Krise bei Union Berlin: Biedermeier in Köpenick
Der Ostverein Union Berlin hatte lange Zeit ein linkes Image. Nun wird klar: Auch dort geht's nur um Erfolg. Schwierig wird es, wenn der ausbleibt.
U nion Berlin taumelt. Seit der Verein vor vier Jahren den Aufstieg in die Fußball-Bundesliga der Männer schaffte, war jeder weitere Schritt eine Erfolgsgeschichte. Der kleine Ostklub, der es allen zeigt, klug wirtschaftet und sportlich immer wieder die Großen ärgert. Die Champions-League-Teilnahme krönte diesen Lauf – doch auf dem Feld läuft es gar nicht mehr rund. Trainer Urs Fischer, der wie kein anderer für Unions Erfolg und das positive Image als bodenständiger Verein stand, ist Geschichte. Und auch gesellschaftlich stellt sich Union zunehmend ins Abseits.
Unions Aufstieg war mit einer Menge Emotionen verbunden. Denn im Fußball-Oberhaus spielte damals nur ein einziger Verein aus den östlichen Bundesländern: RB Leipzig, der nicht gerade für antikapitalistische Fußballtradition steht. Das teils von Fans aufgebaute Stadion Alte Försterei in Berlin-Köpenick trug dazu ebenso bei wie die Geschichten des widerständigen, unangepassten Klubs zu DDR-Zeiten. All das machte den Verein enorm sympathisch für alle, die mit dem durchkommerzialisierten Geschäft der Bundesliga eigentlich fremdeln. Union wurde zum Gegenmodell und damit auch zur Hoffnung vor allem linker Fußballfans. Die Köpenicker avancierten zum FC St. Pauli des Ostens. Man sympathisierte mit dem Underdog.
Präsident Dirk Zingler wies diese Lesart zuletzt vehement von sich. Im Gespräch mit der Zeit lehnte er den Vergleich mit St. Pauli ab – vor allem aufgrund der deutlich linken politischen Agenda der Hamburger: „Bei uns im Stadion sollen die gesellschaftlichen Konflikte nicht im Mittelpunkt stehen, die Menschen können sich in ihrer Unterschiedlichkeit begegnen.“
Im Herbst vergangenen Jahres wurde bereits deutlich, was er damit meint. Damals besuchte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán Berlin und tauchte auch an der Alten Försterei auf. Dort traf er den ungarischen Nationalspieler András Schäfer, der für ihn, medienwirksam inszeniert, ein Trikot signierte. Das Echo bei Fans und Medien war einhelliges Unverständnis. Wie kann es sein, dass ein Klub, der sportlich gegen den Ausverkauf des Fußballs antritt, ausgerechnet einen Rechtsaußen-Politiker hofiert?
arbeitet als freier Journalist und Podcaster („Doppelspitze“). Er befasst sich vor allem mit gesellschaftlichen und sportpolitischen Themen.
Eine Antwort auf diese Frage liegt in der Diskrepanz zwischen Selbstverständnis und Außenwahrnehmung. Im Oktober 2022 wurde erstmals offen sichtbar, dass Union nie den Anspruch hatte, linke Werte zu vertreten. Auch mit dem Image als Underdog kann man in Köpenick wohl nicht allzu viel anfangen. „Alles in diesem Club ist darauf ausgerichtet, so höchstklassig und erfolgreich wie möglich Fußball zu spielen“, beschrieb Präsident Dirk Zingler die Ziele des Vereins in dem Interview.
Am Image des St. Paulis des Ostens ist also tatsächlich wenig dran. Union Berlin und seine Fans prägte stets das Gefühl, ein rein sportlicher Außenseiter zu sein. Einen 2:1-Sieg über den FC Bayern München im Jahr 2002 feiern die „Weltpokalsiegerbesieger“ bis heute wie eine Meisterschaft. Natürlich wohnt Gewinnenwollen dem Sport inne, aber bei St. Pauli stand der Tabellenplatz immer eher im Hintergrund.
Nun müssen sich sportliche und politische Ambitionen keineswegs ausschließen. Doch wenn vonseiten der Fans eine Haltung erwartet wird, die gar nicht vorhanden ist, ist das Enttäuschungspotenzial groß. „Union steht aber nicht für eine bestimmte politische Richtung. Wir sind humanistischen Grundwerten verpflichtet“, so Zingler. Wenn im Stadion zwei Menschen, die sonst im Leben wenig verbinde, nebeneinanderstehen und denselben Klub anfeuern würden, sei das etwas Richtiges.
Orbán bei Union
Hier wird eine nicht ungefährliche Verortung im Unpolitischen deutlich, die auch den Orbán-Eklat erklären kann. Sich selbst und das eigene Handeln als unpolitisch zu benennen klingt im ersten Moment wie eine einfache Sache. Man zieht sich gänzlich raus und agiert als vermeinlich neutrale Bühne. Als solche kann man dann auch einen Regierungschef empfangen, der im eigenen Land Menschenrechte massiv einschränkt. Der FC Union sah sich bei diesem Termin offenbar nur als bloßer Ort an, an dem ein privates Treffen stattfand.
Doch spätestens bei einem Gast wie Orbán funktioniert diese Strategie nicht mehr. Ohnehin mutete es kurios an, den Besuch eines Regierungschefs als unpolitisch zu bewerten. Denn der schlachtet jeden Auftritt politisch aus, um seinen Wählern zu Hause zu beweisen, dass seine Politik erfolgreich sei. Internationale Anerkennung wie ein Besuch bei einem populären Bundesligisten zahlt besonders stark auf dieses Konto ein. Es entstehen Bilder, die kein Statement und kein Selbstbild der Unioner wieder einfangen kann.
Außerdem beschneidet die vermeintlich unpolitische Selbstbehauptung das eigene Handeln fast immer auf der linken Seite. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus sei wichtig, habe allerdings im Stadion keinen Platz, findet Zingler. Ein Viktor Orbán darf dort hingegen schon stattfinden, inklusive allem, wofür er in Ungarn und Europa steht: Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, Unterdrückung von Minderheiten, Missachtung der Menschenrechte. Unpolitisch – das bedeutet vor allem, sich herauszuhalten, wo es eigentlich darum ginge, aktiv zu werden.
Underdog-Ticket passé
Doch was bleibt von Union Berlin, wenn das Image der linken Bundesliga-Rebellen wegfällt? Immer noch ein Verein, der mit einem ziemlich kleinen Budget ziemlich hoch hinaus will. Der aber auch mehr und mehr an seinen Erfolgen gemessen wird. Aber die bleiben aus: Die Niederlagen in der Champions League könnte man locker abstreifen – wenn man denn das Selbstverständnis hätte, da eher so hineingeraten zu sein.
In den ersten vier Bundesliga-Jahren fuhr Union sehr gut auf dem Underdog-Ticket. Jetzt wird klar, dass so ein Image in großem Maße abseits des Platzes hergestellt wird. Und nebenbei auch, wie viel es auf dem Platz ausmacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen