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Krieg in NahostWaffenstillstand am Ende?

Netanjahu setzt die Freilassung palästinensischer Gefangener aus. Die Waffenruhe in Gaza steht auf Messers Schneide.

Aus dem Gefängnis Ofer im besetzten Westjordanland hätten die Gefangenen am Sonntag freikommen sollen Foto: Ammar Awad/reuters

Berlintaz | Während die erste Phase des Waffenstillstands in Gaza sich dem Ende nähert, steht dieser ein weiteres Mal vor einer schweren Zerreißprobe. Am Sonntag hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Freilassung palästinensischer Gefangener vorerst ausgesetzt. Die geplante Freilassung war Teil des Waffenstillstandsabkommens zwischen Israel und der militanten Hamas. Nachdem am Samstag sechs Geiseln freigelassen wurden, sollten am Sonntag über 600 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen entlassen werden. Sie saßen bereits in Bussen, um das Ofer-Gefängnis im besetzten Westjor­danland zu verlassen, als die Anordnung kam, die Freilassung zu verschieben.

Netanjahu fordert eine Versicherung von Seiten der Hamas, dass die Organisation demütigende Aktionen beende. Er bezog sich unter anderem auf ein Propagandavideo, das die Hamas am Samstag veröffentlicht hatte. Darin ist zu sehen, wie zwei Geiseln gezwungen werden, der Entlassungszeremonie anderer Geiseln zuzusehen. Die israelische Gesellschaft trauert außerdem kollektiv um die getötete Geisel Shiri Bibas und ihre zwei ebenfalls in Geiselhaft getöteten Kinder; zunächst hatte die Hamas nicht die Leiche von Shiri Bibas, sondern die einer Frau aus Gaza übergeben. Viele Israelis aber sind überzeugt, dass die Demütigungen der Hamas nur ein Vorwand für Netanjahu sind, um die Verhandlungen zu verunmöglichen.

Seit Beginn der Waffenruhe ist klar, dass die Verhandlungen um die zweite Phase besonders schwierig werden würden, geht es darin doch maßgeblich um die Frage, wer Gaza nach dem Krieg wie kontrollieren soll. Die Hamas hat angeboten, die verbleibenden rund 60 Geiseln in der zweiten Phase in einem Zug freizulassen, allerdings nur, wenn Israel alle Streitkräfte aus dem Gazastreifen abzieht und der Krieg dauerhaft beendet wird. Dagegen gibt es in Israel heftigen Gegenwind; die israelische Rechte drängt darauf, den Krieg fortzusetzen.

Die Gefangenen saßen bereits in Bussen, als die Anordnung gegen ihre Freilassung kam

Die arabischen Staaten bemühen sich derweil um einen konkreten Alternativvorschlag zu dem von US-Präsident Donald Trump. In einem Vorstoß, der die Welt schockierte, hatte Trump vor zwei Wochen angekündigt, die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen aus Gaza vertreiben und die „Riviera des Nahen Ostens“ daraus machen zu wollen.

Netanjahu stünde hinter Trump

Medienberichten zufolge soll die Hamas zugestimmt haben, der Palästinensischen Autonomiebehörde, die im Westjor­danland regiert, zu weichen und ihr die Verwaltung des Gaza­streifens zu überlassen. Netanjahu erteilte diesem Vorschlag umgehend eine Absage. Am Tag nach dem Krieg werde es „weder die Hamas noch die palästinensische Behörde geben“. Er stehe hinter Präsident Trumps Plan.

Jüngst begann das israelische Militär außerdem eine großangelegte Kampagne im Norden des Westjordanlands. 40.000 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen wurden aus den Flüchtlingslagern Dschenin, Tulkarem und Nur Shams vertrieben. Die drei Lager seien jetzt leer, so Israels Verteidigungsminister Israel Katz. Das israelische Militär werde das Jahr über dort bleiben und den Be­woh­ne­r*in­nen keine Rückkehr gestatten. Zum ersten Mal seit der Zweiten Intifada werden offenbar israelische Panzer in Dschenin eingesetzt.

Die Militärkampagne ist vermutlich auch eine Antwort auf eine Reihe von missglückten Anschlägen auf fünf Busse in den an Tel Aviv angrenzenden Städten Bat Yam und Holon. Drei der Busse explodierten Donnerstagabend ohne Menschen an Bord, wohl früher als geplant. Zwei weitere, nicht explodierte Sprengsätze wurden daraufhin in Bussen in Holon entdeckt. Bislang hat sich niemand dazu bekannt.

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