:

      Antwort auf Jacob Cohen, 06.03.2019 um 18.35 Uhr.

  • die dressur von jungen menschen für den weltmarkt sollte beendet werden.es handelt sich um eine durch nichts zu rechtfertigende freiheitsberaubung.



    lernzwang ist genauso sch... wie arbeitszwang und beides sollte es wie den globalen kapitalismus nicht mehr geben

  • Die Ursache zunehmender psychischer und psychosomatischer Krankheiten auf die schulische Leistungsbewertung und gar die Sommerzeit zurück zu führen, scheint mir sehr gewagt! Hat die Redaktion dazu belegbare Studien?

  • Nun gibt es durchaus Erfahrungen, dass sich ein späterer Schulbeginn, also genau das Gegenteil einer propagierten immerwähhrenden Sommerszeit, positiv auf die Schüler auswirkt:

    www.spiegel.de/leb...die-a-1243412.html

    www.sueddeutsche.d...schlaegt-1.3928028

    www.spektrum.de/ne...n-leichter/1558684

    So kann ich verstehen, wenn ein angeordneter nochmals um eine Stunde früherer Schulbeginn, denn das bedeutet chronobiologisch dauernde Sommerszeit, Pädagogen auf den Plan ruft. Man kann ja mal die Schüler (und gern die Eltern) fragen, ob sie zukünftig statt um sechs um fünf Uhr aufstehen wollen.

  • Lehrer, eine Spezies für sich. Lehrer, Belehrer immer, überall, sie (Glauben) alles zu Wissen, vor allem besser.



    Ich bin zur Schule gegangen da gab's noch keine Sommer-Winterzeit. Hatte ich Depressionen, Diabetes?



    Schlechte Noten, ja ab und an. Aber ich hatte auch mal schlechte Lehrer.



    Wenn die bei der Beibehaltung der Sommer - Winterzeit weg wären...



    Ein Traum, nur noch Lehrer aus Überzeugung und nicht weil sie ihren eigentlichen Studienwunsch nicht geschafft haben!



    Aber: Es gibt auch Lehrer aus Überzeugung, nur zu wenige!

    • @Jakob Cohen:

      „Aber ich hatte auch mal schlechte Lehrer. Wenn die bei der Beibehaltung der Sommer - Winterzeit weg wären...“

      Genaues Lesen üben!

      Die Verbände fordern nicht, die jährliche Uhrenumstellerei beizubehalten. Sie wehren sich gegen den Plan, die dauerhafte Sommerzeit einzuführen und wollen stattdessen wieder zurück zur dauerhaften Normalzeit.

  • Gemäß:



    www.timeanddate.de...?month=1&year=2019



    Und dann das gleiche mit Bilbao, also wer will kann das selbst eintippen, ich nehme das gerne vorweg:



    Am 1.Januar des Jahres ziemlich genau 1 h Differenz!



    So ist beim Vergleich von Warschau und Bilbao die Dauersommerzeit sowieso stets vorhanden und quasi simuliert.



    Ist ggf. hier empirisch anhand der beiden Stadtvergleiche "schülergesundheitlich" was beweisbar?



    Schwer vorstellbar!



    Von denen die am Polarkreis usw. will ich gar nicht anfangen ...

  • Ich finde den Berricht eigendlich ! ganz gut aber das eine mit den Schulnoten und das andere mit der dunklen Sommerzeit im Winter gegeneinander auszuspielen find ich Traurig. Meiner Meinung nach hat beideseine wichtige berechtigung. Ich finde es gut das der Lehrerverband auf ein wichtiges Thema in der EU aufmerksam macht und hoffendlich auch gehör findet. Nicht nur Schüler, viele Arbtgeber und Arbeitnehmer sind davon genauso betroffen. Der Lehrerverband sollte sich trotzalledem tatsächlich auch mit der Änderung des jetzigen Bewertungssystems ernsthaft ausernandersetzten. Nicht die Ellenbogengesellschaft schsft gute ergebnisse in der Arbeit und im miteinander sondern gemeinsam ein Ziel verfolgen. Eben ein miteinander füreinander. Ansonsten noch einen schönen Frühling.

  • Ein wenig anschliessende Polemik.

    Man sollte viel mehr Unterricht über Demokratieerleben und Mobbingvorfälle machen. Die Grundrechenarten beherrscht jedes smartphone und weitere Mathematik wird hoffnungslos überbewertet. Wers braucht kann an der Uni eine Aufbaukurs machen.

    Und natürlich ohne Leistungsdruck. Zum Abschluss erhält jede/r eine Zeugnis in dem bescheinigt wird, dass derjenige sich nach seinen Kräften bemüht hat.

    Für den weiteren Lebensweg sollte das reichen. Wenn man ein BGE hat.

    Warum das alles? Nur um eventuelle Probleme mit frühem Aufstehen zu umgehen.

    Es wird die Elternschaft sicher freuen, wenn mal wieder alles komplett umgestellt würde, so wie es hier vorgeschlagen wird.

    Bleibt die Frage, wieso es patriachales Gehabe sei? In matriachalen Verhältnissen wissen die Lehrer nicht was gut für die Schüler ist?

  • Das eine tun und das andere nicht lassen: bei aller berechtigten Kritik an überfrachteten Lehrplänen und überkommenen Lehrmethoden wie hier im Artikel angesprochen, sollte ernst genommen werden, worauf der Lehrerverband hinweist: auf einen zu erwartenden anstieg chronischer Erkrankungen (psychisch wie physisch) in der Gesellschaft. Bevor man also polemisiert, sollte man sich erst einmal mir der Forschung beschäftigen. Chronobiologie heißt diese Richtung der Biologie und der Wissenschaftsjournalist Peter Spork hat dazu gutverständliche Texte und Bücher geschrieben.

    www.peter-spork.de...er-Sommerzeit.html

    Und wie Abraxas hier schon bemerkte: es gibt nicht "Winterzeit" - das ist die mitteleuropäische Normalzeit, die biologisch kohärent ist und sich am Sonnenstand orientiert. Diese ist die epigenisch verträglichste Zeit für den Großteil der Menschen, nicht nur für die SchülerInnen. Nur 15% der Bevölkerung sind sogenannte Lerchen und kommen mit der dauerhaften künstlichen Zeitverschiebung zurecht, die anderen haben damit auf Dauer Mühe und chronische Erkrankungen nehmen weiter zu.

  • gehupft wie gesprungen, weder mit Sommer- noch mit Winterzeit bekommt man eine Stunde geschenkt.



    Sommerzeit im Winter hätte den Vorteil nach der Schule noch etwas Licht zu bekommen.



    Aber das Für und Wider ist so verschieden wie es Menschen gibt. Auch nach Abschaffung der Zeitumstellung wird es Probleme geben.

  • "Wenn SchülerInnen nicht im Dunkeln in die Schule gehen sollen, dann könnte der Unterricht einfach später starten. "

    die meisten Eltern fangen aber genauso früh an zu arbeiten. Dann braucht es wieder mehr Hortplätze und die Kinder stehen genauso früh auf wie jetzt schon.

  • "Patriarchales Gehabe



    Es ist schon erstaunlich, wie sich der Lehrerverband als Vormund einer ganzen Generation aufspielt. Wohlgemerkt zu einer Zeit, in der Schülerinnen und Schüler Freitag für Freitag unter Beweis stellen, dass sie sehr wohl für sich selbst sprechen können. Scheint dem Lehrerverband aber schnuppe zu sein. Sie glauben wohl besser zu wissen, was gut für den Nachwuchs ist."

    Was hat das mit dem Thema zu tun?



    BTW, der Autor scheint auch dazu eine Meinung zu haben und ist wohl keine 18 mehr...

  • Es geht doch überhaupt nicht um Kritik am Ende der Zeitumstellung! Es geht um Kritik um den Vorschlag, das ganze Jahr Sommerzeit haben zu wollen. Und dabei einfach mal gepflegt zu ignorieren, was das im Winter bedeutet. Nämlich den Alltag zahlreicher Menschen, die an Schul-, Ausbildungs- oder Arbeitszeiten gebunden sind, bis weit in den Vormittag hinein im Dunkeln stattfinden zu lassen.



    Die Abschaffung der Zeitumstellung ist richtig. Und dann lassen wir doch ganz einfach die Normalzeit für Mitteleuropa gelten, die fälschlicherweise als "Winterzeit" bezeichnet wird. Den Ausdruck brauchen wir bei Entfall der Zeitumstellung nicht mehr.

    • @abraxas:

      Korrekt!

    • @abraxas:

      ich könnte es nicht besser formulieren ...

      bin mit ihnen d'accord.