Krieg in Afghanistan: Hoffnungslos in Kandahar
Bei ihrer Militäroffensive im Süden stoßen die US- und Nato-Truppen auf unerwartet große Schwierigkeiten. Die Taliban töten gezielt pro-westliche Repräsentanten.
KABUL taz | Der Juni war keine guter Monat für die Nato in Afghanistan. Der Konflikt am Hindukusch dauert inzwischen länger als der Vietnamkrieg. Mit 102 getöteten internationalen Soldaten war es laut icasualties.org der verlustreichste Monat der Inverventionstruppen. Kürzlich starb der 1.000ste US-Soldat im Kampf gegen die radikal-islamischen Taliban. Laut Afghan Rights Monitor wurden in der ersten Jahreshälfte 1.074 Zivilisten getötet, davon 212 im Juli. Der Krieg verschlingt inzwischen 70 Milliarden US-Dollar pro Monat. Davon geht viel an brutale Warlords und Drogenbarone, wie ein Bericht über die Vergabe der Nato-Aufträge jüngst zeigte. Von "unserem Geisterkrieg" sprach die New York Times.
Geplant ist, mit 30.000 zusätzlichen Soldaten in dicht bevölkerten Gebieten im Süden die Taliban zurückzudrängen und so Raum für eine bessere Verwaltung zu schaffen. Doch wenig verlief seit November nach Plan, als die Strategie in Washington beschlossen wurde. Eine Studie in 120 Bezirken Afghanistans, in denen der Taliban-Aufstand herrscht, zeigt, dass dort nur ein Viertel der Bevölkerung die Regierung unterstützt. Ein Viertel zeigt Sympathie für die Taliban oder unterstützt sie offen.
Die Stärke der Taliban ist ungebrochen. In Marjah, einem kleinen ländlichen Bezirk in der Provinz Helmand, wo US-Truppen im Februar eine große Offensive starteten, dauern die Kämpfe an. Marjah galt als Test der neuen Aufstandsbekämpfungsstrategie. Mit Macht und Masse sollten zunächst die Taliban aus dem Bezirk getrieben werden. Danach sollte mit dem Aufbau der Verwaltung und der Belebung der Wirtschaft begonnen werden, um die Herzen der 60.000 Einwohner zu gewinnen und den Taliban den Nährboden zu entziehen. Marjah sollte zeigen, ob eine ähnliche Offensive auch im wichtigeren und größeren Kandahar-Distrikt funktionieren könnte.
Doch in Marjah ist kein deutlicher Fortschritt zu sehen. Die US-Soldaten werden dort fast jede Nacht beschossen. Die Bevölkerung lebt weiter in Angst, denn die Taliban köpfen diejenigen, die mit den Fremden zusammenarbeiten. Marjah werde als "blutendes Geschwür" wahrgenommen, sorgte sich der geschasste Nato-Oberkommandierende, Stanley McCrystal, kurz vor seinem Abgang.
Das verspricht wenig Gutes für Kandahar. Die politische Heimat der Taliban und zweitgrößte Stadt des Landes ist von großer strategischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Die Aufständischen kontrollieren drei Nachbarbezirke der Stadt. Ihr Einfluss im südlichen Dand-Distrikt ist stark. Um die Sicherheit in der Provinz zu verbessern, stationiert die Nato dort gerade weitere 10.000 US-Soldaten. Spezialkräfte versuchen, in verdeckten Operationen möglichst viele Taliban-Führer zu töten.
Die Taliban antworten mit einer Offensive gegen prowestliche Kräfte: Am 9. Juni starben bei einem Anschlag auf eine Hochzeitsgesellschaft in Arghandab 40 Menschen, darunter viele Mitglieder einer von den Amerikanern aufgepäppelten Bürgerwehr. Wenig später wurde der US-freundliche Bezirksgouverneur Abdul Jabbar ermordet. Im April war schon Kandahars stellvertretender Bürgermeister Azizullah Yarmal in einer Moschee getötet worden. Kandahars Kulturminister Abdul Majid Babai wurde Anfang Juni getötet.
Nicht alle sind Opfer der Taliban. Kandahars Polizeichef Matiullah Qate etwa starb im Juni bei einer rätselhaften Schießerei zwischen Söldnern einer US-Sicherheitsfirma und afghanischen Kräften. Viele sind überzeugt, dass Kandahars Provinzchef Ahmed Wali Karsai, ein Halbbruder von Präsident Hamid Karsai, in den Tod des Polizisten verwickelt ist. Seine Privatmiliz Kandahar Strike Force arbeitet für den US-Geheimdienst CIA. Der "König von Kandahar", wie Ahmed Wali genannt wird, ist umstritten. Er soll ein mafiöses Geschäftsimperium betreiben, in Drogenhandel und andere schmutzige Deals verwickelt sein. Aufträge der Nato und der USA sollen ihm Millionen Dollar eingebracht haben.
Nur wenig Geld kommt Kandahars Bevölkerung zugute. Die Versorgung mit Wasser und Strom ist Luxus. Sie sei "erschüttert", wie hoffnungslos Menschen in Kandahar ihre Zukunft sehen, sagte Martine van Bijlert vom Afghanistan Analyst Network jüngst nach einem Besuch der Stadt. Selbst wenn es den neuen Truppen gelingt, für mehr Sicherheit zu sorgen, ist fraglich, wo eine bessere Regierung herkommen soll.
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