Kriegsverbrechen der Wagner-Gruppe: Die ganze Kommandokette
Ein Ex-Ausbilder der Söldner will vor dem Internationalen Strafgerichtshof aussagen. Es geht um entführte Kinder und den abgeschossenen Flug MH17.
Für eine strafrechtliche Verfolgung des russischen Angriffs auf die Ukraine kann Salikows Aussage als sogenannter Insider-Zeuge von großer Bedeutung sein. Im März erließ der IStGH einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Putin und die Kinder-Beauftragte seiner Regierung, Marija Lwowa-Belowa. Salikow kam auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol in die Niederlande, wo er ein Video aufnahm, das auf niederländischen Websites dokumentiert wird.
Zuvor hatte Salikow, der ab 2022 sein Wissen über Kriegsverbrechen und deren Täter aufschrieb und dem IStGH eine Version dessen schickte, dem TV-Magazin „Een Vandaag“ (1V) ein Online-Interview gegeben.
Dort berichtet er unter anderem davon, er habe gesehen, wie Kinder „tagelang“ und „aus dem einen oder anderen Grund ohne ihre Eltern“ abgeführt wurden. Die Redaktion bringt diese Aussage in Verbindung mit über 6.000 entführten ukrainischen Kindern, die auf russischen Websites zur Adoption angeboten wurden.
Befehle aus dem russischen Verteidigungsministerium
Salikow behauptet in einem Schreiben an das Tribunal, die gesamte Kommandostruktur der sogenannten Volksrepublik Donezk zu kennen. Die Befehle dort seien zumeist direkt aus dem Moskauer Verteidigungsministerium und manchmal auch aus dem Kabinett Putins gekommen.
Bei illegalen Operationen seien häufig die Geheimdienste FSB und GRU beteiligt gewesen. Auf ein Konkurrenzverhältnis zwischen diesen geht laut Salikow auch der Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 2014 über der Ostukraine zurück, bei dem 289 Insassen getötet wurden.
Seine eigene Motivation betreffend sagt Salikow, er habe in der Ukraine Faschisten bekämpfen und Russland wieder „stark und vereinigt“ machen wollen. „Wir glaubten da wirklich dran. Wir glaubten, dass in der Ukraine der Nationalismus aufkam.“ Dem Menschenrechts-Aktivist Wladimir Osechkin zufolge, der Salikow unterstützt, habe dieser „auf einmal eingesehen, was die russische Armee in der Ukraine anrichte“.
Gegenüber „Een Vandaag“ berichtet Osechkin, die meisten von Salikows Aussagen seien verifiziert worden. „Dadurch wurden Orte entdeckt, an denen getötete ukrainische Bürger begraben waren, und auch Kriegsgefangene, die zu Tode gefoltert oder exekutiert wurden.“
Osechkin, der von Frankreich aus das Projekt Gulagu.Net gegen Folter und Korruption in Russland betreibt, half Salikow im vergangenen Sommer bei der Flucht aus Russland, die „komplex und riskant“ gewesen sei.
Zwischenzeitlich hielt sich der Ex-Oberst mit seiner Frau und drei Kindern auf Zypern auf. Dort allerdings, berichtet das Algemeen Dagblad, habe ihnen nicht nur das russische Konsulat Unannehmlichkeiten bereitet, sondern sie seien auch durch Autos mit verdunkelten Scheiben verfolgt worden.
In der Pressestelle des IStGH verweist man an die Anklage des Strafgerichtshofs, der bis zum Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage der taz antwortete. Offizielle Stellungnahmen seitens des Tribunals gibt es bislang keine. Ein Mitarbeiter von „Een Vandaag“ berichtet von der prekären Situation Salikows, der bislang weder um politisches Asyl in den Niederlanden gefragt habe noch Teil eines Zeugenschutzprogramms sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter