Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: Wieder lebenslänglich
Das UN-Kriegsverbrechertribunal bestätigt das erstinstanzliche Urteil gegen den früheren bosnisch-serbischen Armeechef Ratko Mladić.
Damit wurde das Urteil der 1. Instanz – allen Befürchtungen von Opferverbänden zum Trotz – voll und ganz bestätigt. Mladić war im November 2017 wegen seiner Verantwortung für den Genozid in Srebrenica im Juli 1995 mit über 8.000 Getöteten sowie weiterer Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Gegen das Urteil hatte er Berufung eingelegt.
Allerdings stufte das Gericht nicht wie von der Anklage erhofft die Massaker und die Verfolgung von sechs besonders durch den Terror betroffenen Gemeinden als Völkermord wie in Srebrenica ein. Vor allem 1992 waren in Foča, Vlasenica, Ključ, Sanski Most, Kotor Varoš und Prijedor grausame Verbrechen verübt worden, die serbische „Krisenstäbe“ gegen die nichtserbische Bevölkerung organisiert hatten.
Die Verbrechen in den Konzentrationslagern von Prijedor, wo im Sommer 1992 allein über 3.500 Menschen, Bosniaken und Kroaten, ermordet worden waren, sowie den Lagern und Vergewaltigungslagern in den anderen genannten Orten wurden vom Gericht zwar als systematische Verfolgung bewertet, nicht jedoch als Genozid.
Jahrelange Enttäuschung
Seit Jahren sind viele Überlebende aus den betroffenen Gemeinden sehr enttäuscht, dass Den Haag die systematische Kampagne der ethnischen Säuberungen 1992, der Zehntausende Zivilisten zum Opfer gefallen sind, nicht als Genozid eingestuft hat. Dennoch wurde das Urteil von Seiten der Opferverbände und der nichtnationalistischen Zivilgesellschaft mit Erleichterung aufgenommen, weil damit Gerüchte, Mladić könnte freigesprochen werden, ohne Zweifel widerlegt wurden. Jetzt ist erst einmal ein Schlussstrich unter das Kapitel Mladić und das UN-Tribunal in Den Haag gezogen.
Das Urteil sei eine laute Mahnung gegen Hass, Nationalismus und Leugnung. „Bis heute gehören die Kriegsziele von damals nicht der Vergangenheit an. Bis heute werden ethnische Grenzziehungen für die Region diskutiert. Diese völkische Idee verhöhnt alle Kriegsopfer und ist brandgefährlich für den Frieden in Europa“, heißt es in einer Presseerklärung von Manuel Sarazzin, dem osteuropapolitischen Sprecher von Bündnis90/die Grünen.
Er spricht sich strikt gegen alle Versuche aus, die Grenzen auf dem Balkan nach den Wünschen der Ethnonationalisten neu zu ziehen. Aussöhnungsprozesse vor Ort müssten seitens der EU intensiver unterstützt und in den EU-Beitrittsprozess einbezogen werden. „Die anstehende Reform der bosnischen Verfassung und des Wahlgesetzes muss dazu beitragen, dass die ethnische Spaltung in Bosnien und Herzegowina überwunden werden kann“, heißt es in der Stellungnahme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind