Kriterium für Abschiebung fällt weg: Erleichterung für queere Geflüchtete
Die Regierung hat entschieden: Keine Abschiebungen mehr mit dem Hinweis, ein „diskretes Leben im Herkunftsland“ sei möglich.
Auch die sogenannte Verhaltensprognose fällt weg. Diese ist Teil eines zweistufigen Prozesses, in dem das Bamf bewertet, ob einer asylsuchenden Person im Heimatland Verfolgung droht. In der ersten Stufe überprüft das Bundesamt, wie sich Geflüchtete bei einer Rückkehr im Herkunftsland „verhalten“ würden.
Zweitens, wie staatliche oder nichtstaatliche Akteure auf dieses Verhalten reagieren. Und diese Überprüfung konnte bis dato zu einer Ablehnung des Asylantrags führen, mit dem Hinweis, sich „diskret“ zu verhalten. Ab 1. Oktober soll nun die Bundesregierung Betroffenen Schutz bieten – egal, ob sie ihre Sexualität offen oder heimlich ausleben. Damit will die Regierung klarstellen, dass auch bei diskretem Verhalten Gefahr im Heimatland drohen kann.
Überfällige Entscheidung
Politiker:innen der SPD und Grünen sowie Vertreter:innen von Interessenverbänden begrüßen die Entscheidung der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). „Dies ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt“, kritisieren SPD-Politiker Dirk Wiese und Falco Droßmann jedoch den Zeitpunkt der Bekanntgabe.
Patrick Dörr, Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD), ist glücklich und erleichtert, dass die Prognoseentscheidungen abgeschafft wurden. Er betont, dass die Aufforderung nach einer „diskreten“ Lebensweise im Heimatland schon 2013 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für rechtswidrig erklärt wurde: „Trotzdem fand das sogenannte ‚Diskretionsgebot‘ bis heute Anwendung in der Bescheidungspraxis des Bamf.“
Forderung nach Korrektur
Die jetzige Entscheidung der Bundesregierung, das sogenannte Diskretionsgebot abzuschaffen, erfolgt auf Grundlage des Koalitionsvertrags. Hier wurde festgeschrieben, dass die Ampelregierung Asylverfahren für queere Verfolgte überprüfen wolle. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums bestätigt dies gegenüber der taz.
Von den Grünen fordern die Bundestagsabgeordneten Filiz Polat und Ulle Schauws: „Wir erwarten, dass unmittelbar auf alle noch laufenden behördlichen Verfahren die Bescheide entsprechend korrigiert werden. Auch sollten in einschlägigen gerichtlichen Verfahren, in denen bereitsim Sinne der queeren Geflüchteten entschieden wurde, mit sofortiger Wirkung auf weitere Rechtsmittel verzichtet beziehungsweise diese zurückgezogen werden.“
Zuletzt gab es im August Kritik am Frankfurter Verwaltungsgericht, das einem offen homosexuell lebenden Algerier vermehrt kein Asyl gewährte, wie die taz berichtete. Der 34-jährige Abdelkarim Bendjeriou Sedjerani betonte vor Gericht, das Leben für einen Homosexuellen sei in Algerien lebensgefährlich. Sedjerani kritisierte öffentlich im deutschen Fernsehen und auf CSD-Veranstaltungen die Homofeindlichkeit in Algerien. Sein Richter empfahl ihm schon 2020, sein Leben „unauffällig“ zu gestalten. Dieses Jahr wurde dies wiederholt, mit der Begründung, dass öffentliche Zuneigungen auch bei heterosexuellen Paaren in Algerien „verpönt“ seien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr