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Krieg in der UkraineKyjiw unter Dauerbeschuss

Bei Angriffen auf die ukrainische Hauptstadt werden mindestens acht Menschen getötet und 45 verletzt. Auch andere Orte sind Ziel der nächtlichen Attacken.

Ein Wohnhaus in Kyjiw nach den Angriffen am frühen Donnerstagmorgen Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Kyjiw taz | Die 25-jährige Tetjana, Rettungshelferin beim staatlichen Katastrophenschutzdienst, arbeitet seit 4 Uhr morgens zusammen mit ihrem Diensthund Joy an der Bergung eines fünfstöckigen Wohnhauses im Kyjiwer Stadtteil Darnyzkyj. Obwohl die Rettungsaktion bereits seit mehr als 8 Stunden andauert, könnten sich unter den Trümmern noch Menschen befinden. Plötzlich beginnt die schwarz-weiße Border-Collie-Hündin laut zu bellen, Tetjana kann sie kaum an der Leine halten. Die Rettungskräfte finden einen Mann unter den Trümmern, aber leider ist er tot.

Nachdem es in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw fast eine Woche lang völlig ruhig war, wurde die Stadt am Donnerstagmorgen erneut von russischen Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen angegriffen. Bis zum frühen Morgen um 6.45 Uhr herrschte die ganze Nacht Luftalarm. Es gab Tote, Verletzte und weitreichende Zerstörungen. Mindestens 18 Menschen kamen ums Leben, darunter zwei Kinder. Laut Behördenangaben seien 50 weitere Personen verletzt worden.

„Joy wurde darauf trainiert, lebende Menschen zu suchen. Es gibt auch andere Hunde, die Leichen suchen. Bislang sind nur diese im Einsatz. Aber wir alle hoffen sehr, dass Joy heute Arbeit haben wird“, sagt Rettungshelferin Tetjana, während sie auf den Trümmern des Hauses steht, zu ihren Füßen ein großer Teddy und ein zerfetztes Schulheft. In dem Haus sind mindestens 6 Menschen gestorben. Ihre Leichen werden gerade von den Bergungskräften in schwarzen Säcken aus den Trümmern gezogen.

„Das war eine russische Rakete. Der Angriff kam um drei Uhr nachts und vielleicht befinden sich im Keller des Hauses noch immer Menschen. Unter den Toten sind leider auch Kinder. Präzisere Informationen kommen immer noch, da die Rettungskräfte in Kyjiw gerade an 20 Orten im Einsatz sind“, sagt der ukrainische Innenminister Ihor Klymenko am Ort der Tragödie. Über seinem Kopf kreist ein Hubschrauber, der versucht, die Brände, die nach dem morgendlichen Angriff in der Gegend ausgebrochen sind, zu löschen.

Rund 100 beschädigte Objekte

Betroffen sind zivile Objekte, Wohnhäuser und Infrastruktur­objekte. Ein fünfstöckiges und ein sechzehnstöckiges Wohnhaus wurden direkt getroffen. Betroffen sind die Stadtbezirke Darnyzkyj, Dniprowskyj, Solomjanskyj, Schewtschenkywskyj, Holossijiwskyj, Obolonskyj sowie Desnjanskyi, berichtet die Militärverwaltung von Kyjiw auf Telegram.

Sie schätzt die Zahl der beschädigten Objekte in der Hauptstadt auf rund hundert. Besonders gravierend seien Schäden an Fenstern, Tausende seien durch Druckwellen zerstört worden. Auch ein Einkaufszentrum im Stadtzen­trum wurde in Mitleidenschaft gezogen. In mehreren Stadtteilen gingen Trümmerteile abgeschossener Flugkörper nieder.

„Da, wo jetzt das schwarze Loch ist, da habe ich mit meiner Freundin Maryna gewohnt. Gestern war ich nicht in Kyjiw, jetzt bin ich zurück und weiß nicht, wo sie ist“, weint die 17-jährige Studentin Eva. 500 Meter von dem zerstörten Haus entfernt befindet sich ein Depot der ukrainischen Eisenbahngesellschaft Ukrsalisnyzja. Hier brennt ein Intercity, der an diesem Morgen nach Charkiw fahren sollte. In der Nacht wurde er von einer russischen Shahed-Drohne getroffen.„Dies ist das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass Bahneigentum so großflächig zerstört wurde. Menschen kamen nicht zu Schaden. Aber das Depot wurde gezielt beschossen“, sagt Oleh Holovaschschenko, Direktor von Ukrsalisnyzja.

Doch nicht nur Kyjiw war Ziel der nächtlichen Attacken. Auch aus Sumy, Saporischschja, Dnipro und der Region Chmelnyzkyj wurden Explosionen gemeldet. Der Chef der Präsidialadministration Andri Jermak kommentierte von ihm veröffentlichte Fotos der Zerstörung mit einem „Alles, was man über den Terrorstaat Russland, Putin und deren ‚Streben‘ nach Frieden wissen muss.“

Auch die russische Bevölkerung leidet zunehmend unter diesem Krieg. In der Nacht zum Mittwoch war das russische Rostow-am-Don von ukrainischen Drohnen angegriffen worden. Dies berichtet die ukrainische New Voice unter Berufung auf den russischen Telegram-Kanal Shot. Dabei habe der vierte Stock eines Wohnhauses gebrannt.

Der Gouverneur des Gebietes Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, berichtet auf seinem Telegram-Kanal von anhaltenden ukrainischen Drohnenangriffen. Ein Bewohner sei am Mittwoch bei diesen Angriffen verletzt worden.

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