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Kriegsrecht in Südkorea zurückgenommenPolitische Chaostage in Seoul

Präsident Yoon nimmt das von ihm ausgerufene Kriegsrecht zurück. Das Parlament hatte einstimmig dagegen votiert. Nun wird sein Rücktritt gefordert.

Südkoreaner halten Schilder mit der Aufschrift „Verhaftet Yoon Suk Yeol“ während einer Kundgebung in Seoul, Südkorea Foto: Lee Jin-man/AP/dpa

Seoul taz | Am Morgen danach zeigt sich die südkoreanische Hauptstadt fast so, als wäre nichts gewesen. Als hätte das Land nicht die wohl turbulentesten politischen Stunden der letzten Jahre hinter sich. Nur mehr die erhöhte Polizeipräsenz erinnert noch an den Ausnahmezustand, den der amtierende Präsident am Dienstagabend verhängt hatte.

Abseits der Bereitschaftspolizisten, meist junge Koreaner im Wehrdienstalter, ist es ruhig. Der Seouler Alltag zeigt sich praktisch unbeeindruckt: Die Leute strömen aus überfüllten Bussen in die gläsernen Bürotürme, viele der Angestellten haben einen obligatorischen Kaffeebecher in der Hand.

Die angebliche Bedrohung aus dem Norden

Doch in der Nacht zuvor hatte sich ein politisches Schauspiel zugetragen, das selbst für das zum Drama neigende Korea seinesgleichen sucht: Der konservative Präsident Yoon Suk Yeol rief für praktisch alle politischen Beobachter vollkommen überraschend – das Kriegsrecht für sein Land aus. Die radikale Maßnahme erinnert an die dunklen Tage der Militärdiktatur: Zuletzt wurde im Frühjahr 1980 ein solcher Ausnahmezustand verhängt, und damals wurde er mit der Gefahr durch Nordkorea begründet.

Fast 45 Jahre später zitierte Yoon ebenfalls die Bedrohung aus dem Norden. Er warf der oppositionellen Linken vor, mit dem Regime in Pjöngjang zu sympathisieren – ohne jedoch konkrete Beweise vorzulegen. Das Kriegsrecht würde darauf abzielen, „pro-nordkoreanische Kräfte auszuradieren“ und die freiheitliche Ordnung zu sichern. Dabei handelt es sich offensichtlich um die „Kommunisten-Keule“, die die Rechte pauschal regelmäßig gegen die linke Opposition schwingt.

Ein anderer Vorwurf ist jedoch konkreter zu fassen: Dass die Opposition den Staat „lähmen“ würde, wie Yoon behauptet, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Erbittert streiten die politischen Fraktionen seit Wochen bereits um ein Haushaltsgesetz für das kommende Jahr, zudem hat die Linke inflationär Anträge für Amtsenthebungsverfahren eingereicht. Doch daraus die Notwendigkeit für das Verhängen des Kriegsrechts abzuleiten, scheint dennoch absurd.

Korruptionsvorwürfe gegen die Frau des Präsidenten

Für viele Experten mutet eine andere Erklärung naheliegend: Yoon Suk Yeol hat nach massivem innenpolitischen Druck ein Ablenkungsmanöver gestartet. Nicht nur ist er von extrem niedrigen Beliebtheitswerten und Korruptionsvorwürfen gegen seine Ehefrau geplagt, auch hatte es zuletzt mehrere Wochenenden in Folge Anti-Regierungs-Demonstrationen in der Seouler Innenstadt gegeben. Möglicherweise wollte Yoon der sich aufbauenden Dynamik einen Riegel vorschieben.

Parlament einstimmig gegen das Kriegsrecht

Die Maßnahme ging jedoch nach hinten los. Innerhalb der Nationalversammlung eilten die Abgeordneten nachts in den Plenarsaal. Lee Jae Myung, Anführer der linken Opposition, filmte sich im Livestream, wie er – vorbei an Sicherheitspolizisten – über den abgesperrten Zaun in die Parlamentsanlage springt. Dort stimmten sämtliche 190 anwesenden der insgesamt 300 Parlamentarier dafür, dass Präsident Yoon das Kriegsrecht wieder zurücknehmen solle. Eindeutiger ließ sich nicht offenbaren, dass ein Staatsoberhaupt sein politisches Rückgrat verloren hat.

Und auf dem anderen Ende des abgesperrten Geländes hatten sich mehrere tausend Demonstranten eingefunden, die Fahnen schwingend und musizierend Yoons Rücktritt forderten. Bis auf kleinere Rütteleien blieb es in dieser Nacht friedlich. Dass sich unter der Oberfläche jedoch eine Menge Frust gegenüber dem Staatsoberhaupt angesammelt hat, war dennoch deutlich.

Es dauerte ein paar Stunden, bis Yoon vor dem Morgengrauen dem Votum der Abgeordneten folgte und das Kriegsrecht wieder aufhob. Die Demonstranten nahmen die Entscheidung mit Jubel auf: Denn tatsächlich hätte das Kriegsrecht massive Folgen gehabt – sämtliche politische Aktivitäten sind dann verboten, auch die Berichterstattung der Medienhäuser wäre massiv eingeschränkt.

Kritik aus den eigenen Reihen

Am Tag danach deuten nun alle Zeichen auf Neuwahlen hin. Denn Yoon Suk Yeol erfährt nicht nur Gegenwind von der Öffentlichkeit und der Opposition, sondern auch von den eigenen Reihen. Sein eigener Parteichef, Han Dong Hoon, hat sich unmittelbar gegen das Kriegsrecht ausgesprochen und angekündigt, dieses „mit dem Volk stoppen“ zu wollen.

Hunderte Demonstranten versammelten sich am Mittwochabend auf den Treppen des südkoreanischen Parlamentsgebäudes. Ihre Gesichter wurden von den Kerzen erleuchtet, die sie bei sich führten. Wo keine 24 Stunden zuvor Soldaten den Politikern den Weg versperren sollten, versuchte das Volk nun die angeschlagene Demokratie des Landes zu verteidigen. Immer und immer wieder schreit die Menge ihren Willen in die bitterkalte Winternacht: Yoon solle endlich des Amtes enthoben werden.

Die Opposition hat bereits einen formalen Antrag eingereicht. In wenigen Tagen wird er zur Abstimmung kommen. Möglicherweise jedoch wird Yoon Suk Yeol seinem Schicksal zuvor­kommen: Für Donnerstag hat er eine Pressekonferenz angesetzt, möglicherweise könnte er seinen Rücktritt ankündigen.

Fakt ist jedoch auch wiederum: Bislang haben die Anti-Regierungs-­Proteste nicht die breite Bevölkerung erfasst. In absoluten Zahlen sind nicht besonders viele Menschen auf die Straße gezogen. Bis zum Samstag könnte sich dies allerdings durchaus ändern.

Dass es zu Neuwahlen kommen wird, gilt als das wahrscheinlichste Szenario. „Die Frage ist nur, in welchem Zeitrahmen das geschehen wird“, sagt Mason Richey, Professor für internationale Politik an der Hankuk University for Foreign Studies in Seoul.

Doch die politische Zukunft des Landes bleibt vor allem ungewiss. Innerhalb Yoons konservativem Lager dürfte ein Machtkampf ausbrechen. Die Opposition hingegen wird wohl auf den Politikveteranen Lee Jae Myung setzen, der gemeinhin als Linkspopulist und Vertreter der Arbeiterklasse gilt. Gemäß der politischen Polarisierung des Landes, die traditionell regelmäßige Machtwechsel hervorbringt, dürfte Lee durchaus gute Chancen aufs Präsidentenamt haben.

Mittlerweile haben sämtliche ranghohen Sicherheitsberater von Yoon ihren Rücktritt angeboten. Und etliche Abgeordnete haben sich für ein Ultimatum ausgesprochen: Demnach habe der Präsident 72 Stunden Zeit, von sich aus zurückzutreten. Ansonsten würden sie ein Amtsenthebungsverfahren anstreben.

Zudem hat sich mittlerweile ein wenig der Nebel über die politischen Hintergründe gelegt: So soll Präsident Yoon von seinem Verteidigungsminister zu der Entscheidung gedrängt worden sein, auch der Sicherheitsminister hat das Ausrufen des Kriegsrechts befürwortet. Doch es scheint, als ob es sich auch um zwei klassische Sündenböcke handelt. Denn feststeht: Es gab auch prominente Gegenstimmen in der Regierung, darunter die Außen- und Finanzminister.

Schlussendlich wird die Öffentlichkeit nur eine Person für die umstrittene Entscheidung zum Kriegsrecht verantwortlich machen: den Präsidenten selbst.

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3 Kommentare

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  • Der Putsch wurde durch den entschlossenen Widerstand im Parlament und auf der Straße im Keim erstickt.

    Präsident Yoon, die südkoreanische Version von Trump, dachte sich wohl: "Man kann es ja mal versuchen."

    Global gesehen wächst mittlerweile in fast allen führenden Industrieländern ein Trump-Verschnitt heran. Das muss objektive Ursachen haben.

    Max Horckheimer von der Frankfurter Schule sagte nicht ohne Grund:

    "Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen!"

    • @Uns Uwe:

      Daumen rauf dafür, Euch Uwe. Daumen rauf!

  • Man sollte das Kind beim Namen nennen.



    Das war ein versuchter Staatsstreich.



    Glücklicherweise hat die Armee nicht mit Gewalt durchgegriffen.



    Herr Yoon wollte die Macht an sich reißen, die KoreanerInnen konnten dies gerade so abwenden.