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Krieg in der UkraineWie sich Geschichte wiederholt

Das Rentner-Ehepaar Vartanjan musste 2014 aus Donezk fliehen. Jetzt gelang es ihnen, der Hölle in Mariupol zu entkommen. Die Geschichte einer Flucht.

Ein Soldat der pro-russischen Truppen vor der Autokolonne, die die belagerte südliche Hafenstadt Mariupol verlässt Foto: Alexander Ermochenko/reuters

Dnipro taz | Semjon und Irina Vartanjan sind Heimatvertriebene. 2014 flohen sie sie aus dem besetzten Gebiet von Donezk und retten so ihr Leben. Jetzt wiederholt sich die Geschichte. Sie müssen wieder weg laufen, aber die Umstände, die sie dazu bringen, sind viel, viel schlimmer.

Beide sind nicht mehr jung. Es ist schwer, ein neues Leben anzufangen, wenn du schon 70 Jahre alt bist. Wenn du das aber zum zweiten Mal tun musst, ist das jenseits von allem.

2014 wurde die ukrainische Hafenstadt Mariupol für sie zur zweiten Heimat. Während der acht Jahre, die sie in Mariupol lebten, gelang es den Vartanjans, Freundschaften zu schließen, ihr Leben zu organisieren und einen Teilzeitjob zu finden, um sich ihre Rente aufzubessern. Jetzt haben die russischen Besatzer all dies zunichte gemacht.

„Ich erinnere mich nicht mehr daran, was mit uns am 24. Februar passiert ist, am 1. März, am 10. ….. Zuerst dachte ich daran, alles aufzuschreiben, eine Art Tagebuch zu führen. Doch dann wurde mir klar, dass ich mich an nichts erinnern und alles so schnell wie möglich vergessen will“, sagt Semjon.

Total chaotisch

Dann fährt er fort: „In Mariupol haben wir an der Kreuzung des Chmelnizki-Boulevard und der Bachtschivandschi-Straße gelebt. Dort war es zunächst ruhig. Sie beschossen die Außenbezirke von Mariupol. Doch dann wurde es jeden Tag schlimmer und der Beschuss stärker. Alles wirkte total chaotisch.

Zunächst haben sie Mariupol mit Raketenartillerie beschossen, dann begannen die Luftangriffe. Uns wurde das Wasser abgestellt. Wir hatten es gerade noch geschafft, die Wanne bis zu Hälfte mit Wasser zu füllen. Dieses Wasser hat uns gerettet.

Als in der Stadt der Strom ausfiel, schafften wir es noch, die Lebensmittel aus dem Kühlschrank zu holen. Von dem Fleisch gaben wir etwas den Nachbarn, damit es nicht schlecht würde. Den Rest kochte Ira in stark gesalzenem Wasser, dadurch wurde das Fleisch gut konserviert. Daraus bereitete sie dann eine Suppe zu. Glücklicherweise hatten wir vor dem Beginn des Krieges einen Sack Kartoffeln gekauft. Diese Kartoffeln bewahrten uns vor Hunger.

Als es dann auch noch kein Gas mehr gab, wurde es ganz schlimm. Wir begannen unser Essen auf einem Feuer im Hof zu kochen. Das gestaltete sich für uns schwieriger als für andere. Asthmaanfälle machten es mir unmöglich, beim Brennholz machen zu helfen. Ich sammelte ein paar Zweige für das Feuer, aber das war nicht genug. Jedes Mal, wenn ich mich hinunter beugte, schrie Ira mich an. Sie hatte solche Angst, dass ich einen Asthmaanfall bekommen würde, den ich vielleicht nicht überleben würde.

Explosion im Nachbarhaus

Deshalb liefen wir zunächst einfach von Hauseingang zu Hauseingang und fragten nach Feuerholz. Schließlich taten wir uns mit unseren Nachbarn zusammen.

So aßen wir einmal am Tag und warteten auf eine Pause zwischen den Granaten. Aber diese Pausen wurden immer kürzer. Schließlich schlug eine Bombe im Nachbarhaus ein. In unserer Wohnung riss die Explosion die Fenster heraus, obwohl wir sie immer geöffnet hatten.

Die Angriffe verwandelten sich in ein Flächenbombardement. Zuerst versuchten Ira und ich, uns zu verstecken, in einen Schutzraum zu gehen oder uns in den Flur zu setzen. Die Taschen für eine schnelle Evakuierung waren gepackt, sie standen immer an der Tür. Zuerst waren das große Taschen mit vielen Sachen, aber dann wurden sie immer kleiner.

Am Ende stopften wir alles in zwei kleine Rucksäcke, um schnell fliehen zu können, sollte wieder eine Granate einschlagen oder Feuer ausbrechen. Als die Bombenanschläge so häufig wurden, dass wir die Unterbrechungen zwischen ihnen nicht mehr bemerkten, gingen wir überhaupt nicht mehr in Notunterkünfte. Wir legten uns ins Bett, verkrochen uns unter Decken und starrten auf die Fenster. So lagen wir da und warteten, bis eine Granate durch unser Fenster fliegen und wir an die Reihe kommen würden. Wir warteten auf den Tod….“

Elf Stunden Fahrt

Semjon und Irina wurden gerettet. Vor wenigen Tagen gelang es Freunden, sie aus der eingekesselten Stadt heraus zu holen. Die Fahrt dauerte elf Stunden.

„Wir haben Mariupol am Morgen verlassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich am Stadtausgang bereits eine lange Schlange von Autos gebildet. Alle diese Fahrzeuge waren bis oben hin voll bepackt mit Menschen und deren Habseligkeiten. Sie haben aus der zerstörten Stadt ihr ganzes Leben mitgenommen“, sagt Semjon.

Bis Berdjansk sei alles problemlos gewesen. Einen verminten Straßenabschnitt hätten sie umfahren können, danach sei alles wieder ruhig gewesen. Das änderte sich jedoch hinter Berdjansk.

„Praktisch an jeder Weggabelung standen Russen. Sie hielten die Autos an und durchsuchten sie ganz genau. Sie überprüften nicht nur die Papiere und das Gepäck, sondern auch Handys und Notebooks. Wir hatten vorher natürlich alle Kontakte gelöscht.

Viele Checkpoints

Die russischen Soldaten sahen erbärmlich aus. Wie sie angezogen waren … Auf dem Kopf trugen sie Eisenhelme, wie im Zweiten Weltkrieg. Und das sollte die beste Armee der Welt sein?

Ich habe sie nicht gezählt, die Checkpoints, die wir passieren mussten, doch es waren sehr viele. Nachts erreichten wir Wasiljewka, das ist ganz in der Nähe von Saporischja. Dort stießen wir auf eine gesprengte Brücke. Nur gut, dass die Einheimischen uns zeigten, wie wir sie umfahren konnten.

Und da, hinter der Brücke, waren auch schon unsere. Sie kamen uns entgegen, und ich wusste sofort: Das sind unsere. Trotzdem wurden wir angehalten und überprüft. Offenbar hatten sie Angst vor Saboteuren. Aber dann fuhr eine Polizeistreife vor und eskortierte uns bis nach Saporischja.

Dort übernachteten wir. Am nächsten Tag fuhren wir weiter – in Richtung Westen. So ist es. Wir haben unser ganzes Leben hinter uns gelassen. Was steht uns bevor? Das weiß Gott allein ….“

Die Autorin lebte in Mariupol. Vor wenigen Tagen schaffte sie es zu fliehen, und ist jetzt in Dnipro gestrandet.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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