Krise der BBC: Rot für Twittern
Ex-Fußballer Gary Lineker wird nach einer Regierungskritik als Moderator suspendiert. Ist die BBC neutral?
Der Grund: Lineker hatte am vergangenen Dienstag via Twitter die Maßnahmen der britischen Regierung kritisiert, die sich gegen Menschen richten, die den Ärmelkanal überqueren, um im Vereinigten Königreich Asyl zu beantragen. Alle so Eingereisten sollen nach den neuen Regeln binnen 28 Tagen abgeschoben werden. „Es gibt keinen großen Zustrom. Wir nehmen weniger Flüchtlinge als andere große europäische Länder auf. Dies ist einfach eine unfassbar grausame Maßnahme, die sich gegen die verletzlichsten Menschen richtet, in einer Sprache, die der Deutschlands der 30er Jahre nicht unähnlich ist“, twitterte Lineker.
Eine Garde konservativer Politiker:innen sah darin einen schweren Bruch der Neutralität der BBC und die rechte Boulevardpostille Daily Mail posaunte tagelang, dass Lineker deshalb gefeuert werden sollte. Innenministerin Braverman wollte in der Aussage eine Verharmlosung des Holocaust erkennen. BBC-Intendant Tim Davie, selbst Tory-Mitglied, hatte zu seinem Amtsantritt die „Neutralität“ zu seinem Hauptanliegen erklärt. Damit reagierte er auf Beschwerden von Brexit-Unterstützer:innen, die BBC sei vor und nach dem Referendum nicht neutral gewesen. Nun sagt er, Lineker habe die Neutralitätsregeln gebrochen, und suspendierte ihn bis auf Weiteres von seinem Job als Moderator.
Freie Regelinterpretation
Die Frage, ob Lineker tatsächlich die Regeln gebrochen, wird seitdem heiß diskutiert. BBC-Angestellten müssen die Balance halten – auch in sozialen Medien. Für den Ruf der Rundfunkanstalt gilt das als besonders wichtig. Aber Lineker ist kein Politikreporter, und in Sachen Fußball ist er mit seinem Tweet ja neutral geblieben. Zudem unterliegt er als freier Mitarbeiter anderen Regeln.
Bereits im Februar letzten Jahres stellte die Beschwerdestelle der BBC einen Regelbruch Linekers fest. Er hatte via Twitter gefragt, ob die Partei der damaligen Außenministerin Liz Truss Parteispenden russischer Geldgeber wohl zurückgeben würde. Lineker habe als einer der Stars des Senders eine „weiter greifende Verantwortung“, auch wenn er nicht den selben Neutralitätsregeln unterworfen sei wie festangestellte BBC-Journalist:innen.
Greg Dyke, BBC-Intendant von 2000 bis 2004, glaubt, dass der Sender selber nicht neutral ist und sich dem Druck der Regierung gebeugt hat. In der oppositionellen Labour-Partei sieht man das ähnlich. Dabei richtet sich der Blick auch auf den BBC-Vorsitzenden Richard Sharp. Dieser erhielt seine Stelle vom damaligen Premier Boris Johnson, kurz nachdem Sharp ihm geholfen hatte, ein Privatdarlehen in Höhe von umgerechnet 900.000 Euro zu sichern. Sharp hat den Torys zudem umgerechnet 450.000 Euro gespendet.
Bemerkenswert ist vor allem die Solidarität, die Lineker entgegengebracht wird. Seine Kolleg:innen kündigten unmittelbar nach dessen Suspendierung an, dass sie ohne Lineker nicht auf Sendung gehen würden. Schließlich meldete sich noch Premierminister Rishi Sunak zu Wort, nachdem eine Yougov-Umfrage ergeben hatte, dass die Mehrheit der Brit:innen die Suspendierung Gary Linekers für falsch hielten. Er hoffe, dass die BBC und Lineker die Sache bald ausbügeln könnten.
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