Kriminalisierung eines Journalisten: Polizei kann nicht lesen
Der Journalist Benjamin Bigger filmte eine Protestaktion am Lübecker Flughafen. Die Polizei hinderte ihn daran und lädt ihn nun als Verdächtigen vor.
Es war noch dunkel am Morgen des 17. August, als in den Zelten ein Wecker nach dem anderen zu klingeln begann. Reißverschlüsse wurden geöffnet, verschlafene junge Leute stolperten zur Waschstelle des Protestcamps, das Extinction Rebellion auf einer Kuhweide südlich von Lübeck aufgebaut hatte. Zwei dutzend Aktivist*innen liefen im Gänsemarsch los.
Nur eine Straßenbreite entfernt lag das Ziel ihrer Aktion: Der Lübecker Flughafen, von dem in wenigen Stunden ein Flieger nach München abheben sollte. Die Klimaschützer*innen waren dagegen, dass der Regional-Airport an diesem Tag nach vier Jahren wieder eröffnete. Ihr Motto: „Kurzstreckenflüge nur für Insekten!“
Um kurz nach halb sechs wurden fünfzehn Aktivist*innen in Gewahrsam genommen, die das Rollfeld blockiert hatten – und mit ihnen drei Journalist*innen, die die Aktion mit drei Kameras dokumentierten (taz berichtete). Und das, obwohl sie als Pressevertreter*innen deutlich gekennzeichnet waren. Bigger trug seine schwarze Weste mit der weißen Aufschrift „Presse“. Die Journalist*innen hatten Presseausweise dabei und sie wiesen die Polizist*innen darauf hin, dass sie nach dem Presserecht nicht an ihrer Arbeit gehindert werden dürften (siehe Kasten).
Bei der Medienberichterstattung gibt es ein öffentliches Informationsinteresse, das sich aus Artikel 5 des Grundgesetzes, der Meinungs- und Pressefreiheit, ableitet.
Im Fall der Filmaufnahmen vom Flughafen, oder auch in ähnlichen Fällen, zum Beispiel bei Medienberichten aus dem Hambacher Forst, steht dieses Interesse in Konflikt zum Eigentumsrecht der jeweiligen Grundstücksbesitzer*in (§ 903 Bürgerliches Gesetzbuch).
Die Demonstrierenden und Medienvertreter*innen halten sich also illegal auf dem Grundstück auf, wenn der/die Besitzer*in nicht zugestimmt hat.
Welches der beiden Rechte am Ende schwerer wiegt, entscheiden die Gerichte.
Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.9.1998 hat das öffentliche Interesse vor dem Eigentumsrecht grundsätzlich Vorrang, wobei im Einzelfall abgewägt werden müsse.
Bigger musste trotzdem knapp sechs Stunden in Gewahrsam der Polizei verbringen. Er verpasste seine Deadline für den Videobericht, den er für Telenews Network, die Videosparte der Deutschen Presseagentur, machen sollte.
Was noch schwerer für ihn wiegt: In einer Pressemitteilung erklärten die XR-Aktivist*innen später, drei von ihnen hätten sich mit Sekundenkleber am Rollfeld fixiert. Daraufhin sei „das Ablösen vom Betonboden mit Kreditkarten und Öl“ erfolgt, was „teilweise für Schmerzen“ gesorgt habe. Ein Rettungssanitäter habe einer von ihnen sogar gedroht, die Haut mit einem „Skalpell unter Betäubung vom Boden loszuschneiden“. „Diese Vorwürfe können wir jetzt nicht nachweisen“, sagt Bigger. Denn zu diesem Zeitpunkt waren die Journalist*innen bereits von Einsatzkräften mitgenommen worden.
Bigger wandte sich nach dem Vorfall an den Deutschen Journalisten-Verband (DJV), der sich beim schleswig-holsteinischen Innenministerium über die Behandlung durch die Polizist*innen beschwerte. Das Ministerium rechtfertigt die Arbeit der Staatsdiener*innen in einem Antwortschreiben, das der taz vorliegt. „Die Anwesenheit von Pressevertretern war für die Einsatzkräfte nicht erkennbar, vielmehr wurde das Filmen als Solidaritätsaktion unter den Versammlungsteilnehmern wahrgenommen“, heißt es darin.
Statt auf die geäußerte Kritik einzugehen, droht der Brief indirekt ein juristisches Vorgehen gegen Bigger an: Es bestehe der Verdacht, Bigger habe die Ordnungswidrigkeit des unerlaubten Aufenthalts im Sicherheitsbereich des Flughafens sowie die Straftaten Hausfriedensbruch, Gefährdung des Luftverkehrs, Sachbeschädigung und Nötigung begangen. „Besonders die letzten beiden sind absurd“, sagt Bigger. „Wir werden mit den Aktivist*innen gleichgesetzt.“ Er fordert, „dass das Innenministerium sich mit der Rolle der Pressevertreter hier auseinander setzt“.
Kurz nach der Antwort des Innenministeriums bekamen Bigger und eine der anderen beiden Journalistinnen, die von der Flughafen-Aktion berichtet hatten, einen weiteren Brief: eine polizeiliche Vorladung. Zu dem Termin erschien Bigger auf Anraten seines Anwaltes nicht. „Meine Videoaufnahmen und Fotos, die zum Teil auch veröffentlicht sind, widerlegen die Vorwürfe ja schon“, sagt er.
Ob ein Verfahren gegen die Journalsit*innen eingeleitet wurde, ist bislang nicht klar. Die Lübecker Polizei und Staatsanwaltschaft konnten auf Anfrage der taz kurzfristig keine Stellung zu den Vorfällen beziehen.
Für Stefan Endter, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des DJV in Hamburg, ist das, was Bigger und seinen Kolleginnen widerfahren ist, nicht hinnehmbar. „Die Verantwortlichen müssen zur Einsicht kommen, dass das nicht geht“, sagt er. „Journalisten dürfen nicht in ihrer Arbeit behindert werden – die Pressefreiheit genießt grundrechtlichen Schutz.“ Das Verhalten der Einsatzkräfte sei eine deutliche Grenzüberschreitung gewesen. „Ein ähnlicher Fall ist mir in Norddeutschland nicht bekannt“, sagt Endter.
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