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Kriminalität Hamburg und Bremen sind Hells Angels-Gebiete. Während die Polizei inBremen eine „Null-Toleranz-Strategie“ propagiert, hatte man es sich in Hamburg lange mit der Hells-Angels-Dominanz auf dem Kiez arrangiert – bis Ende 2015 Blut flossKommando Laubenpieper

von Georg Kirsche-Humboldt

Wie ein Wachhäuschen liegt die Kneipe an der Ecke zum Eingang der Herbertstraße, wo Sichtbarrieren verhindern, dass Kinder und Jugendliche die Prostituierten sehen, die hier, in der Nebenstraße des Hamburger Rotlichtsviertels um die Reeperbahn, ihre Dienste feilbieten. Wären da nicht die Flammen auf der Fassade und der markante weiß-rote Schriftzug – man könnte diese Bar mit ihrer Gitarrenmusik-Optik und der obligatorischen Jukebox für eine der wieder hip gewordenen Traditionskneipen halten, die der Kiez zu bieten hat und in die sich an Wochenenden angeheiterte Junggesellen auf einen Schnaps an die Theke verirren.

Doch die Schilder an den Wänden, dezent platziert, aber doch unübersehbar selbst auf dem Startfoto der Kneipen-Website, markieren deutlich: Das hier ist ein Revierpunkt der Hells-Angels, dieser „Outlaw-Motorcycle-Gang“ – keine hundert Meter entfernt von der berühmten Davidwache der Hamburger Polizei.

Die Nähe beider Etablissements, von Polizeiwache und Rockerkneipe, steht symbolhaft für ein tolerantes Nebeneinander von Hells Angels und Hamburger Polizei in den vergangenen Jahren. 100 Kilometer südwestlich von Hamburg ist der Umgang – aber auch die Ausgangslage – eine andere: Seit ein paar Wochen nimmt die Bremer Polizei jede Gelegenheit war, um vor den Rockern und ihrem erneuten Erstarken in der Stadt zu warnen: International stünden die Rocker mit Straftaten im Bereich des Menschenhandels, der Zwangsprostitution, der Drogenkriminalität und der Schutzgelderpressung in Verbindung. Ihr Selbstbild sei nicht mit einer freiheitlichen Gesellschaft vereinbar, ihr Club eine Gefahr für die Demokratie und die Polizeistrategie eine von „null Toleranz“.

Die deutlich kleinere Stadt an der Weser hat kein mit Hamburg vergleichbares Rotlicht-Milieu, aber dennoch Geschäftsmöglichkeiten. 2013 hatte Bremens Innensenator den Bremer Ableger der Hells Angels verboten, ebenso den der rivalisierenden Rockerbande der „Mongols“. Zwischen beiden Gruppen war es zu Auseinandersetzungen gekommen. Die Hells Angels waren danach aber keineswegs verschwunden.

Seit einigen Monaten sind die Rocker in Bremen nun wieder präsenter, zeigen ihre Insignien und scheinen sich wieder öffentlich etablieren zu wollen. Die Bremer Polizei will das frühzeitig verhindern – und schaut mahnend nach Hamburg, wo sich die Brutalität der Rockerszene Ende letzten Jahres zeigte.

Dort hatte vor allem eine Schießerei auf der Reeperbahn für Aufregung gesorgt: Kurz vor Jahresende 2015 zierte das Bild eines durchlöcherten Taxis die Titelseiten. Eine Gruppe von Mongols-Anhängern hatte ein Fleischlokal auf dem Kiez besucht, gegenüber eines Bordells, in dem die Hells Angels aktiv sein sollten. Diese tauchten auf, drei Mongols-Anhänger flüchteten ins Taxi, ein Angreifer eröffnete das Feuer. Kurz nach der Tat kontrollierte die Polizei fast das komplette Hamburger Charter „South Port“ der Hells Angels in der Nähe.

Ein paar Tage später wird einer der Mongols in eine Gartenlaube gelockt, indem eine Frau ihm Sex verspricht. Statt Schäferstündchen erwarten ihn vermummte Angreifer. Sie schlitzen ihm Gesicht und Beine auf und werfen ihn danach bewusstlos aus einem Auto. Eine Frau und fünf Männer werden im Oktober für die Tat verurteilt – mindestens einer aus dem Umfeld der Hells Angels. Im Juni dann verletzt ein maskierter Täter den Ex-Vize-Chef der Hamburger Mongols und seine Freundin mit Schüssen in einem Wohnhaus im Stadtteil Schnelsen.

Seit ein paar Wochen nimmt die Bremer Polizei jede Gelegenheit war, um vor den Rockern zu warnen: International stünden sie mit Straftaten in Verbindung, ihr Club sei eine Gefahr für die Demokratie

Den Gewalttaten vorausgegangen war eine Neugründung der Mongols in Hamburg. Mit Mitgliedern der Bandidos, die ebenfalls mit den Hells Angels verfeindet sind, tauchten sie im November 2015 in voller Montur zu einem Schaulaufen auf der Reeperbahn auf. Eine Provokation: Auf dem Kiez sind die Hells Angels fest verankert.

Das weiß man in Hamburg. Hörte man allerdings den Sicherheitsbehörden zu, so entstand der Eindruck, die Hells Angels wären aus Hamburg verschwunden. Man verwies auf einen Triumph von 1983, als die Stadt den Rockern das Tragen ihrer Kutten verbot. Doch die Hells Angels machten weiter – ohne Kutte und mit wenig Gegenwehr.

Das änderte sich nach der Schießerei auf der Reeperbahn Ende 2015: Die Polizei musste reagieren und gründete die „Soko Rocker“. Spektakuläre Aktionen, regelmäßig von der Presse dokumentiert, und Festnahmen folgten. Mit schwerer Bewaffnung holten Polizisten in wenigen Wochen zu zahlreichen Schlägen aus, durchsuchten Bordelle und Privathäuser. Im Frühjahr 2016 stürmen Spezialeinsatzkräfte dann auch die Hells-Angels-Kneipe in der Davidstraße.

Ende April 2016 wurde die Soko wieder verkleinert. Und Hamburg ist weiter Hells-Angels-Revier. Wer eigentlich für Probleme gesorgt hatte, erklärte Helmut Süßen, der Leiter der Sonderkommission im Juni 2016 der Zeitung Die Welt: „Mit dem Kuttenverbot und der Stellung, die die Hells Angels bundesweit genossen, hatten wir eine ruhige Situation in Hamburg.“ Die Welt der Hells Angels sei eine voller Regeln, Werten und habe fast etwas Kleinbürgerliches an sich, heißt es weiter. Es sei ein relativ stabiles System, das deshalb auf eine gewisse Art für die Polizei vorhersagbar gewesen sei.

Jan Reinecke, der Hamburger Landesvorsitzende des Bunds deutscher Kriminalbeamter, sieht diese Einstellung kritisch. „Hamburg hat die Bekämpfung der Rockerkriminalität jahrelang sträflich vernachlässigt“, sagt er. Wenn Personal an anderer Stelle gebraucht wurde, sei es hauptsächlich aus der Abteilung für Organisierte Kriminalität abgezogen worden.

Er selbst war Finanzfahnder im Bereich der Organisierten Kriminalität. Für das gesamte Feld gelte: „Wenn man da nicht hinschaut, gibt es auch keine Straftaten.“ Das meiste spiele sich in einem Dunkelfeld ab.

Das zeigten auch die Razzien im Frühjahr: Wie der NDR berichtete, stieß die Polizei im Zuge der Ermittlungen auf eine KFZ-Werkstatt in Hamburg-Hamm nahe dem Straßenstrich, der auch von den Hells Angels kontrolliert werden soll. Seit Jahren wurde in der Werkstatt mit gestohlenen Autoteilen gehandelt, nachweisbar 50 gestohlene Autos ausgeschlachtet. Geschätzter Schaden: rund zwei Millionen Euro. Die Polizei hatte hingeschaut.

Und vorher? „Man hat die Szene beobachtet, aber nicht agiert, sondern nur reagiert“, sagt der Polizeigewerkschafter Reinecke. Erst die offen auftretende Gewalt durch den Konflikt mit den Mongols habe die Politik gestört, die Reeperbahn sei schließlich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Das martialische Auftreten der Spezialkräfte aber hatte laut Reinecke auch negative Effekte: Die Rocker hätten sich noch wichtiger gefühlt. Er beklagt eine mangelnde Nachhaltigkeit der Soko: „An den Besitzverhältnissen hat sich nichts geändert.“

Dafür müsste man die Geldströme verfolgen: Analysen, Auswertungen, Lagebeurteilungen. Polizisten müssten die Szene beobachten und wissen, wer hinter welchem Laden stehe, hinter welchem Strohmann. „Aber die Hamburger Kriminalpolizei hat dafür keine Ressourcen“, sagt Reinecke. Er warnt: Wenn eine Truppe auftauche, die den Hells Angels etwas versierter Konkurrenz macht als die Mongols, würde es in Hamburg wieder knallen.

Das Aufflammen eines Rockerkonflikts ist auch in Bremen die Sorge, allerdings bislang nur als „abstrakte Gefahr“. Seit 2010 war in der Stadt das Engagement gegen Rocker stärker geworden, eine Bürgerinitiative rund um das Vereinsheim der Hells Angels in der Innenstadt war entstanden. Im gleichen Jahr hatte sich ein Bremer Mongols-Chapter gegründet. Es folgen Kuttenverbote, die Ausweitung der Waffenverbotszone, sowie baurechtliche Nutzungsuntersagungen. 2011 wurden die Bremer Mongols verboten, 2013 der Bremer Ableger der Hells Angels. Ein Jahr später wird der Anführer der Mongols, Ibrahim M. zu sechs Jahren Haft wegen Drogenhandels verurteilt und 2014 das Vereinsheim der Hells Angels abgerissen – für den Innensenator ein symbolischer Sieg. Aber: Wie in Hamburg blieb auch Bremen das Revier der Hells Angels.

Im Sommer dieses Jahres kam Bewegung auf: In Bremerhaven, wo bislang nur die Rocker des Gremium MC ansässig waren, eröffneten die „Bloody Warrior“, ein Unterstützerclub der Mongols, ein Vereinsheim. Anfang Oktober tauchten Fotos auf: Rund ein Dutzend Männer in „Bloody-Warrior“-Kutten posieren bei einem Ausflug durch Bremens Ausgehmeile an der Schlachte – eine Ansage an die Hells Angels.

Die wiederum sind in Bremen seit dem Sommer dabei, sich in einem Parzellengebiet im Stadtteil Walle niederzulassen – und offen aufzutreten. Auch der bekannte Bremer Rechtspopulist Fritjof Balz ist dort bei einer ehemaligen Gaststätte neben Hells Angels-Größen zu beobachten. Der Lokalpolitiker hatte in Bremen-Nord eine Bürgerinitiative gegen Flüchtlinge angeführt und sorgt in der Stadt für Aufmerksamkeit.

Als sich Ende September der Beirat von Walle, also das Stadtteilparlament, mit der neuen Rocker-Parzelle befasste, tauchte Michael Wellering, Chef des Hells-Angels-Charters „West Side“ auf – begleitet von Unterstützern. Minutenlang hielt er Monologe: Dass gegen kein Mitglied seines Clubs strafrechtlich etwas vorliege, erzählt er, und dass sein Verein die staatlichen Gesetze akzeptieren würde. Die Lokalpolitiker beeindruckt das, ein gemeinsamer Antrag von SPD, Grünen und Linken wird geändert: Statt die Aktivitäten der Rocker „verhindern“ zu wollen, sollen sie nunmehr nur „begleitet“ werden.

Die Strategie, sich mit manchen Club-Ablegern ein sauberes Image zu schaffen, ging in diesem Fall auf. Während aber schon ein paar Tage später viele Beiratsmitglieder merkten, dass sie überrumpelt worden waren, sind die Rocker manchen Kleingärtnern in der Siedlung noch immer willkommen: Sie hoffen, dass die Rocker für Ordnung sorgen und Einbrecher abschrecken.

Zwar ist die Parzelle in Bremen kaum als neues Vereinsheim der Hells Angels geeignet – wohl aber als Reviermarkierung. Allerdings haben Mitarbeiter des Bauressorts erste Begehungen vorgenommen: Baurechtlich sind Schwierigkeiten in Sicht.

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