Kristen Stewart als Lady Di in „Spencer“: Hier läuft etwas gewaltig schief
Das Gefühl, angestarrt und überwacht zu werden, trifft Stewart in „Spencer“ genau. Pablo Larraín erzählt in dem biografischem Drama von Lady Di.
Noch bis Anfang des Jahres konnte man im Londoner Kensington-Palast das Brautkleid von Lady Di begutachten. Die Söhne der Princess of Wales, die Prinzen William und Harry, hatten 40 Jahre nach der Hochzeit ihrer 1997 verstorbenen Mutter erstmals zugestimmt, den Traum in Elfenbein, der angeblich – samt sämtlicher Perlenschnüre und einer acht Meter langen Schleppe – um die zehn Kilo wiegt, in einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Wer sie 1981 darin gesehen hatte, oder Bilder davon kennt, wird sich erinnern: Diana verlor sich fast in der Robe. Nur in Höhe des Goldenen Schnitts dieses glänzenden, taftigen, von Schleiern eingerahmten Sahnebaisers, lächelte das junge Scheues-Reh-Gesicht tapfer, mit schief gelegtem Kopf über züchtig-makellosem Dekolleté. Der Rest war ganz Spitze, ganz Romantik.
Zehn Jahre später setzt Pablo Larraíns Film „Spencer“ an. Dass der chilenische Regisseur sich nicht mit den bis zum Abwinken bekannten ikonischen Bildern aufhält, dass er gar nicht erst versucht, Lady Di in öffentlicher Aktion zu zeigen, weder bei der Hochzeit, noch bei der Charity-Arbeit mit Kindern, dass er sich also nicht für eine (Neu-)Interpretation bekannter Fakten und eidetischer Tableaus entscheidet, ist ein großes Glück: „Spencer“ ist im weitesten Sinne zwar ein biografisches Drama. Aber gleichzeitig (und einer Prinzessin würdig) ein Märchen. „Eine Fabel aus einer wahren Tragödie“, liest man zu Beginn des Films.
„Spencer“. Regie: Pablo Larraín. Mit Kristen Stewart, Timothy Spall u. a. Großbritannien/USA/Deutschland/Chile 2021, 117 Min.
Das Setting mag man kennen – vor Kurzem gab es eine weitere Interpretin der „Prinzessin der Herzen“: In der vierten Staffel von „The Crown“ wird sie von der nichtbinären Schauspieler:in Emma Corrin als schräg lächelndes, etwas borniertes Elfenwesen gegeben, das sich mit ihrem treulosen, vor ohnmächtiger Wut fast platzenden Ehemann herumschlägt. All das in wahrhaftig wirkender Umgebung, mit einer zeitlich soliden, paritätischen Gewichtung: Das macht Charles, so reagiert Di, und dass die Queen not amused ist, versteht sich von selbst.
Larraín, der sich für das Drehbuch seines Films auf die britische Fachkenntnis und Sensibilität des „Peaky Blinders“-Showrunners und versierten Drama- und Action-Spezialisten Steven Knight verließ, geht es jedoch nicht um faktische Authentizität. Es geht ihm um Dianas subjektive Wahrnehmung, um ihre Psyche. Dazu nutzen Knight und Larraín einerseits mit Kristen Stewart eine Nicht-Empire-Schauspielerin, die als US-Amerikanerin vielleicht die einzige Wahl ist, um eine Entfremdung inmitten einer britisch-eingeschworenen Gruppe darzustellen.
Orientierung verloren
Und andererseits erzählen sie nur ein Wochenende: Es ist Weihnachten 1991, und Diana will zum Sandringham Estate, einem königlichen Landsitz von fast alberner Hochherrschaftlichkeit, inklusive trutzigen Mauern und abweisenden Spitzgiebeln.
Bereits der Weg dorthin, den Diana gegen die Anweisungen (die Frau des ewigen britischen Thronfolgers lebt nach strenger Agenda) ohne Chauffeur- und Security-Begleitung mit dem eigenen Porsche zurücklegt, wird zum Vorgeschmack: Schnell ist Diana, wie einst im Brautkleid, „lost“. Sie hat, an diesem Ort, in dessen Nähe sie aufwuchs, die Orientierung verloren. Sie muss schließlich in einem Ausflugscafé nach dem Weg fragen und sorgt dort ordentlich für Aufregung.
Was folgt, ist kein Kammer-, sondern ein Schlossspiel. Denn irgendwann schafft es Diana – mit Hilfe – doch hinter die royal-kalten Steinwände. In Sandringham warten die herzigen Söhne, die auf der Stange aufgereihten, von jemandem aus der Befehlshierarchie ausgewählten Abendkleider samt Perlenkette, die Waage, die – lustig traditionell – das Gewicht der Gäste vor und nach den Festessen dokumentieren soll, ein riesiges Küchenregiment, und das dazugehörige ebenso große Essproblem. (Irgendwo in den Tiefen des Anwesens sitzen noch die angeheirateten familiären Blaublüter:innen, und wetzen die Messer.)
Genese einer sich auflösenden Ehe
Damit beschränken sich Larraín und Knight bei ihrer Betrachtung eines katastrophalen, mehr oder weniger fiktiven Weihnachtsbesuchs auf ein paar psychologisch interessante Stichpunkte, die zwar auch bekannt sind. Die jedoch vermutlich tatsächlich zu Dianas Gefühl des Sichverlierens beitrugen: Den Körper durch Binge-Eating und bulimisches Erbrechen zu fühlen, ihn durch Ver-Kleidung immer wieder neu zu sehen und zu verhüllen, passt zu der Genese einer sich auflösenden, zumindest zum Teil aus Kalkül geschlossenen Ehe.
Denn sich herauszuputzen und die Staatsdiners bei öffentlichen Anlässen fehlerfrei über die Bühne zu kriegen, sind die einzigen Dinge, die von der Prinzessin erwartet wurden. Söhne hat sie dem Land schließlich bereits meisterhaft geschenkt.
Genau diese Ansprüche nicht zu erfüllen, stattdessen, wie Larraín erzählt, eine alte, kaputte Jacke des Vaters mitzubringen, die Diana bei ihrer Hinfahrt-Odyssee von einer Vogelscheuche rupfte, dazu das trüffelreiche Festessen ins Klo zu spucken, ist so revolutionär, wie eine Prinzessin nur sein kann.
Charles ist das Fremdbestimmungsgefühl nicht neu: „Für dein Land musst du deinen Körper dazu bringen, Dinge zu tun, die du hasst“, sagt er zu seiner Noch-Frau in einem der wenigen Dialoge, die Knight den beiden zugesteht. Dieser Satz, gefallen bei einer Aussprache im Billardzimmer, offenbart viel von Charles’ eigener, gequälter Seele.
Perlen herunterwürgen
Doch Diana ist nach Larraíns Auffassung bestimmt gequälter: Zu Fantasien von großen Perlen, die sie beim Essen hinunterwürgt, gesellen sich Wahnvorstellungen von einer verzweifelten Schwester im Geiste, der unselig geköpften Ex-Königin Anne Boleyn.
Etwas später treibt Diana allerdings eine Kammerdame mit den Worten „Now leave me – I wish to masturbate“ zum eiligen Rückzug. Nach Ansicht der Filmemacher sitzt tief drinnen im klapprigen, geschundenen Prinzessinnenkörper also auch noch ein bisschen trockener, britischer Humor.
Sehr detailliert trifft Stewart, die dafür mannigfach für Filmpreise nominiert wurde, als Lady Di dabei Stimme, Sprechweise, Akzent und Körpersprache der Prinzessin. Ihre US-amerikanische „Everybody’s Twilight-Darling“-Vergangenheit kann sie nonchalant einsetzen: Stewart muss das Gefühl kennen, angestarrt, überwacht zu werden, wenn sie einfach nur ihr Verknalltsein ausleben will.
Gleichzeitig gibt sie der Prinzessin einen verwöhnten Trotz, den auch schon andere Diana-Biografien erahnten: Inwiefern Dianas Überempfindlichkeiten aus einer Egomanie, aus ihrer Vergangenheit als ein zu etwas Höherem berufenes Mädchen stammen (als Kind wurde sie von ihrer Familie wegen ihres „Herzoginnen“-Getues veräppelt), lässt der Film in der Ambivalenz. Doch seine Konzentration auf die Essstörung und die Manie sind deutlich. Und Essstörungen sind – neben den vielen Gefahren und dem Unglück, die sie bergen – egomanische Krankheiten: Es geht den Kranken, wie allen Süchtigen, immer um sich selbst.
Auf der Score-Ebene wirkt das Drama manchmal überdeutlich: Der Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, dessen Film-Kompositionen fraglos zu den interessantesten der letzten beiden Jahrzehnte gehören, hat sich für ein aufdringliches Streichquartett entschieden, das mit schrägen Tönen durchsetzt ist und zunehmend schrill etwas zu offensichtlich Dianas psychische Verfassung akzentuiert. Er untermalt, was durch Bilder und Story längst klar ist. Hier läuft etwas gewaltig schief. Sozusagen in einem königlichen Kaliber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“