Krieg in der Ukraine: Neues Jahr, neues Leid

Die Ukraine hofft auf Leopard-Panzer, Russland baut seine Militärspitze um und die Kämpfe im Donbass gehen weiter: Ein Überblick über den Stand des Kriegs.

Ein Soldat steht mit Helm in einem Schützengraben und raucht eine Zigarette

Ein ukrainischer Soldat raucht eine Zigarette im Schützengraben an der Front bei Bachmut Foto: Evgeniy Maloletka/dpa/ap

Wie ist der Stand beim Krieg in der Ukraine?

Russland hat seine Lehren aus den vielen Rückschlägen der vergangenen Monate gezogen. Im Frühjahr 2022 versuchte Russland, blitzartig die Ukraine zu überrennen. Das scheiterte. Im Sommer 2022 konzentrierte man sich auf den Osten und versuchte, den Donbass komplett einzunehmen. Es gelangen einige Geländegewinne, aber keine Einkesselung der ukrainischen Verteidiger. Im Herbst 2022 gelang der Ukraine zuerst das Zurückdrängen der russischen Armee rund um Charkiw, später auch im Süden rund um Cherson.

Russland startete daraufhin einen Terrorkrieg aus der Luft: Es beschießt zivile Ziele mit Raketen und zerstört systematisch die ukrainische Wasser- und Stromversorgung. Die Kämpfe konzentrieren sich nun im Winter erneut auf den Donbass. Russische Frontalangriffe rund um die Bergbaustadt Bachmut führten zu einigen der blutigsten Schlachten des Krieges bisher. Bittere Gefechte brachten Russland diese Woche die Eroberung der Kleinstadt Soledar bei Bachmut – ihre erste klare Eroberung seit Sewerodonezk im Juli 2022. Die Front insgesamt aber bewegt sich kaum noch.

Was ist jetzt zu erwarten?

Experten gehen davon aus, dass sowohl Russland als auch die Ukraine Befreiungsschläge in Form großer Offensiven planen – bis hin zu den Extremszenarien eines erneuten russischen Einmarsches von Belarus aus in Richtung Kyjiw, oder einer ukrainischen Großoffensive im Süden Richtung Krim.

Die führenden Generäle der Ukraine sagten dem britischen Economist in einem Gespräch Mitte Dezember, sie rechneten mit neuen russischen Großangriffen voraussichtlich im Februar, eventuell auch Anfang März oder schon Ende Januar. Der Militäranalyst Mick Ryan prognostiziert: „Für Russland wird es darum gehen, Gelände zu sichern, das die Annexionen von 2022 konsolidiert, und auf Zeit zu spielen, in der Hoffnung, dass der Westen kriegsmüde wird. Für die Ukraine ist das Ziel von Präsident Selenski explizit beschrieben worden: die Russen aus dem gesamten ukrainischen Staatsgebiet zu drängen und die Ukrainer in den besetzten Gebieten zu befreien.“

Ist Russland überhaupt zu neuen Großoffensiven fähig?

Nicht im aktuellen Zustand. Jedenfalls, wenn man den täglich aktualisierten Zahlen der Ukraine über russische Verluste glaubt. Am 13. Januar zählte die Ukraine rund 114.130 getötete russische Soldaten und 342.290 Verwundete. Westliche Schätzungen gehen von deutlich niedrigeren, aber doch untragbar hohen russischen Verlusten aus. Aus Soledar wurde zuletzt der russische Abtransport von sechs Tonnen Leichen pro Tag gemeldet.

Nach den vielen Luft- und Raketenangriffen auf die Ukraine der vergangenen Monate gehen auch die Raketen- und Drohnenbestände Russlands zur Neige. Iran und Nordkorea helfen aus, aber das ist kein vollwertiger Ersatz.

Im Herbst 2022 befahl Russlands Präsident Putin eine Teilmobilisierung, die 300.000 frische Soldaten bringen sollte. Das französische Forschungsinstitut IFRI schätzt, dass 80.000 bereits in die Ukraine geschickt wurden, davon 50.000 direkt an die Front. Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass Russland weitere 150.000 bis 200.000 Soldaten aus der Teilmobilisierung in Reserve hält, um im Frühjahr 2023 eine komplett neue Invasionsarmee losschicken zu können.

Was bedeutet die jüngste Umbesetzung an Russlands Armeespitze?

Am 11. Januar 2023 wechselte Wladimir Putin zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn seine Militärspitze aus. Abberufen wurde der erst im Oktober zum Oberkommandierenden des Ukrainefeldzugs ernannte Luftwaffengeneral Sergej Surowikin, wegen seiner Strategie des Bombenterrors auf Syriens Rebellengebiete als „General Armageddon“ bekannt. An seine Stelle rückt Generalstabschef Waleri Gerassimow, der die Invasion im Februar 2022 geleitet hatte und als eher glücklos galt.

Surowikin bleibt für den Luftkrieg zuständig, aber kommandiert nun keine Bodentruppen mehr. Dies gilt auch als Signal im innerrussischen Machtkampf. Surowikin steht aus seinen Syrien-Zeiten der russischen Söldnertruppe Wagner nahe, deren Chef Jewgeni Prigoschin sich diese Woche öffentlich im eroberten Soledar zeigte und betonte, allein seine Truppen hätten diesen Sieg errungen, nicht die reguläre Armee. Wagner-Kämpfer hatten bereits im Dezember Gerassimow als Versager kritisiert. Werden sie ihm nun folgen?

Russlands Verteidigungsministerium begründet die Auswechslung mit der „Erweiterung der Aufgaben“ und der „Notwendigkeit für engere Interaktion zwischen den Gattungen der Streitkräfte“. Das könnte auf die Rückkehr zu großen Bodenoffensiven hindeuten.

Westliche Länder wollen der Ukraine mit Panzern helfen. Hilft das in dieser Situation?

Als politisches Signal auf jeden Fall. Aber kurzfristig fordern ukrainische Militärs vor allem Drohnen und Munition; auch eine stärkere Luftabwehr. Panzer werden vor allem gebraucht, um Offensiven gegen einen Feind zu führen, der sich nicht bereits zurückzieht. Monatelang lehnten westliche Länder genau deshalb die Panzerforderungen ab, weil sie Angst hatten, Russland zu provozieren. Jetzt ist die Einsicht gewachsen, dass diese Zurückhaltung Russland eher ermutigt hat.

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Reichlich spät werden nun die Konsequenzen gezogen. Anfang Januar kamen die Zusagen von leichten Panzern aus Frankreich, den USA und Deutschland. Jetzt wird über schwere Panzer gesprochen – Leopard 2 aus deutscher Produktion, Challenger 2 aus Großbritannien, Abrams-Kampfpanzer aus US-Herstellung. Klarheit dürfte das nächste Treffen der Ukraine-Unterstützer auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein am 20. Januar bringen.

Wären diese Panzer im September zugesagt worden, als die Debatte um Leopard-Panzer schon einmal tobte, wären sie inzwischen da. Nun dürften sie, wenn freigegeben, erst im Frühjahr einsatzbereit sein, also im Tauwetter, wenn schweres Kriegsgerät im Schlamm steckenbleibt.

Könnte eine Eskalation des Krieges durch Verhandlungen vermieden werden?

Verhandlungen mit der Ukraine sind aus Moskauer Sicht nur möglich, wenn diese zuvor die „neuen Realitäten“ anerkennt, also die russischen Annexionen ukrainischen Gebiets. Das ist für die Ukraine undenkbar, weil damit nicht nur Gebiete verlorengehen, sondern auch Menschen geopfert werden.

Erst diese Woche wurde in einer russischen TV-Talkshow darüber räsoniert, wie man mit jenen Menschen in der Ukraine umgehen solle, die von der „Krankheit des Ukrainismus“ befallen seien. Kann man sie umerziehen oder muss man sie auslöschen? Die Antwort: „Die Kinder kann man umerziehen, aber den Feind muss man auslöschen.“

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