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Krise in VenezuelaDurchmarsch zur Verfassung

Trotz internationaler Kritik, Protesten und Vorwürfen der Wahlfälschung: Die Verfassungsgebende Versammlung konstituiert sich.

Maduro bei der Wahl Foto: ap

Caracas taz | Trotz weltweit heftiger Kritik hat sich am Freitag in Venezuela die Verfassunggebende Versammlung (VV) konstituiert. Zur Präsidentin der VV wurde die ehemalige Außenministerin Delcy Rodríguez gewählt. Mit harten Worten griff sie die GegnerInnen der VV an. „Gewalttätige Faschisten, die einen Wirtschaftskrieg gegen das Volk führen“ würden vor Gericht gestellt, sagte die 48-Jährige. Erste Maßnahmen sollen auf der Sitzung am Samstag beschlossen werden.

Zu Fuß waren die 545 Delegierten zuvor zum Parlamentsgebäude gezogen. Schon seit Mittwoch hielten Einheiten der Nationalgarde und der Polizei den Gebäudekomplex besetzt, in dem die Nationalversammlung tagt. Am frühen Freitagmorgen waren die Zugänge und umliegenden Straßen abgeriegelt worden. Zweimal ließ Präsident Maduro den Auftakt um 24 Stunden verschieben.

Entsprechens verschob die Opposition ihren Protestmarsch zum Parlament. Bei dem Marsch war es am Freitag zu heftigen Zusammenstößen gekommen. Mit einem massiven Einsatz von Tränengas hatten Polizei und Nationalgarde die Demonstrierenden schon weit vor dem Parlamentsgebäude auseinandergetrieben. Mindestens sieben Personen wurden verletzt.

Die VV soll eine Verfassung erarbeiten, die ein neues Staatsmodell festlegt. Für die Oppositionsmehrheit im Parlament ist sie jedoch das Instrument, mit der Maduro seine Diktatur festigen will. Unstrittig ist, dass die alle staatlichen Institutionen gegenüber der VV an Macht verlieren: „Die bestehenden Gewalten können die Entscheidungen der Verfassunggebenden Versammlung in keiner Weise verbieten,“ heißt es in Artikel 349 der derzeit gültigen Verfassung.

Generalstaatsanwältin abberufen

Der venezolanische Bolivar befindet sich wegen der Krise gegenüber dem Dollar im freien Fall

Die Mitglieder der VV waren am vergangenen Sonntag gewählt worden. Da die Opposition die Wahl abgelehnt hatte, standen nur regierungsfreundliche KandidatInnen zur Wahl. Der Oberste Wahlrat gab die Beteiligung mit 8,1 Millionen Stimmberechtigten an. Dem widersprach die britische Firma Smartmatic. Mindestens eine Million Stimmen seien zu viel angegeben worden, erklärte die Firma, die seit 2004 mit dem elektronischen Wahlsystem in Venezuela beauftragt ist.

Generalstaatsanwältin Luisa Ortega beantragte am Donnerstag vor einem Gericht eine einstweilige Verfügung gegen die konstituierende Sitzung und leitete Ermittlungen gegen den Obersten Wahlrats wegen des Verdachts der Wahlfälschung ein. Noch im Laufe des Donnerstag beschloss der Oberste Gerichtshof Ortegas Suspendierung. Es wird befürchtet, dass die VV ebenfalls ihre Absetzung beschließen wird. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte hat Ortega am Freitag Schutzmaßnahmen gewährt. Die Regierung müsse alles tun, um Ortegas „Leben und ihre körperliche Unversehrtheit“ zu garantieren, forderte die Kommission mit Sitz in Washington. Ortega ist der Regierung von Präsident Maduro schon lange ein Dorn im Auge.

Noch Stunden vor der konstituierenden Sitzung hatte Papst Franziskus Präsident Nicolás Maduro zur vorrübergehenden Aussetzung der Verfassunggebenden Versammlung (VV) aufgefordert. Er beobachte die „Radikalisierung und Verschärfung der Krise“ mit „großer Sorge“, ließ der argentinische Papst verlauten. Die USA haben eine Anerkennung der VV ebenso abgelehnt, wie alle südamerikanischen Staaten, außer Ecuador und Bolivien. Die Mitgliedstaaten der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur, Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, haben zudem den endgültigen Ausschluss Venezuelas aus dem Mercosur angekündigt. Seit Dezember 2016 ist Venezuelas Mitgliedschaft suspendiert.

Für die EU hatte sich am Freitag Frankreich zu Wort gemeldet. In Abstimmung mit seinen europäischen Partnern werde man jede Vermittlung unterstützen, die einen „glaubwürdigen, aufrichtigen und ernsthaften Dialog zwischen Regierung und Opposition“ ermöglicht, hieß es aus dem Élyséepalast. Rückenwind erhält Maduro aus Russland. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kommt es gelegen, dass er sich angesichts der drohenden US-Sanktionen gegen sein Land auf die Seite seines venezolanischen Amtskollegen stellen kann. China beruft sich auf das Prinzip der Nichteinmischung und bewertete die Wahl der VV als „weitgehend reibungslos“.

Am frühen Freitagmorgen war der Oppositionspolitiker Antonio Ledezma wieder in den Hausarrest überführt worden. Der 62-jährige Bürgermeister des Hauptstadtbezirks Caracas war Anfang der Woche ebenso wie der Oppositionspolitiker Leo­poldo López aus dem Hausarrest ins Militärgefängnis Ramo Verde gebracht worden. López sitzt weiter im Gefängnis. Die politische Ungewissheit schlägt auch auf die Wirtschaft durch.

Der Bolívar befindet sich im freien Fall. Der offizielle fixe Wechselkurs liegt gegenwärtig bei 2.870 Bolívar für einen Dollar. Am Donnerstag mussten auf dem Schwarzmarkt für einen US-Dollar 17.000 Bolívar gezahlt werden.

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11 Kommentare

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  • Gut, dass die Constituyante nun die Arbeit aufnimmt.

    Die Koyoten des Kapitals mögen herumheulen. Ändern werden sie nichts mehr.

    • @Linksman:

      Welche Koyoten des Kapitals?

       

      In Venezuela gibt es doch keinen nenenswerten Kapitalismus mehr. Außer der von den Chavisten geleiteten Ölwirtschaft liegt die Wirtschaft doch darnieder.

       

      Und wollen Sie wirklich dass sich das nicht mehr ändert? Die Menschen in Venezuela hungern! Es fehlen Medikamente!

  • Info.-Empfehlung

    zur Gesellschaftskrise in Venezuela:

     

    “Was jeden sachlichen Beobachter nerven muß, ist die Chuzpe der USamerikanischen Doppelmoral, mit der sich die politische Klasse der USA über lächerliche Einflußnahme Russlands aufregt und unverfroren im eigenen Hinterhof die Eskalation eines Bürgerkriegs betreibt. Da wundert mich doch ein wenig die Naivität oder Blauäugigkeit einiger Communarden. Kann man nicht die Parallelen von Syrien, Libyen und Venezuela sehen? Die ursprünglichen Proteste waren in allen drei Ländern mehr oder weniger berechtigt, besonders in Syrien. Aber sie wurden sofort und nicht unwesentlich von ausländischen Interessen vereinnahmt, die Demokratieparole wurde schnell zur hohlen Phrase, hinter der sich der Wille neuer Herrschaftsansprüche oder meist alter, wie überdeutlich im Falle Venezuelas, versteckt. Es wird in Venezuela wie schon in Libyen und Syrien in einer katastrophalen Dissoziation der Gesellschaft enden. Aber ich werde erst bereit sein, Maduro und den Chavisten einen großen Teil der Verantwortung zuzusprechen, wenn die „Demokratie“-Bewegung sich ernsthaft vom ausländischen, USamerikanischen Einfluß und der ehemaligen venezuelanischen Oberschicht losgesagt hat. Dann sind Kompromisse, eine Unterscheidung von berechtigten und unberechtigten chavinistischen Ansprüchen möglich, dann müßte sich Maduro bewegen. Leider wird es dazu nicht kommen.“

     

    Vgl. mit vollständigen Kommentar, von @w.endemann / Community

    Zu: Jede Menge Gewissensfragen »Venezuela Rechtfertigt der Erhalt sozialer Standards, die es ohne die Bolivarische Revolution kaum gäbe, die jüngsten Maßnahmen von Präsident Nicolás Maduro?« Von Lutz Herden | Ausgabe 31/2017 http://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/jede-menge-gewissensfragen

    • @Reinhold Schramm:

      Zitat: "Aber ich werde erst bereit sein, Maduro und den Chavisten einen großen Teil der Verantwortung zuzusprechen, wenn die „Demokratie“-Bewegung sich ernsthaft vom ausländischen, USamerikanischen Einfluß und der ehemaligen venezuelanischen Oberschicht losgesagt hat!"

       

      Was ist den dass für eine merkwürdige Aussage? Verantwortung für Geschehenes wird doch nicht dadurch aufgehoben ob sich irgendjemand anderes für oder gegen etwas ausspricht.

    • @Reinhold Schramm:

      Ein Land, in dem durch Maduro inzwischen ca. jeder 20. Soldat ein General ist (in absoluten Zahlen der Generäle sechs mal mehr als die USA) und das trotz weltgrößter Erdölreserven den Großteil an Benzin importieren muss, benötigt keine Destabilisierung von außen, um zu implodieren.

  • Lupenreine Demokraten. Notfalls zählt man halt von Hand noch 1 Mio zusätzliche Stimmen dazu, damit das Ergebnis passt und man das rechtmässig gewählte, aber überwiegend mit dem politischen Gegner besetzte Parlament aushebeln kann.

    Und im linken Spektrum regt sich keiner darüber auf, obwohl das längst "Niveau Erdogan" ist.

    • @Eichet:

      Das ist noch unter dem "Niveau Erdogan". Bei dem Referendum in der Türkei waren immerhin internationale Wahlbeobachter zugelassen.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Hier dürfen wir den x-ten Versuch einer Zwangsbeglückung mit den Segnungen des Sozialismus erleben. Auch dieser wird scheitern.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @80576 (Profil gelöscht):

      ...ja, ich weiß, neoliberalen Kapitalimperialisten ist so etwas ein Dorn im Auge, Albträume inbegriffen.

      • 8G
        80576 (Profil gelöscht)
        @81331 (Profil gelöscht):

        Dann würden Sie lieber in Maduros Venezuela leben als in Deutschland?

        • @80576 (Profil gelöscht):

          ja, möchte ich. am dienstag geht auch mein flug. es sieht im land nämlich insgesamt ganz anders aus, als hier dargestellt. meine familie wartet. hier hält mich nichts. auch sie nicht.