Krise in der Ukraine: „Sturm“ auf die Milizen
Das Ukrainische Militär rückt in der Ostukraine vor. Russland sieht diese „Strafaktion“ als Verstoß gegen das Genfer Abkommen und schickt einen Gesandten.
SLAWJANSK dpa | Die ukrainischen Regierungstruppen sind am Freitag mit Hubschraubern und Militärfahrzeugen gegen prorussische Aktivisten im Osten des Landes in die Offensive gegangen. Von einem „Sturm“ des ukrainischen Militärs auf die von prorussischen Milizen kontrollierte Stadt Slawjansk sprechen die Separatisten.
Die russische Regierung hat den Angriff der ukrainischen Armee auf prorussische Milizen im Osten des Landes scharf kritisiert. Der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, wertete den Angriff am Freitag als einen Verstoß gegen das Genfer Abkommen, das Mitte April zwischen Russland, der Ukraine, der EU und den USA geschlossen worden war, um den Konflikt zu entschärfen.
Innenminister Arsen Awakow bestätigte am Freitag bei Facebook, dass Truppen der Armee, der Nationalgarde und des Innenministeriums bei den Städten Slawjansk und Kramatorsk eine „aktive Phase der Anti-Terror-Operation“ begonnen hätten. Ein Hubschrauberpilot sei getötet worden, als Separatisten mit Panzerfäusten (RPG) das Feuer eröffnet hätten. Das Verteidigungsministerium berichtete vom Verlust von zwei Helikoptern.
Mehrere Mitglieder der moskautreuen „Selbstverteidiger“ seien bei Schusswechseln am Stadtrand von Slawjansk verletzt, ein Aktivist sei getötet worden, sagte Milizenführer Wjatscheslaw Ponomarjow der russischen Staatsagentur Ria Nowosti. Slawjansk hat mehr als 100 000 Einwohner.
Zwei Hubschrauber wurden abgeschossen
Seine Kämpfer hätten zwei ukrainische Militärhubschrauber abgeschossen, sagte Ponomarjow. Ein Pilot sei dabei ums Leben gekommen, ein weiterer sei gefangen genommen worden. Zwei weitere Besatzungsmitglieder seien geflüchtet, sagte der selbst ernannte „Bürgermeister“ von Slawjansk. Das russische Staatsfernsehen berichtete sogar von drei abgeschossenen Hubschraubern.
Auf Fotos in russischen Medien waren brennende Barrikaden aus Autoreifen zu sehen. Gegen 8.00 Uhr Ortszeit (7.00 Uhr MESZ) sei der Angriff unterbrochen worden, hieß es.
Ponomarjow räumte nach Angaben von Ria Nowosti ein, dass ukrainische Regierungstruppen den örtlichen Fernsehsender erobert hätten. Innenminister Awakow berichtete von neun übernommenen Kontrollposten. Die Operation laufe wie geplant, behauptete er. Awakow rief die Anwohner auf, ihre Häuser nicht zu verlassen und von den Fenstern fernzubleiben.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter haben die bedingungslose Freilassung des OSZE-Teams verlangt, das seit einer Woche im Osten der Ukraine festgehalten wird. Dies verlautete nach einem Treffen der beiden am Freitag in Bern.
Geiseln an „sicherem Ort“
Burkhalter führt in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) die Geschäfte. In dem Gespräch ging es nach Teilnehmerangaben auch um Möglichkeiten, die Arbeit der OSZE-Mission in der Ukraine zu stärken. Details wurden zunächst keine bekannt.
Auch die ukrainische Führung hat die prorussischen Aktivisten zur Freilassung ihrer Geiseln aufgefordert. Ponomarjows Kämpfer halten seit einer Woche mehrere Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Slawjansk fest, darunter drei Bundeswehr-Soldaten und einen deutschen Dolmetscher. Die Geiseln seien an einen „sicheren Ort außerhalb der Kampfzone gebracht“ worden, sagte Ponomarjow zu bild.de.
Wie Ria Nowosti meldete, kreisten am frühen Morgen mehrere Hubschrauber über der Stadt, die von gut ausgerüsteten Regierungstruppen umstellt sei. Die moskautreuen Separatisten hätten die mehr als 100 000 Einwohner mit Sirenen und Kirchenglocken vor dem Sturm gewarnt. Das Mobilfunknetz funktioniere, meldete die russische Staatsagentur Itar-Tass.
Slawjansk wird seit Wochen von der „Volksmiliz“ kontrolliert. Die Aktivisten wollen am 11. Mai mit einem Referendum über eine Abspaltung des ostukrainischen Gebiets Donezk von der Ex-Sowjetrepublik entscheiden lassen.
Die prowestliche Führung in Kiew hatte in der russisch geprägten Region einen „Anti-Terror-Einsatz“ gegen die Separatisten angeordnet, die in den Gebieten Donezk und Lugansk an der russischen Grenze in mehreren Städten staatliche Gebäude besetzt halten. Bislang hatte die Offensive aber keine Erfolge gebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles