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Krise in der UkraineZeit der Angst

Russische Truppen stehen an der ukrainischen Grenze. Zeitgleich gibt es gewalttätige Demonstrationen im Osten des Landes.

Russischer Soldat auf der Krim. Bild: reuters

SIMFEROPOL/KIEW/CHARKIW taz | Montagmorgen nahe der Stadt Kertsch ganz im Osten der Krim: Ukrainische Grenztruppen melden, dass gepanzerte Fahrzeuge an der russischen Küste Aufstellung nehmen – nur fünf Kilometern weiter, jenseits der Meerenge zwischen Schwarzem und Asowschem Meer. Viele auf der Krim machen sich jetzt Gedanken, wie sie den Krieg überleben können, den sie herankommen sehen, hamstern Lebensmittel. Stündlich steigen die Preise. Busfahrten sind doppelt so teuer wie letzte Woche. Viele Familien verlassen jetzt die Krim mit der Eisenbahn.

Und die Spannungen steigen weiter. Ukrainische Stellen melden, die russische Schwarzmeerflotte habe den ukrainischen Soldaten auf der Krim ein Ultimatum gestellt: Sie sollen bis vier Uhr morgens MEZ ihre Waffen niederlegen, die Krim-Regierung anerkennen und abziehen. Ansonsten drohe ein Angriff. Russland dementierte umgehend.

„Niemand wird die Krim an irgendjemanden abgeben“, beteuert derweil Arseni Jazenjuk, der neue Regierungschef, am Montag in Kiew. Doch von der Regierung versucht es keiner, auf die Krim zu reisen, wo ukrainische Kasernen von russischen Soldaten eingekreist sind.

In Perewalnoje nahe Simferopol, wo die 36. ukrainische Brigade stationiert ist, haben sich 800 russische Kämpfer postiert. Die Ukrainer sollen die Waffen strecken, fordern sie. Doch die erwidern: Wir werden kämpfen bis zum Tod.

Die Krim als Testlauf

Nicht wenige Bewohner glauben, die Besetzung der Krim sei nur ein Testlauf, und die Russen werden sich jetzt nehmen, was sie wollen. Auf der einen Seite kündigt Sergei Axjonow, der neue prorussische Statthalter auf der Krim, an, in Simferopol ein Verteidigungsministerium zu schaffen. Auf der anderen Seite treibt die Angst vor einem russischen Einmarsch junge Männer in die Rekrutierungsbüros der ukrainischen Armee. Das erste Mal seit Jahrzehnten melden sich Männer freiwillig.

In Kiew bilden sich lange Schlangen. Wer früher hier anstand, wollte meist nur Schmiergeld zahlen, um ausgemustert zu werden. Jurij, ein Student, scherzt: „Putin hat etwas Unglaubliches geschafft – die Menschen zu einen und ihren Respekt für die Armee wiederaufleben zu lassen. Noch vor einem Jahr wäre ich niemals freiwillig zur Armee gegangen.“ Dann läster er über die Armee, über Drill, Brei zum Mittag und speckige Uniformen. Aber Jurij möchte in einem normalen Land leben und seiner Mutter und Oma ein gutes Leben ermöglichen. Deshalb, sagt er, sei er bereit, „ein Gewehr in die Hand zu nehmen, auch wenn ich noch nicht weiß, wie man es bedient“. Das alles ist aber noch keine Mobilmachung. Die Männer werden derzeit nur registriert.

Ein Alter, der raucht, stellt sich als „Opa Stepan“ vor. Für seine 70 ist er rüstig. Er sagt: „Ich lieg noch nicht im Sarg. Ich hab im Leben viel gesehen und ich möchte nicht, dass meine Enkel und Urenkel so etwas erleben müssen. Meinen Sohn lass ich nicht an die Front, der soll seine Familie ernähren. Ich aber hab nichts mehr zu verlieren. Ich sterbe lieber im Kampf! Der Tod wartet auch so auf mich.“

„Opa Stepan“ wird nach Hause geschickt, er tauge einfach nicht mehr zum Soldaten. Doch er ringt der Kommission das Versprechen ab, dass man im Notfall auf ihn zurückkommen wird. Keiner der Jungen lacht – im Gegenteil. Sie haben großen Respekt vor Stepan.

Die russische Fahne auf dem Dach

In Charkiw wollten am vergangenen Samstag Proeuropäer den hundertsten Tag des Euromaidan feiern. Doch anstelle eines Festes gibt es eine blutige Schlägerei mit prorussischen Demonstranten, deren Motto „Für ein friedliches Charkiw“ lautet. Ungefähr 5.000 sind zu jener prorussischen Kundgebung gekommen – aus dem ukrainischen Charkiw ebenso wie aus der russischen Stadt Belgorod, die rund 40 Kilometer jenseits der Grenze liegt. Mehrere Quellen bezeugen, dass sie mit Bussen gekommen sind.

Die prorussischen Kräfte stürmen an diesem Tag das Gebäude der Gebietsverwaltung, das von Maidan-Leuten besetzt gehalten wurde. Über hundert Menschen werden verletzt. Manche reden sogar von Toten. Vor dem Sturm auf das Gebietsgebäude sollen Wodka und Selbstgebrannter ausgeschenkt worden sein. Der Bürgermeister will mit den Besetzern reden, er fordert zur Gewaltlosigkeit auf. „Charkiw gehört zur Ukraine“, ruft er. Doch auf dem Dach flattert schon die russische Fahne. Aus Angst, dass Verletzte auch noch entführt werden, so wie noch vor zwei Wochen in Kiew, bewachen Leute des Euromaidan jetzt die Krankenhäuser.

Seit dem blutigen Donnerstag von Kiew vor zwei Wochen, bei dem 82 Menschen starben, habe jeder hier mindestens drei Leben gelebt, sagt eine Frau aus Charkiw. Von der Euphorie über die errungenen Freiheiten bis hin zum hilflosen Betteln um Unterstützung. Eine andere sagt: „Jetzt kann ich nicht mal mehr Ukrainisch sprechen.“ Die prorussischen Leute werden aggressiv, wenn sie das hören.

Prorussische Aktivisten haben Kontrollposten an den Ausfallstraßen errichtet und durchsuchen Autos. Am Montag haben auch in der Millionenstadt Donezk 300 prorussische Demonstranten die Regionalverwaltung erstürmt. Danach schwenkten sie russische Flaggen.

Mitarbeit: Thomas Gerlach

Übersetzung: Ljuba Naminova

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • G
    golm

    @Selbsbestimmung

    Aber eine von Moskau gesteuerte russophile Regierung ist ok?

  • Für Kiew gibt es nur noch wenig Handlungsspielraum. Wenn es nicht bald gelingt, eine mehrheitlich gebilligte Übergangsregierung zu bilden, setzen sich, wie von Russland gewollt, autoritäre Kräfte durch.

    Schwierig dürfte es sein, sowohl Ultranationalisten als auch pur Putin-Gläubige außen vor zu halten.

    Personen, die nach eigener politischer oder wirtschaftlicher Macht streben, werden sich auch nicht einbinden lassen. Die erforderlichen Subventionskürzungen, die für eine zukünftig handlungsfähige Ukraine-Regierung erforderlich sind, werden die beteiligten Politiker in einer demokratischen Wahl schlichtweg unwählbar machen.

    Ein gesondertes Problem ist die Krim. Wie könnte ein Rückzug Russlands auf Sewastopol gelingen, ohne einen Gesichtsverlust der russischen Föderation?

    • P
      Peter
      @Klaus Vollmer:

      Egon Bahr hat gestern abend im ZDF gesagt, daß die Krim für die Ukraine verloren sei, und man müsse sich darauf konzentrieren, daß Rußland nicht auch noch auf dem Festland ukrainische Gebiete besetzen würde.

      Und was die Reformen betrifft, die der IWF vor der Erteilung von Krediten sehen will, so hat Frau Weisband am Sonntag abend in der ARD gesagt, diese sollten möglichst schnell von der jetzigen Führung durchgezogen werden, damit die zu wählende zukünftige Regierung sich nicht damit belasten müsse. Etwas drastisch formuliert könnte man auch sagen, die jetzige an die Macht geputschte Führung soll die "Drecksarbeit" erledigen - ausgerechnet diejenige Führung, die NICHT durch demokratische Wahlen legitimiert ist.

  • S
    Selbstbestimmung

    Die Mehrheit der Krim-Bewohner will zu Russland gehören (die Mehrheit der Krim-Tataren dagegen nicht) und nicht zur Ukraine, die Mehrheit der russischsprachigen Ostukraine ebenso.

    Es gibt nur zwei Möglichkeiten: der Osten spalten sich ab und geht in eine Föderation mit Russland oder Ost- und Westukraine bilden eine Föderation, wobei beide Teile relativ autonom sind.

    Eine von Neofaschisten und von EU oder USA gesteuerten Konservativen gebildete russophobe Regierung für die Ukraine ist für die Menschen auf der Krim und in der Ostukraine keine Option.

     

    „(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“

  • Zitat: "Ukrainische Stellen melden, die russische Schwarzmeerflotte habe den ukrainischen Soldaten auf der Krim ein Ultimatum gestellt"

     

    Ich finde es sehr schade, dass die TAZ diese unbestätigten Gerüchte weiterverbreitet und dadurch zur weiteren Eskalation beiträgt.

     

    Außerdem muss gesagt werden, dass sich die Krim-Bevölkerung ganz klar zu Russland bekennt. Die einfachen Menschen unterstützen die Putschregierung in Kiew NICHT.

  • G
    Gast

    Seit dem Anfang der Krimkrise fallen mir sehr viele Poster in den Foren (nicht nur hier) auf, deren Postings 1:1 aus dem russischen Propagandaministerium sein könnten und die aggressiv die bizarrsten Positionen vertreten. Z.b. dass es sich bei diesen Leuten hier https://commons.wikimedia.org/wiki/File:VOA-Crimea-Simferopol-airport.jpg um eine Volksmiliz aus besorgten Bürgern der Krim handelt und nicht um Soldaten. Würde gerne mal wissen was das russische Außenministerion so pro Posting zahlt.

    • P
      Peter
      @Gast:

      Etwas albern, diese Unterstellung mit den bezahlten Postern, oder? Dafür ist nun sicher bekannt, daß der Westen seit 1991 ca. 5 Milliarden Dollar in die Ukraine fließen ließ, um prowestliche Bewegungen und NGOs zu finanzieren.