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Krieg in der UkraineGespräche und Angriffe gleichzeitig

In Belarus treffen sich Unterhändler aus Moskau und Kiew. Die Ukraine verlangt kompletten russischen Truppenabzug. Russland bombardiert Charkiw.

Sitzen an einem Tisch: die russische (li) und die ukrainische (re) Delegation am 28.02.2022 Foto: Alexandr Kryazhev/imago

Die Szene sollte wohl historisch wirken. Mit grimmigen Gesichtern saßen sich zwei Delegationen aus Russland und der Ukraine an einem langen weißen Tisch voller Mineralwasserflaschen gegenüber und starrten sich an, während das belarussische Protokoll Fotos des Beginns der Friedensverhandlungen für die Weltöffentlichkeit machte.

„Liebe Freunde, Präsident Lukaschenko hat darum gebeten, Sie zu empfangen, zu begrüßen und dafür zu sorgen, dass Ihre Arbeit maximal unterstützt wird“, sagte Belarus’ Außenminister Wladimir Makei in einer kurzen im Fernsehen übertragenen Ansprache. „Das alles erfolgt in Absprache mit den Präsidenten Selenski und Putin. Sie können sich hier sicher fühlen. Dafür zu sorgen ist unsere heilige Pflicht. Unser Präsident Lukaschenko hofft auf eine Lösung aller Krisenfragen, und dafür beten auch die Belarussen. Alle Bitten und Anliegen, die Sie an die Organisatoren heran tragen, werden erfüllt. Jetzt warten wir auf Resultate.“

Das Treffen fand in der belarussischen Stadt Gomel unweit der ukrainischen Grenze statt. Die Regierungen in Moskau, Kiew und Minsk hatten sich am Sonntag darauf geeinigt, um einen Ausweg aus dem Krieg zu finden, den Russland am Donnerstag vergangener Woche gegen die Ukraine begonnen hatte. Ein Ergebnis war bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Erste Meldungen über ein vorzeitiges Ende verwandelten sich am Nachmittag in Mitteilungen über eine Pause. Die Delegationen hätten den Verhandlungsort nicht verlassen, meldete die belarussische Staatsagentur Belta.

Die Ukraine erklärte im Vorfeld einen Waffenstillstand und den sofortigen Abzug russischer Truppen von ihrem Staatsgebiet zum Ziel der Gespräche. Das schließe auch die seit 2014 von Russland annektierte Krim sowie die Separatistengebiete im Donbass ein, erklärte das Präsidialamt in Kiew. Der Kreml sagte zunächst nicht, was Russland mit den Gesprächen erreichen will. Am Abend wurde gemeldet, man fordere die Demilitarisierung der Ukraine und die Anerkennung der Krim als Teil Russlands.

UN spricht von 100 getöteten Zivilisten

Anders als üblich wurden die Gespräche nicht von einer Feuerpause begleitet. Vielmehr starteteten die russischen Streitkräfte am Montag ihre bisher verheerendsten Luft- und Raketenangriffe auf zivile Ziele in der Ukraine. Zahlreiche Fotos und Videos von Toten, Schwerverletzten und zerstörten Häusern in Wohnvierteln der Millionenstadt Charkiw belegen zivile Opfer des Beschusses, den Militärexperten teils als völkerrechtlich verbotene Streumunition identifizierten – die entsprechenden Raketenwerfer wurden auf Fotos identifiziert und lokalisiert. Am Sonntag war ein Versuch der russischen Armee, mit Bodentruppen nach Charkiw vorzudringen, von den Verteidigern der Stadt abgewehrt worden. In der Nacht zu Montag gab es außerdem erneut russische Luftangriffe auf Kiew.

Die Großstadt Berdjansk am Asowschen Meer unweit der Separatistengebiete des Donbass fiel derweil an die russische Armee – ihre offenbar bisher größte Eroberung. Videos vom Montag zeigen, wie die russischen Soldaten von der lokalen Bevölkerung bedrängt und beschimpft werden. Es wird nun vermutet, dass die Stadt Mariupol das nächste Ziel ist und damit ein russisch kontrollierter Korridor zwischen der Krim und den Separatistengebieten entstehen könnte.

Nach Angaben der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, wurden bei den Kämpfen bislang 102 Zivilisten in der Ukraine getötet und 304 verletzt. Die tatsächlichen Zahlen dürften „erheblich höher“ sein.

Der Süden der Ukraine ist der einzige Landesteil, in dem Russland strategisch bedeutsame Territorialgewinne verzeichnet, während im Norden weiter kein Vorankommen zu erkennen ist. Der ukrainische Generalstab erklärte, die russische Armee konzentriere sich derzeit auf die Region um die Stadt Tschernihiw nördlich von Kiew und Donezk im Osten. Militärbeobachter vermuten, die Gespräche unter belarussischer Vermittlung sollen Russland eine Atempause schaffen, um seine Offensivkräfte zu reorganisieren, nachdem der Krieg bisher nicht die gewünschten Erfolge gebracht hat.

Stationierung von Atomwaffen in Belarus

Für Belarus markiert die Gesprächsrunde auf jeden Fall eine diplomatische Aufwertung. Zeitgleich hat der belarussische Staatchef Alexander Lukaschenko an der Heimatfront einen „Sieg“ errungen. Beim Verfassungsreferendum vom Sonntag stimmten laut Wahlkommission 65,16 Prozent der WählerInnen für weitreichende, von Lukaschenko vorgeschlagene Verfassungsänderungen. Die Wahlbeteiligung lag demnach bei 78,63 Prozent.

Damit kann Lukaschenko, der das Land seit 1994 autoritär regiert, bis 2035 an der Macht bleiben. Zwar wird die Zahl der erlaubten Amtszeiten nun auf zwei begrenzt – diese Regelung soll aber erst nach der nächsten Präsidentschaftswahl in Kraft treten. Für Ex-Präsidenten sieht die Reform außerdem lebenslange Immunität vor.

Im Kontext des Krieges in der Ukraine ist besonders bedeutsam, dass die Verfassungsänderung die dauerhafte Statio­nierung von russischen Soldaten und Atomwaffen in Belarus ermöglicht. Die Verpflichtung, eine „atomwaffenfreie Zone“ zu bleiben, wird aus der Verfassung gestrichen, ebenso das Postulat außenpolitischer Neutralität. Demnach könnten belarussische Truppen fortan auch an Kampfeinsätzen im Ausland teilnehmen.

Die Abstimmung wurde am Sonntag von Protesten begleitet. Laut der Menschenrechtsgruppe Vjasna (Frühling) wurden in Minsk über 530 Menschen festgenommen, das Innenministerium sprach von 800.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • "Die Szene sollte wohl historisch wirken. Mit grimmigen Gesichtern saßen sich zwei Delegationen aus Russland und der Ukraine an einem langen weißen Tisch voller Mineralwasserflaschen gegenüber und starrten sich an.."

    Bilder täuschen. Und beide Delegationen werden sich sicherlich nicht sehr freudig gegenüber gesetzt haben. Ich kann aber beim besten Wille keine Grimmigkeit in den Gesichtern der abgebildeten Personen erkennen. Alle Personen strahlen eine bedrückte, ja fast "bedröppelte" Stimmung aus. Da sitzt man nun, was nun? Und man kann sagen, dass das der blutigen Lage ja auch irgendwie "gerecht" wird.



    Aber was daraus schließen, wenn meine Einschätzung vielleicht etwas richtiges hat? Dass sich die russische Delegation z. B. so gar nicht mit diesem von Putin begonnenen Krieg "anfreunden" will. Es bleibt beim "Kaffeesatz lesen", wo ich gern mehr wissen, mehr verstehen möchte. Aber wer kann das?

  • Gibt es irgendeine Stellungnahme der deutschen Außenministerin zu diesen Verhandlungen?

    Oder der EU, der NATO?

    Etwa dem Sinne nach, dass sie sie begrüßen, vielleicht sogar unterstützen, auf einen Erfolg der Diplomatie hoffen, um weitered Leid zu verhindern, Menschenleben zu schonen?

    Vielleicht eigene Initiativen?

    Im Liveblog von Zeit-Online heißt es zu den Verhandlungen: "Chinas Präsident Xi Jinping hat in einem Telefongespräch mit Wladimir Putin betont, dass China seine Position im Ukrainekrieg selbst bestimmt. Dasberichtet der chinesische Auslandssender CGTN, das Gespräch zwischen den Staatschefs hat offenbar bereits am Freitag stattgefunden. Xi sagte demnach, dass China dafür eintrete,die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder zu respektierenund die Prinzipien der UN-Charta zu achten. Man wolle nun die russische Seite bei der Lösung des Problems durchVerhandlungen mit der Ukraineunterstützen. Beobachter sehen darin einenneuen Ton Chinas im Umgang mit seinem strategischen Partner Russland. Bisher hatte sich die Volksrepublik nicht klar gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen"

    Wird auch seitens der Bundesregierung alles getan, um zunächst zu einem Waffenstillstand und dann einer friedlichen Lösung zu gelangen?

    Oder steht die Ukraine, trotz aller Solidaritätsbekundungen, mit ihren diplomatischen Bemühungen alleine, beschränkt sich die Solidarität mit Selenskyj, der Ukraine, auf Sanktionen und nun auch Waffenlieferungen?

    • @ke1ner:

      Mir ergeht es ähnlich. Ich kann keine Äußerungen von NATO, EU, USA...zu den Verhandlungen hören. Ich hoffte darauf, kenne aber die Gründe nicht, warum es nicht so ist. Vielleicht hat @ERNIE recht, wenn er schreibt, solche Äußerung könnten im Moment wirklich nicht hilfreich sein. Soweit ich es beobachtet habe, sind die Verhandlungen jetzt beendet und die Delegationen kehren "zu Beratungen" zurück. Ich hoffe, dass das also keinen Abbruch weiterer Verhandlungen bedeutet.



      Vorallem nicht, dass dies z. B. von Seiten der Bundesregierung bedeutet, dass man diplomatische Möglichkeiten zu Ungunten der Ukraine ausschließt.

      • @Moon:

        und @Ernie: das kommt doch sehr darauf an, was EU und Nato einbringen würden.

        Wenn sie Selenskyj Verhandlungsspielraum eröffnen, wäre das sicher hilfreich - er selbst hat sich im Vorfeld ausdrücklich bereit erklärt, auch eine Neutralität der Ukraine zu verhandeln.

        Klar, wenn die Nato bei 'nur über unsere Leichen' (wobei real mit 'unsere' dann Ukrainer*innen gemeint sind) bleibt, wird das nichts.

        Würde sie, die EU aber ernsthaft das finnische Modell prüfen, im Gegenzug Garantien von Moskau fordern, China - das sich aufgrund der Verhandlungen bereits von Moskau zu distanzieren beginnt - da mitziehen, gäbe es ein zwar minimale, aber trotzdem realistische Chance, per baldigem Waffenstillstand das Blutvergießen bald zu beenden und mittel- bzw. langfristig zu einer friedlichen Lösung zu gelangen.

        So, wie es jetzt aussieht, wird das westliche Ziel 'Regime-Change in Russland' immer wahrscheinlicher (Baerbock hat zu den Sanktionen von Anfang an erklärt, sie würden Rzssland "ruinieren"), auf europäischer Seite, während dieser Krieg für die USA weit weg ist und sie es mit einem Europa zu tun haben, das seine Energien in Auseinandersetzungen verausgabt.

        Symbolisch stehen dafür jetzt schon die 100 neuen Milliarden für Rüstung den vor Kurzem noch so mühsam errungenen 50 Milliarden für Klimaschutz entgegen, Frackinggas aus den USA statt Northstream 2, das vor kurzem noch mit amerikanischen Sanktionen gegen deutsche Firmen verhindert werden sollte.

        • @ke1ner:

          Zuerst: Wenige Minuten nach meinem Kommentar kamen Nachrichten, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden. Ein Funken Optimismus! Auch in diesem Zusammenhang, obwohl ich wenig über solche Zusammenhänge weiß und nicht "klugscheißern" möchte:



          Eine Neutralität der Ukraine wäre "entmilitarisiert", wie es Putin, ich muss sagen blödsinniger Weise will unmöglich. Das liefe auf den Zustand einer "mittelbaren" Provinz" Russlands für die Ukraine hinaus.



          Aber ein neutraler Status könnte der Ukraine die Souveränität ermöglichen UND z. B. einer viel späteren EU-Mitgliedschaft nicht unbedingt im Wege stehen, die aber vertraglich in Aussicht gestellt wäre. Was ebenfalls Souveränität "unterstreichen" würde. Vielleicht liegt da ein Weg? Insbesondere dann, wenn in Russland "Oposition" auch von den wirtschaftlichen Eliten gegenüber Putin wächst.

    • @ke1ner:

      Auf Baerbocks Seite bei Instagram - die eigentlich immer auf dem neuesten Stand ist, heißt es im letzten Post (von gestern): "Dieser Krieg ist kein Krieg der Menschen Russlands. Dieser Krieg ist Putins Krieg. Er ist ein Angriff auf unseren Frieden in Europa, auf unsere Freiheit, das Völkerrecht, auf all die Werte einer regelbasierten internationalen Ordnung, die die Grundlage unseres Zusammenlebens bilden.

      Wir haben es bis zuletzt mit Diplomatie versucht. Der Kreml hat uns hingehalten, angelogen und sich all dem verweigert. Putin wollte diesen Krieg. Whatever it takes.

      Wir lassen die Ukraine in dieser rücksichtlosen Aggression auf ihr Land nicht allein. Wenn unsere Welt eine andere ist, dann muss auch unsere Politik eine andere sein. Es ist ein Krieg, der es nötig macht, dass wir die Grundfesten unseres außenpolitischen Handelns neu ziehen. Darüber hab ich heute im Bundestag gesprochen"

      "Wir lassen die Ukraine in dieser rücksichtlosen Aggression auf ihr Land nicht allein" - es hört sich aber nicht so an, als sei damit Diplomatie gemeint.

      Der die Ukraine, ihr Präsident Selenskyj, aber offenkundig immer noch eine Chance gibt.

      www.instagram.com/p/CaevlN_Dezj/