Kriminalisierte FlüchtlingshelferInnen: Amnesty-Preis für Iuventa 10
Die Menschenrechtsorganisation zeichnet eine zehnköpfige Gruppe von SeenotretterInnen aus. Der Crew droht in Italien 20 Jahre Gefängnis.
Es handele sich im „politisch motivierte Ermittlungen“ sagte Beeko. Retter würden in Europa heute „nicht gefeiert, sondern angefeindet und kriminalisiert“. Das Vorgehen gegen die Iuventa 10 sei Teil Teil einer zunehmenden Verfolgung von MenschenrechtsverteidigerInnen – insbesondere solcher, die sich für das Überleben oder die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen einsetze, so Beeko.
Die italienische Staatsanwaltschaft hatte die Iuventa im August 2017 auf Lampedusa beschlagnahmt. „Seitdem liegt das Schiff im Hafen von Trapani und verrottet, es kann nicht mehr für Rettungen eingesetzt werden,“ sagt Sascha Girke, eines der 10 Crewmitglieder. Er wies den Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einreise zurück. „Alle unsere Einsätze wurden mit Italiens Behörden koordiniert und die Geretteten den Behörden dann an Land übergeben“, sagte er. Selbst die italienische Staatsanwaltschaft habe festgestellt, dass die Crew „aus Solidarität“ gehandelt haben. „Was kriminalisiert wird, ist also die Solidarität.“
Girke erinnerte daran, dass Hunderte Menschen wegen ähnlicher Vorwürfe bereits in südeuropäischen Gefängnissen sitzen – nämlich Flüchtlinge selbst, etwa wenn diese ein Boot, in dem sie selbst saßen, gesteuert hätten. „Und die bekommen keine Aufmerksamkeit.“ In der vergangenen Woche hatte der Spiegel berichtet, dass allein in Griechenland zwischenzeitlich fast 2.000 Häftlinge wegen Beihilfe zu illegalen Einreise im Gefängnis saßen. Im Herbst hatte die Justiz den Afghanen Naim K. zu 288 Jahren Knast und 3,8 Millionen Euro Geldstrafe verurteilt.
Auch andere Helfer sind im Visier
Am 4. Februar verurteilte eine Richterin in Komotini in Griechenland, die Marokkaner Hamza Haddi und Mohamed Haddar zu jeweils vier Jahren Haft. Wie die NGO Borderline Europe berichtet, hatten die beiden während ihrer eigenen Flucht ein Boot gerudert hatten, in dem noch zwei weitere Flüchtlinge saßen.
Auch gegen die deutsche NGO Mare Liberum, die seit 2018 in der Ägäis Menschenrechtsbeobachtungen durchführt, hat die griechische Staatsanwaltschaft Vorermittlungen aufgenommen. Im Januar 2019 wurde Mare Liberum-Vorstand Philipp Hahn deshalb bei der Küstenwache von Mitilini auf der Insel Lesbos einbestellt. Das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf „Schmuggel“ ist anhängig.
Die Amnesty-Referentin Franziska Vilmar wies darauf hin, dass die Strafverfolgung von SeenotretterInnen und anderen FlüchtlingshelferInnen fast immer auf einer Anti-Schlepper-Richtlinie der EU beruhe. Diese sei vor etwa 20 Jahren eingeführt worden, um Kriminelle zu bekämpfen, die sich mit Menschenschmuggel bereichern. Davon könne bei den SeenotretterInnen keine Rede sein, sagte Vilmar.
Zwar sehe die Richtlinie durchaus vor, Menschen von der Strafverfolgung auszunehmen, die anderen aus „humanitären Gründen“ bei der Einreise helfen. Doch weil es den Mitgliedsstaaten selbst überlassen bleibe, ob sie diese Klausel anwenden oder nicht, würde die Richtlinie heute immer öfter missbraucht um humanitäre Helfer zu verfolgen, sagte Vilmar.
Eine im Mai 2019 veröffentlichte Studie der britischen Forschungsplattform Asyl und Migration zufolge wurden zwischen 2015 und 2019 insgesamt in elf Ländern mindestens 49 Verfahren gegen 158 Personen eröffnet, die humanitäre Hilfe für Migranten und Flüchtlinge geleistet hatten. Grundlage war in allen Fällen die Anti-Schlepper-Richtlinie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“